Vorwort

Der Verfasser dieser Geschichte, das Hänschen, das wir schon kennen, ist nun Hans geworden und hat ein Alter von 71 Lebensjahren erreicht. Sein mannigfaltiges Leben kann viele merkwürdige Ereignisse verzeichnen. Er hat auch nach vielen mühevollen Arbeitsjahren die Zeit des Ruhestandes erreicht. Die Rente, die ihm gesetzlich zugefallen, reicht gegenwärtig für ihn und seine Frau, um alle Ausgaben für Lebensmittel zu decken. Nun aber wo sich das menschliche Leben, wie wir alle gut wissen, anfänglich im raschen Tempo zur Blütezeit schwingt, so zeigt es, wenn der Mensch das natürliche volle Alter erreicht, das Gegenteil. Allmählich, unaufhaltsam, trotz allem Widerstreben, schwinden Lebenslust und Lebenskraft. Krankheiten wollen oft das Lebensende begleiten. Dem Verfasser selbst steht schon die Lebenssonne über den Horizont des Abends. Die Abendschatten werden von Tag zu Tag länger, die Luft wird kühler, und wenn die Lebenssonne gänzlich sinkt, dann schwindet für immer das Zeitliche - Licht und Schatten. Wir können es nehmen oder deuten wie wir wollen - eins war und bleibt unveränderlich: - Wir gehen alle den Weg unserer Väter... und über kurz oder lang, dann sind auch wir nicht mehr. Ein Ausdruck von einem deutschen Dichter lautet:
Rasch tritt der Tod Den Menschen an.
Es ist ihm keine Frist gegeben.
Er nimmt ihn mitten auf der Bahn,
Er reißt ihn fort aus diesem Leben.
Bereitet oder nicht will gehen,
Er muß vor seinem Richter stehen.
Meine Geschichten werden anfänglich kindlichen, gewöhnlichen, weltlichen Charakter haben, dann aber nach und nach einige mehr, die anderen weniger, etliche aber auch ganz mit einem geistlichen Hauch durchweht sind. Mein Wunsch, den ich äußeren möchte ist es, daß meine Kinder und auch Enkelkinder, wenn sie sich für das Leben ihrer Eltern bzw. Großeltern interessieren werden, eine volle Vorstellung hätten, wie man leben kann, wie man leben soll, wie man leben muß, um selber ein schönes wohl die Frage: War denn alles beim Verfasser gut? Die Antwort lautet: O, nein, sehr lange nicht! Denn Untugenden, Ungehorsam, Gräueltaten, Schandtaten, die ich heute wünsche nie getan zu haben, waren zur Genüge. Und wenn ich heute das Leben zurückdenke, dann stehen sie noch auf demselben Platz, wo sie geschehen waren, mir klar vor den Augen. Zwei Sprichwörter gebe ich zur Erklärung: Kein guter Mensch, der nicht etwas Schlechtes an sich hat, aber auch kein schlechter Mensch, der nicht etwas Gutes an sich hat. Das zweite: Kein Baum ohne Schatten. Die Verantwortung für jegliches Werk trägt ein Jeder selbst.
Ich will mir aber Mut und Liebe, Kraft und Geistertriebe, ein klares Gedächtnis das längst Vergangene, zum Teil auch schon Vergessene, wieder wachrufen, Gesundheit und Erfolg wünschen und erbitten, das bevorstehende Schreiben bis Ende zu verrichten können. Also, mutig drauf los! Glück auf!

Der Verfasser: Johann Walde


Kapitel 1

Flüchtlinge. 1916.


Johann Walde, acht Monate alt, auf dem Arm seines Vaters, vor dem Sarg seiner Mutter
Flüchtlinge sind Leute, die sich auf die Flucht begeben, einen Bergungsort zu suchen, wo sie dann auf unbestimmte Zeit Schutz und Zuflucht haben. Flüchtlinge gibt es nur dann, wenn große Naturereignisse oder Weltereignisse stattfinden, wie große Überschwemmungen, Wald - oder Wiesenbrand, große Hungersnot oder Krieg. Durch den deutschländischen Krieg waren viele deutsche Flüchtlinge tief in Rußland eingedrungen. Die waren obdachlos. Auf jeden Fall hat die russische Regierung für sie gesorgt und mit dem Allernotwendigsten dann versehen. Sie wurden nach Möglichkeit bei den Leuten Rußlands untergebracht.
Meine erste Erinnerung aus der frühesten Kindheit ist, daß ich eines Tages unser Haus ganz voll fremder Gäste sah. Neugierig und doch schüchtern sah ich zu, wie die Leute hin und her kramten, nur erst viel später erfuhr ich, als die Flüchtlinge schon lange fort waren, wer sie waren. Damals aber wurde die Große Stube ausgeräumt und den Leuten Platz gemacht. Hier waren wohl fünf Personen: Ein Großvater mit seiner Frau, mir schimmert es, als ob er Max Brandstädter hieß, dann noch eine Großmutter - Bahnhöfer, noch zwei erwachsene Mädchen, aber nicht Schwestern. Die eine hatte schwarzes Haar, das war die schlanke Anna. Die andere war körperlich dicker, sie hieß Metha. Was die Alten geschafft haben, oder wovon sie lebten, weiß ich nicht.
Anna aber war bei uns Kindermädchen, und Metha - Köchin, die beständig in der Hauswirtschaft half. Im Nebenhäuschen wohnten auch Flüchtlinge, wie viel, weiß ich nicht. Aber was ich behalten habe: in jeder Ecke war ein Lager. Von Rundholz waren Klötze geschnitten, dann aufgestellt, zusammengenagelt, Bretter übergelegt - und fertig. Wenn ich mit Anna durch den Hof zu ihnen ins Nebenhäuschen ging, beschaute ich immer die Klötze und bewunderte die sogenannten Betten. Unter den Flüchtlingen war auch ein junger Mann aus Österreich - Karl. Der große, gepackte Kerl war Stallknecht - besorgte das Vieh und die Wirtschaft.
Im Dorf befanden sich noch mehr Flüchtlinge. Sie haben sich untereinander oft besucht.
Der Großvater, Max Brandstädter, saß gewöhnlich auf seinem Lager, vor ihm stand ein Stock, auf dem er beide Handflächen gelegt hatte. Er hatte einen Bart wie Karl Marx.
Oft bei uns die Große Stube voll Gäste. Auf dem Tisch stand die Petroleumlampe, denn es gab noch kein elektrisches Licht. Jetzt glaube ich zu wissen, worüber die Flüchtlinge gesprochen haben - über Haus und Heimat.
An einem Abend war ich auch mit meiner Anna in der Großen Stube. Anna saß auf einer Bank, ich stand bei ihr am Schoß. Gesprochen wurde ja nur hochdeutsch, wovon ich anfänglich gar nichts verstand. Ich langweilte, fing an mit ihren Händen zu spielen, setzte mich auf den Fußboden zu ihren Füßen, spielte mit ihren Füßen, dabei kam ich auch auf den Rücken zu liegen, rollte und wälzte mich dabei ganz nach Kindes Art. Mit einem Mal bemerkte ich, daß sie unter dem Kleid noch Hosen an, dazu noch weiße, ich aber hatte schwarze. Ich wurde unterdes ruhiger und verglich im stillen die Hosen: meine Hose ist schwarz - ihre weiß, meine Hose ist bis an der Knie - ihre auch, meine hat einen breiten Saum - ihre auch. Nur eins war mir auffallend, warum ihre Hose mit einem weißen Flick geflickt waren, meine aber nicht. Dann stellte ich meinen Finger auf das weiße Flick an ihrem Bein und rief: Ein weißes Flick! Da könnt ihr euch vorstellen - ein allgemeines Gelächter Anna natürlich rückte auf der

Kapitel 2

Opas Beerdigung. 1916

Es war ein schöner Sommertag. Meine Mutter tief mich zu sich, wir gingen zur Kommode, sie öffnete eine Schublade und zog meinen schwarzen Samtanzug raus. Sie gab ihn mir und sagte: Zieh ihn an! O, war das für mich eine Freude! So was tat man selten - am gewöhnlichen Tag Sonntagskleider anziehen. Demnach sollte etwas vorgehen. Dieser Anzug steht mir heute noch vor den Augen: kurze Hose bis an die Knie, unten an jeder Seite paar kleine goldgelbe Knöpfe mit einem Anker darauf. Die Jacke hatte einen Schlupp mit einem goldgelben ausgenähten Anker. Auch der große Matrosenkragen hatte in jeder Ecke so einen Anker. Als ich denn nun fertig war, marschierte ich in der Großen Stube hin und her als ein Matrose, als ein Soldat, und war in meinem Kindessinn stolz auf mich selbst. Wir fuhren in das Dorf Kuterlja. Wie und mir wem wir gefahren sind, weiß ich nicht. (Zur Erklärung: Wir wohnten im zweiten Haus vom südlichen Dorfende. Über ein Haus, das heißt im vierten, wohnte mein Onkel, Abram Klassen, der Bruder meiner gestorbenen, früher war auch ein Söhnchen, Abram, gestorben. Ein Töchterchen Sara blieb ihm zurück. Mit der zweiten Frau hatte er auch schon ein Kind. Selbst war er jetzt auch im Dienst. Seine Frau war auch Soldatka. Also, dasselbe Bild wie bei uns.
Möglicherweise haben diese zwei Soldatkas zusammen die Pferde eingespannt und sind mit ihren Kindern zu Opas Beerdigung gefahren. Als wir schon angekommen waren, wollte ich aber noch fahren. Dann sagten die Onkels, die Pferde ausspannten: Gleich wirst du weiter fahren, warte bißchen. Als die Pferde in den Stall geführt waren, band ein Onkel die Leine an die Deichsel, das andere Leinenende gab er mit in die Hand, dazu noch die Peitsche, und ich war froh, daß ich weiter fahren konnte. Aber sobald kam Tante Anna, damals ein Mädchen von 15-16 Jahren, und sagte mir: Komm, wir wollen Opa beschauen gehen. Ich stieg von der Droschke runter und wir gingen ins Nebenhäuschen. Auf einer Bank stand der Sarg, indem Opa lag. Auf dem Gesicht lag ein Haarsieb. Das nahm Tante Anna runter, und wir schauten auf meinen Opa. Dann lief ich hinaus, um weiter zu fahren. Jetzt gesellte sich zu mir noch ein Junge meines Alters. Diese Fahrt war lustiger, wir peitschten auf die "Pferde" und machten Lärm. Noch ein Moment: Mit diesem Jungen stand ich später an der Straße und schaute, wie der Leichenzug vom Hof fuhr, dann liefen wir etwas vor, schauten uns wieder um und wunderten uns, daß sich so viel Menschen versammelt hatten. Weiter weiß ich nichts mehr von der Beerdigung. Ich habe nur noch ein Foto zur Erinnerung.

Kapitel 3

Die Eggenzinke 1916

Einmal kam der Nachbarsohn aus dem ersten Haus vom Dorfende, Hänschen Dyck, etwas älter als ich, zu uns, er wollte mit mir spielen. Er hatte eine Eggenzinke in der Hand, mit einem Band angebunden. (Eggenzinke ist ein ungefähr 16mm dicker Eisenquadrat, 20cm lang, an einem Ende spitz). Er legt sie auf den Erdboden und sagte, daß es ein Pflug sei, faßte es am Band - und dann ging es im vollen Trab in der Stube hin und her! Auch ich immer hinterdrein! So das es recht staubte!
Ich wollte aber auch "pflügen" und bat ihn, mir mal das Band zu geben. Er gab aber nicht. Dann packte ich den "Pflug", er aber auch. Und der Krieg ging los! Ein jeder riß mit beiden Händen so gut er konnte, doch ich, der Schwächere mußte loslassen und er in seinem Zorn versetzte mir mit dem eckigen Eisen einen herben Schlag am Kopf oder das linke Ohr. So das es eine Rinne gab. Da war im Nu ausgepflügt. Er lief nach Hause, ich aber blieb verwundet auf dem Schlachtfeld zurück. Weiter weiß ich nicht.

Kapitel 4

Ein Kinderschreck. 1916.

Das Kindermädchen, die Anna, war zu jener Zeit lieb und teuer, und von großem Wert. Sie beschäftigte sich ja nur mir uns. Ich erlernte durch all den Flüchtlingen auch schon ziemlich das Hochdeutschsprechen. Als ich später dann in die Schule ging konnte ich alles hochdeutsch. Nun spielte sie eines Tages mit uns in der Stube. Sie nahm meinen jüngeren Bruder, Heina, der ungefähr 1 Jahr alt war, auf den linken Arm, fing an in der Stube auf und ab zu gehen. Ich wollte aber auch mit ihr hin und her gehen, faßte sie an der linken Seite am Kleid, so marschierten wir alle zusammen eine nette Weile. Heina hatte nur ein Kleidchen, aber keine Höschen an. Mit einmal wie aus klarem Himmel schoß mir ein Schuß am wunden Kopf, und es lief mir über Ohr und Backe bis in den Kragen, über die Kleider bis auf die Erde. Heina hatte mich von oben bis unten ganz beschissen. Es gab ein erbärmliches Schreien, bei den Großen am Abend, wahrscheinlich, - ein herzliches Lachen.

Kapitel 5

Bei Papa zu Gast. 1916

Es war an einem schönen Herbsttag im September um die Abendzeit. Die Sonne jedoch stand noch hoch über dem Horizont, als wir, Mama mit dem Heina auf dem Arm, mich hatte sie an der Hand gefaßt, auf dem Bahnhof standen. Der Bagageträger im weißen Schürzchen mit unseren Koffern in den Händen stand neben uns. Wir erwarteten den Zug, der schon dein Ankommen durch einen schrillenden Pfiff meldete. Da endlich wurde er auch schon sichtbar. Die Lokomotive voran, die keuchte und zischte, ich hielt mich schon fester an Mamas Hemd und als das große schwarze Tier mit seinen großen Rädern gerade gegen uns war, dröhnte noch die Erde, zudem machte er noch einen lauten Pfiff, da war die Furcht bei mir aufs höchste gestiegen. Ein Ruck - und ich hatte mich aus Mamas Hand gerissen und lief so schnell wie ich konnte den Bahnhof entlang, beim Wartesaal vorbei, bei der Limonadenbude vorbei, beim Packhaus vorbei, bis dann endlich Bäume und Büsche waren, und unter den Büschen versteckte ich mich. Hierher kam das schreckliche Tier nicht. Mama mit dem Kind auf dem Arm sprang mir nach und rief: "Halt! Halt!" Das war mir aber alles schnupp. Mir stand nur dies Untier vor Augen. Hier unter dem Busch bekam Mama mich wieder an der Hand zu halten, zog mich vor. Nun mußten wir aber sehr rasch wieder zurück, um in den Zug einzusteigen. Als wir dann im Waggon waren, war es ja nicht mehr so schrecklich, aber doch alles unbekannt. Unser Haus schaukelte, die Häuser auf der Straße liefen alle beim Fenster vorbei. Da mußte man wieder was besseres suchen. Mama hatte gerade mit dem Kind zu tun, um es zu Ruhe zu bringen, als ich wieder ausputzte. Ich suchte ein anderes Haus, das nicht so schaukeln würde. Ich war aus einem Waggon in den anderen gegangen, im dritten machte ich Halt, weil eine Frau mich zu sich zog und beredete mich mit ihr Wassermelonen zu essen. Ich setzte mich neben ihr, und sie schnitt mit einem großen Messer von ihrer großen Wassermelone, die vor ihr auf dem Tisch lag. Ach, ich hatte das süße Stück noch nicht aufgegessen, da kam Mama schon wieder und holte mich zurück.
Als die Fahrt dann zu ende war, stiegen wir aus. Es war Nacht. Ein alter Mann, der nur ein Pferd eingespannt hatte, fuhr uns durch einen finsteren Wald, wo wir dann endlich bei meinem Papa ankamen. Ich kannte meinen Papa nicht, auch von vor dem Dienst nicht. Damals war ich ja noch kleiner gewesen. Hier bei Papa gingen wir eines Tages in den Wald spazieren. Papa, Mama, Heina und ich. Als wir beim Försterhaus vorbeigingen, waren Gänse auf unserem Weg. Das waren wieder Dinge, die ich noch die gesehen noch gehört hatte. Der Gänserich hielt anfänglich den Kopf sehr hoch und kreischte. Plötzlich schob er den Kopf vor, die Zunge raus, zischte, lief auf mich zu und packte mich in die Hose. Die Furcht war ja bei mir wieder groß, doch an ein Durchgehen war nicht zu denken. Schreiend vor Angst, kriegte ich ihn am Hals mit beiden Händen und hielt fest, ja schon so fest, daß dem Gänserich noch weiter wie zuvor die Zunge rauskam. An Beißen dachte er gar nicht mehr, denn ihm fehlte schon der Atem, wovon ich ja nicht wußte. Obzwar Papa und Mama sagten: Laß ihn los! Laß ihn los! , Hielt ich ihn doch fest, bis Papa ihn aus meiner Hand befreite. Mehr hat er mich auch nicht beißen wollen. Dann ging es weiter in den Wald hinein, wo ich Tannenzapfen sammelte und Blumen pflückte.
Eines anderen Tages spät sm Abend durfte ich auch mitgehen, aber mit wem, das weiß, ich jetzt nicht, ob mit Papa oder mit Mama, schauen, wie die Fischer fischten auf dem Fluß der da ganz in der Nähe war. Fische habe ich ja keine gesehen, aber was mir wichtig was, das war, daß die Männer Feuer im Kahn hatten und der Kahn mitten auf dem Wasser stand. Dann war mir auch sehr wichtig, all die Glühwürmchen ringsum im Gras, wovon ich viele in eine Streichholzschachtel sammelte. Von dieser Zeit bis drei Tage nach dem Feuer waren genau neun Monate vergangen.

Kapitel 6

Das große Feuer. 1917

Es war an einem heißen Sommertag im Juni. Alle hatten nach Mittagessen ein Stündchen geruht. Man machte das Vesperessen fertig, um dann nach dem Vesper wieder frisch an die Arbeit zu gehen. Knecht Karl war am Vormittag zur Mühle gefahren Weizen zu Mehl mahlen und hatte nun eben die Mehlsäcke auf den Boden getragen. Den Pferden gab er Futter. Ich spielte draußen auf dem Hof; hatte zwei lange Ruten, das waren meine "Pferde", ich stellte sie an die Stalltür, und lief zum Strohhaufen, um etwas Gras für meine "Pferde" zu pflücken. Der Himmel war schon voller Wolken und in der Ferne donnerte es schon. Ich kam mit meinem Futter und legte das Gras den "Pferden" vor, auf die Stalltürschwelle. Die Mutter rief: "Karl und Wanja kommt essen." Wir gingen ins Hinterhaus, jeder nahm seinen Platz am Tisch ein, ich saß gegenüber dem Fenster. Vom Mittag waren noch genügend Rollkuchen übrig geblieben und nun waren Kaffee und Rollkuchen die Vesperspeise. Während des Essens blitzte und donnerte es immer heftiger. Doch auf einmal krachte es über alle Maßen sehr, daß man sich hier am Tisch unwillkürlich duckte. Mama schrie laut auf: "Wir brennen!" Ich schaute zum Fenster hinaus und sah wie das Nachbarmädchen sehr eilig zu uns rüber gelaufen kam und Mama schrie noch einmal: "Ja, ja wir brennen!" Ich sprang vor Angst vom Tisch vor und in größter Kindeseile durch die Hintertür hinaus zum Nachbar. Erst vor der Nachbartür schaute ich mich um, denn das Knistern und Knacken hatte mir große Furcht eingetrieben. Mama kam auch zum Nachbar und setzte sich auf einen Stuhl, sah zu, wie das ganze Haus brannte und ich stand an ihren Schoß und weinte, nein heulte sogar, und wiederholte immer: "Unser Haus verbrennt! Unser Haus verbrennt!" Im Nu waren ja viel Leute zusammen gelaufen. Ich sah nur ein rastloses Hin- und Herlaufen. Durch die Fenster und Türen wurden unsere Sachen rausgeschleppt und -geworfen. Einige Frauen standen und schauten zu, hielten sich unsere Decken und Kissen über Kopf, denn es regnete stark. Plötzlich flog ein Stück Feuer im Bogen bis im Garten. Mama sagte: "Das ist ein Schinken." Etliche geräucherte Schinken hingen im Schornstein. Man sagte, die seien alle brennend verflogen. Ich aber sah nur einen fliegen. Das Vieh war zum Glück alles auf der Weide, außer zwei Pferden, die im Stall waren. Man sagte, mit Gewalt hat man sie rausgekriegt, denn sie rochen, ahnten Unheimliches. Meine "Pferde" sind leider verbrannt. Die Schweine hinten am Haus im Hock wurden auch ausgetrieben, liefen dann im Garten herum. Ich sah wie die Feuerpumpen Wasser ins Feuer spritzten. Man sagte, es habe nichts geholfen, das Feuer habe alles vor sich weggefressen, bis alles verbrennt sei. So war in kurzer Zeit von unserem langen großen Haus nur der hohe Schornstein und die Mauern stehen geblieben. Weinend fragte Mama: Wo werden wir jetzt schlafen?! Alle Leute gingen auseinander. Wohin sie unsere geretteten Sachen hingetragen haben, weiß ich nicht. Als das Feuer nicht mehr brannte, hatte sich meine Furcht gelegt. Im Haus und beim Haus schafften noch immer Männer. Der Nachbarjunge, der Hans, dem das Feuer nicht so tief zu Herzen gegangen war, wie mir, sagte mir: Komm, gehen wir schauen, was die Onkels machen. Wir gingen zu uns, an die Hofseite, und sahen wie die Männer mit langen Feuerhacken aus der Scheune das Eisen von den verbrannten Dreschmaschine, Sämaschine, Mähmaschine, Putzmühle, Schlitten, Wagen auf den Hof schleppten und einen ganzen Haufen machten. Als es anfing dunkel zu werden, gingen wir zum anderen Nachbar, von der Vorderseite unseres Hauses, schlafen. Da wohnte Onkel Peter Riediger, ein alter Mann, ganz allein. Als die Mutter mich zur Ruhe bracht und ich ins Bett ging, wollte ich aber nicht schlafen, weil die Bettsachen naß waren.
Diese Feuergeschichte könnte man ganz anders beschreiben. In späteren Jahren habe ich noch vieles vom Feuer gehört. Hier aber habe ich geschrieben nur darüber, was ich persönlich gehört und gesehen habe, was ich aus der Kindheit behalten habe.

Kapitel 7

Der Einkauf 1917

Unser Dorf Klinok lag parallel zu dem Nachbardorf Jugowka nur ein Kilometer entfernt. Dazwischen befand sich ein Tal, indem das kleine Flüßchen "Berjosowka" floß. Das Tal ging ganz nahe an unserem Gartenende vorbei. Am Ende unseres Gemüsegartens hatte man einen kleinen Pappelwald angepflanzt, dessen Bäume schon groß waren. Über dem Flüßchen lag ein Brett. Darüber konnte man gehen, wenn jemand in das Nachbardorf sich begeben wollte. In Jugowka war ein Warengeschäft, wo meine Mama Nägel für den Bau, der jetzt nach dem Feuer begonnen werden sollte, kaufen möchte. Am nächsten Tag nach dem Feuer gingen wir den Garten entlang. Im Walde schon setzte sich Mama auf eine Anhöhe, um etwas zu ruhen. Mir war dieses undeutlich: nur erst losgegangen und schon ruhen. Aber ich ließ es so. Ich pflückte Blümchen, sprang Schmetterlingen nach. Dann kam ich zurück und sagte: Na, Mama, wir wollen doch gehen! -Gleich , antwortete sie und blieb sitzen. Ich ging dann wieder etwas umher. Aber ich wollte doch nach Jugowka gehen, dann sagte ich wieder: Na, Mama, komm doch! -Du muß mir helfen, sagte sie. -Ich kann nicht aufstehen. Sie reichte mir die Hand, ich packte sie mit meinen beiden Händen und zog nun so gut ich konnte. Und, richtig, ich habe sie aufgeholfen. Wir gingen weiter, mir ging es aber viel zu langsam. Als wir erst über dem Flüßchen waren und die Anhöhe des jenseitigen Berges bestiegen, sagte Mama: Wanja, du muß mich jetzt an die Hand fassen und wie du nur kannst ziehen, dann kommen wir schneller den Berg hoch. Ich zog aus Leibeskräften. Auf der Höhe angelangt ging sie weiter allein. Wir kamen zum Geschäft, auch nach Hause, aber wie, weiß ich nicht.
27.11.82

Kapitel 8

Zwei Wiegen. 1917

Bei uns im Hof war nun jeden Tag reges Leben. Der Schutt vom Feuer mußte aufgeräumt, um mit dem Bau anzufangen können. Zu schauen gab es in diesen Tagen genug. Ich habe nicht gelangweilt. Wir wohnten bei Onkel Peter Riediger in einem kleinen Zimmer. Am zweiten Abend nach dem Brand waren meine Bettchen schon trocken, so das ich mich für das Schlafengehen nicht mehr fürchten brauchte. Am dritten Abend gab es noch was Neues: Als ich ins Zimmer kam, lag Mama im Bett, daneben standen zwei Wiegen. Erst nach Jahren löste sich bei mir das Rätsel, warum ich meiner Mama beim Aufstehen helfen mußte, warum ich sie so ziehen mußte, um den Berg zu Besteigen, und warum sie, während das Haus brannte, beim Nachbar Dyck auf dem Stuhl saß und nicht wie alle andere beim Feuer beschäftigt war, warum sie denn so langsam zum Nachbar kam, wo hinter ihr doch das Haus brannte. Weil schon am dritten Tag nach dem Brand ein Drilling zur Welt kam. Ein Kind aus den drei war tot, zwei - Jakob und Natha füllten die zwei Wiegen.

Kapitel 9

Der Bau

Das Unglück vom Feuer wurde Papa im Dienst auch gemeldet. Beim Oberförster im Wald hatte er recht bald zwei Waggons Bauholz, wie Balken, Sparen, Latten, Bohlen und verschiedene Bretter, ausgewirkt. Das Dorfskomitee für Soldatenfrauen erwies große Tätigkeit. Es hatte auch bewirkt, daß andere Dörfer Hilfe erwiesen. Als das Baumaterial aus dem Wald in Sorotschinsk schon war, wurden auch von anderen Dörfern viele Fuhrwerke ausgeschickt, das Holz von der 60 Kilometer entfernter Eisenbahnstation nach Hause zu holen. Es war nicht so einfach. Die Reise mit Pferdewagen dauerte gewöhnlich volle zwei Tage. Den ganzen Bau übernahm sich mein Großvater Johann Penner aus Kamenetz. Er war Baumeister, warb freiwillige Tagelöhner an, und es wurde fleißig am Bau gearbeitet. Das Wetter war ausgezeichnet. Ich war wie man sagt satt und trocken, auch geschafft wurde. Etliche Tage nacheinander kamen bei uns Fuhrwerke auf den Hof. So abgeladen, auch gleich aufgestapelt wurden. Die Pferde fuhren fort, aber die Bretter blieben. Das Springen und Klettern auf den langen Brettern war für mich eine Zeit lang ein wahrhaftiges Vergnügen.
Bald stand unser Haus wieder da.

Kapitel 10

Wieder was Neues. 1917

Weit später als der Bau schon fertig war und keine Onkels mehr auf dem Hof schufften und alles wieder nach alter gewohnter Art die Wirtschaftsarbeiten machte und auch ich beim Spielen allein war, so suchte man beim Spielen auch immer was Neues. Die vom Bau übrig gebliebene Bretter waren ja alle aufgestapelt worden, aber bei und auf den Brettern spielte ich gern. Eines Tages in einer kleinen Mittagspause klapperte ich wieder an den Brettern. Plötzlich fiel ein Aststoppel aus dem Brett mir vor die Füße. Ich hob ihn auf, betrachtete ihn, - aha, ein schönes Rädchen zum Spielen. Solche kann ich ja noch mehr haben, denn Bretter sind ja viel. Ich suchte mir einen Hammer, und dann ging's los, mit Gewalt die Aststoppel rausschlagen. Als es erst recht viel waren, sammelte ich sie in meine Bluse rein und ging dann vor Freude sie meiner Mama zeigen, die gerade vom Mittagsschlaf rauskam. Mama, schau mal, wieviel Räderchen ich habe. - Nun, weiter Erklärung ist nicht notwendig. Ich bekam Prügel. Das war der Schluß vom schönen Vergnügen.

Kapitel 11

Der Abschied. 1917

Meine Anna war mir immer lieb und teuer. Ich wurde aber immer größer. Sie mußte in letzter mehr an die Wirtschaftsarbeit gehen, denn Mama war jetzt mehr an die Wiegen gebunden, das heißt, sie hatte mit den kleinen Kindlein zu tun. Das Schicksal der Flüchtlinge war auf was Besseres gefallen. Sie durften alle heim. Das wird eine Freude gewesen sein, nicht wahr? Bei vielen werden Freudentränen geflossen sein. Eines schönen Tages wurden die Pferde vor den Wagen gespannt. Verschiedene Sachen wurden auf den Wagen geladen. Das war ja alles natürlich, aber als sich die Flüchtlinge drauf setzten, auch Meta, und zuletzt noch meine Anna, dann war das Herzleid zu groß. Alle sagten: Ade!, winkten mit den Händen. Auf Nie Wiedersehen! Diesen Augenblick vergesse ich nie. Aus dem ganzen Dorf fuhren die Wagen. Eine ganze Karawane ging langsam den Berg hinauf. Ich schaute den langen Zug nach bis der letzte Wagen über den Berggipfel verschwand. 29.11.82

Kapitel 12

Mohrrüben. 1917

Unser Haus war mit einmal plötzlich leer geworden. Jetzt mußte ich auch der Mutter mehr helfen. Heina war 2 Jahre alt, konnte schon selbst laufen. Ich mußte auf ihn aufpassen, mit ihm spielen, ob ich wollte oder nicht. Mama sagte gewöhnlich: Faß ihn an die Hand und geht spielen! Marsch! Vorwärts! Dann gab es auch manchmal doppelten Gesang. Wir weinten beide. Einmal gingen wir in den Gemüsegarten. Die eine Gartenhälfte war mit Hafer besät. Der Hafer zeigt schon Wopfen (Ähren). Mit einmal sahen wir Mohrrüben, ich machte mich gleich dran. Zerrte bis ich eine ausgerissen hatte. Oho, eine dicke! Sie schmeckte eklig und dumm. Es war eine Saatrübe. Ich warf sie in den grünen Hafer. Einige Tage später sah Mama unsere Arbeit. Prügel - war der Lohn für diese Arbeit.

Kapitel 13

Milchstock - "Kinderfreund"

Ein Separator, eine Milchschleudermaschine, war zu jener Zeit nicht in jedem Haus. Aber Kühe waren, also war auch Milch. Folglich mußte man auch Sahne, oder Rahm, oder Schmand sammeln, um Butter zu bekommen. Man hatte recht viel 2-Literschüssel für die Milch. Um nicht so viel Raum in der Milchbank mit den Schüsseln einzunehmen, wenn sie voll Milch standen, wurden die Schüsseln gewöhnlich eine auf die andere gestellt. Manchmal sogar bis 4 Schüsseln., dazwischen immer zwei Brettchen (Milchstock). Die Brettchen waren speziell dazu gemacht. Die Brettchen waren 35cm lang, 0,7cm dick, 4cm breit. Stück 20-30 von denen lagen immer im Milchschrank auf dem Brett. Wenn die Schüsseln mit Milch dann einen ganzen Tag gestanden hatten, dann konnte man die Schmand schön von oben abschöpfen. Die Schmand wurde gesammelt und gebuttert. Aus der sauren oder dicken Milch wurde Quark gekocht, damit wurden gewöhnlich die Hühnerkücklein gefüttert. Die Milchbrettchen waren gewöhnlich schön gestrichen, rot oder gelb, wie ein jeder wollte. Also, hübsche Brettchen, recht passende Dinger. In unserem Haus wurden sie Milchstock, aber mehr Kinderfreund genannt.
29.11.82

Kapitel 14

Georgienen.1917

Onkel Peter Riediger, der alte Onkel, wohnte ganz allein in seinem Haus. Er hatte keine Hauswirtschaft. Quer über der Straße wohnte sein Sohn Peter. Der hatte eine große Wirtschaft, aber auch eine große Familie: 4 Jungs und 8 Mädchen. Es waren genug Arbeiter, um dem Opa im Gemüsegarten zu helfen. Die Vorgärten an der Straße waren gewöhnlich mit Blumen wie Rosen, Tulpen, Georginen u. a. besetzt. Der alte Mann hatte auch weiter nichts zu tun, als nur nach der Ordnung zu sehen. Er ging immer am Stock. Ganz fremd war mir der Onkel nicht, hatten wir doch bißchen bei ihm gewohnt. Zwischen unseren Höfen gab es keinen Grenzenzaun, nur Akazienbüsche oder schwarze Johannesbeerenbüsche. Daher konnten wir ohne jegliche Beschwerden einander besuchen. Sitte und Gebrauch war es bei den Leuten, nach dem Mittagessen etwas zu ruhen, denn der Arbeitstag begann vor dem Sonnenaufgang und dauerte bis nach dem Sonnenuntergang Tag für Tag, außer Sonntag. Die kleinen Kinder aber schliefen morgens so lange sie wollten. Das paßte den Großen besser bei ihrer Arbeit, ohne Kinder als mit den Kindern. Im Sommer spielten die Kinder immer auf dem Hof. Wenn Heina dann mal nicht spielen wollte und nur schlimmte, wir sollten aber in keinem Fall der Mama beim Mittagsschlaf stören, dann waren solche Spielstunden nicht interessant und solche Mittagspausen unendlich lang. In so einer langen Mittagspause gingen wir beide in unseren Vorgarten. Weil aber bei uns im Vorgarten außer Bäume nichts wuchs, so lockten uns die Blumen in Riedegers Vorgarten. Nur 5 Schritte entfernt! Wir kamen zu einem Georginenstrauch, ich pflückte zwei Blumen. Wir setzten uns hier auf die Erde und machten uns auch einen Blumengarten. Plötzlich härten wir, Mama sei schon aufgestanden. Eilig warf ich die zwei Blumen in die Hecke, faßte Heina an die Hand und wir liefen bis in den Stall... wo Mama war! Wir hatten gut gespielt.
Mama richtete die Vesper. Wir mußten uns die Hände waschen und an den Tisch setzen. Unerwartet kam Onkel Riediger herein. In der Hand - zwei welke Georginen. Er setzte sich auf einen Stuhl nicht weit vom Tisch, die Hände legte er wie immer auf den Stock, aber die Blumen hielt er noch immer fest. Dann ging's los: Weißt du, Nachbarin, daß deine Jungs bei mir diese Blumen abgerissen haben? Zudem noch den ganzen Vorgarten vertrippelt, der so schön geharkt war. Die Fußstapfen sind schön zu sehen, größere und kleinere. Das du deine Jungs heute bestrafst! Mir war schon sehr unheimlich zu Mute, obzwar ich gar nicht wußte, was "bestrafst" heißt. Wenn er gesagt hätte "prügeln, schlagen, klopfen", dann hätte ich es gleich verstanden, aber "bestrafen" kannte ich bisher noch nicht. Der Onkel stand auf, warf die Blumen zur offenen Hintertür hinaus und ging dann nach Hause. Das Essen war mir verrutscht, ich wollte nicht mehr essen, sondern schnell spielen gehen. Aber Mama sagte: Warte, warte! Erst werden wir jetzt für die Blumen verrechnen, damit du weiterhin weißt, wo du zu spielen hast. Ich hole mir einen "Kinder Freund", dann versohle ich dein Hinterende tüchtig. So geschah es auch. Dann wußte ich genau, was "bestrafen" heißt.
30.11.82

Kapitel 15

Neue Nachbarn

Onkel Riediger war alt und schwach geworden, er fühlte das sein Lebensende nicht mehr ferne sei, er mußte schon recht oft Hilfe haben. Daher verkaufte er sein Haus mit allem was er noch besaß, mit so einer Bedingung, daß derjenige, der es kaufen würde, ihn dann auch noch pflegen und versorgen sollte, bis zum Tode. Onkel Franz Wiebe mit seiner Frau und noch drei großen Töchtern: Liese, Gatchen und Mariechen wurden unsere neue Nachbarn. Diese Leute gut, liebevoll, freundlich, höflich und bescheiden. Onkel Wiebe war Tischler, arbeitete viel an der Hobelbank. Ihm fehlte ein Zeigefinger. Wenn ich manchmal mit einem Zettel zu ihm kam und er ihn dann las, sah ich immer, daß ihm ein Finger fehlte. Tante Wiebe war Hebamme. Kaum ein Jahr lebte Onkel Riediger noch. Die Beerdigung fand bei seinem Sohn Peter in der großen Querscheune. Vier Dinge sind es, die ich von diesem Begräbnis bis heute noch nicht vergessen habe: 1.Ich brauche nicht mehr bei Mama sitzen wie immer. Ich durfte da sitzen, wo die Onkels saßen. 2. Hier hörte ich zum ersten Mal das Lied: "Sehn wir uns an jenem Ufer, wo die Stürme sind vorbei." 3. Hier sah ich zum ersten Mal einen Toten in Klinok. 4. Mama mußte ich versprechen, auf dem Begräbnis während der Andacht still zu sitzen und nicht hin und her zu wirbeln. Wenn ich dieses nicht befolge, dann müßte ich weiterhin wieder bei Mama sitzen. Nun hieß es "aufpassen. Doch da fand sich eine Fliege. Die fing mich an zu quälen, setzte sich bei mir bald auf die Nase, bald auf die Lippen. Ich wollte ja aber nicht rumwirbeln, oder mit den Händen rumfuchteln. Dann zog ich nur die Lippen hin und her. Einmal setzte sie sich so passend auf die Lippen. Ich drückte die Lippen zusammen und hatte sie an den Füßen zu packen. Dann aber fing ich sie doch mit der Hand. Von all diesem hatte Mama nichts gemerkt. Ich hatte auch nicht gewirbelt.
1.12.82

Kapitel 16

Unerwartete Hilfe. 1918

Das Spielen der Kinder im Freien bei schönem Wetter war ja noch immer ein großes Vergnügen. Aber meine Spielzeit wurde von Tag zu Tag immer weniger. An einem Tag durfte ich mit Heina wohl draußen spielen, aber ganz nahe bei der Tür, den von Zeit zu Zeit sollte ich dann ins Haus gehen und horchen, ob die beiden kleinen Jakob und Neta noch schliefen. Auch Mama, die im Garten die Kartoffeln schieberte, sagt inzwischen: Wanja, geh horch, ob die Kinder schlafen. Nun eine Weile schliefen sie ja auch, aber dann wurden sie jedoch wach. Nun rief ich die Mama, sie kam dann, um die Kleinen zu säugen und zu besorgen. Zwei Brustkinder zu besorgen dauerte doch recht lange. Ich war darüber nicht verlegen, denn jetzt durften wir auch weiter von der Tür gehen und im ganzen Hof rumspringen. Die drei Nachbarmädchen schieberten auch im Garten, sahen alles, was bei uns vorging. Als Mama ins Haus zu den Kleinen gehen mußte, kamen sie rasch über die Grenzenstiege und schieberten unsere Kartoffelreihen. Sie riefen mich zu sich und sagten, daß ich es der Mama nicht sagen sollte. Das war mir auch gar nicht so wichtig. Ich war froh das ich spielen konnte. Wenn ich ins Haus gegangen wäre, hätte ich ja unbedingt noch was helfen müssen, wie die Windeln zu trocknen auf die Hecke hängen oder die Kleinen in Schlaf wiegen. Das habe ich hin und wieder tun müssen. Als Mama dann endlich wieder in den Garten gehen konnte, um weiter zu arbeiten, waren die Kartoffeln schon geschiebert. Das war für Mama eine Überraschung, aber auch eine Freude. Die Mädchen freuten sich auch.

Kapitel 17

Doppelte Hochzeit. 1918

Es begab sich, daß zwei von diesen Mädchen, Gatchen und Mariechen, zu gleicher Zeit Hochzeit machten. Also, eine doppelte Hochzeit beim Nachbar. Als der Polterabend kam, bat ich Mama, ob ich nicht das Geschenk den Brautleuten geben dürfte. Ja, ich durfte. Aber womit werden wir sie beschenken! Ich wußte ja in diesem Fall gar nichts. Sie gab mir eine Schüssel und schickte mich in den Garten Stachelbeeren pflücken. Bald war die Schüssel voll. Mama nahm zwei kleine Teller, füllte sie rund voll mit Stachelbeeren, fertig war das Poltergeschenk für zwei Paar Brautleute. Am Abend, als die Jugend schon anfing zu poltern, gingen auch wir beide, Mama und ich, mit unserem Geschenk. Ich nahm beide Teller und ging ganz frech in die Stube, stellte jedem Paar einen Teller vor. Es gab ein lautes Lachen. Ich glaubte, die grüßte Freude ihnen gemacht zu haben. Jedoch in ein Weilchen nahmen die Jugendlichen von den Stachelbeeren und warfen die lachend zueinander. So wurde mein Geschenk statt gegessen verworfen. Inzwischen wurde draußen am Fenster geschossen. Dann gab's Kreischen und Lachen.
2.12.82

Kapitel 18

Arbeit und Spiel. 1918

Papa war schon zu Hause. Nun wurde die ganze Hausarbeit wieder nach Regel und Recht verteilt: Mannesarbeit, Frauenarbeit. Auch ich bekam einen Teil der Arbeit, die ich dann schon beständig verrichten mußte. Selbstverständlich waren es nur leichte Arbeiten, meinen Kräften gemäß. Kinder verrichten sehr oft Kleinigkeiten mit großem Interesse und Vergnügen, wenn sie aber beständig an der Arbeit gebunden sind, dann wird das Helfen stinkend sauer. Dann ist ihnen das Dasein eine Qual statt Freude. Papa war ein fleißiger Bauer, und was er nicht machte, das machte er nett, auch recht flink. Er ging nicht zu den Leuten um sich etwas machen zu lassen, er machte alles selbst, außer Schmiede- und Schusterarbeit. Mama war auch fleißig. Alles ging ihr geschickt von Händen, wie jegliche Hausarbeit, so auch alle Handarbeit. Alle Arbeitstage wurden voll ausgenützt, außer den Sonntag. Meine Arbeit, die ich verrichten mußte, da wo mir das Spielen ja noch so wichtig war, begann dann mit Mamas Worten: Erst die Arbeit, dann das Spiel. Wenn es dann manchmal eine Arbeit war, die ich glaubte morgen verrichten zu können, dann sagte Mama immer: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, oder: Morgen, morgen, nur nicht heute sagen alle faule Leute. Im ersten Moment könnte man denken, was gibt es denn für Arbeit für ein Kind. Es ist beinahe nicht zu glauben, daß ich wirklich so viel zu tun hatte. Ein voller Arbeitstag im Winter soll uns hier ein Bild zeigen, wie es wirklich war. Früh morgens standen wir alle, außer den Wiegenkindern, auf. Papa machte im Ofen Mistfeuer, schöpfte den Wassertopf in der Ofenröhre voll Wasser, stellte auch den vollen Kaffeekessel in die Röhre zum kochen lassen. Dann ging er in den Stall das Vieh besorgen und ausmisten beim Vieh. Ich mußte mich anziehen und dann auch Heina. Mama ging in den Stall die Kühe melken. War die Milch erst besorgt, dann stellte sie noch einen Krug Milch für den Kaffee auf den Tisch und kam dann in die Stube die Bette machen. Mir sagte sie: Wanja, jetzt rasch den Nachttopf in den Stall tragen und dann bringst gleich den Besen und die Schiebe aus der Küche, damit ich die Stuben auskehren kann. Hatte sie gekehrt, mußte ich den Müll, Besen und Schiebe in die Küche tragen, den Besen schön in die Ecke stellen. Dann kochte auch schon der Kessel in der Röhre und ich mußte die Kaffeedose aus der Schüsselbank holen, um den Kaffe anzubrühen. Nachdem trug ich die Dose auf ihren Platz und rief Papa zum Essen. Mama schöpfte schon Wasser in die Waschschüssel zum Waschen. Inzwischen war aber der Wassereimer leer geworden, den ich schnell dem Vater bringen mußte, damit er noch einen Eimer mit Wasser mitbringen konnte. Zum Frühstück gab es gewöhnlich Brot mit Sirup und Kaffee mit Milch. Gaben die Kühe keine Milch, tranken wir schwarzen Kaffee. Nach dem Essen ging Papa im Stall, Mama spülte rasch die Tassen aus, ich mußte sie dann in die Schüsselbank stellen, die im Hinterhaus stand. Sie wischte den Tisch ab, setzte die kleinen hinterm Tisch auf die breite Schlafbank, damit sie dort spielten. Mir sagte sie: Ich setze mich und spinne, du, Wanja spielst mit den Kindern. Paß gut auf, daß die nicht runterfallen. Wenn inzwischen ging auch beim Spinnen zu führen. Dabei sagte sie oft: Und wenn es gleich Mistgabeln regnen wird, aber eine Spule im Tag muß vollgespannt werden. Das war die Norm, deshalb mußte auch ich so viel Kleinigkeiten bestreiten und tun. Die Gäste kamen und gingen wieder, aber die Kinder, mit denen ich spielen mußte, die blieben für mich den ganzen Tag. -ja, sagte Mama dann halblaut beim Spinnen - was werden wir aber zu Mittag essen -Wanja rief sie dann schon entschlossen geh sag dem Papa er soll eilig Mittag essen. -Wanja, rief sie dann schon entschlossen, - geh, sag dem Papa, er soll eilig noch Pellkartoffeln in den Ofen auf die Glut stellen, damit sie noch zu Mittag gar werden. Dann kam ich wieder in die Stube zu den Kindern. Sie hatten ihre Spielsachen runter geworfen. Wenn einer aber gepinkelt hatte, damit die Schlafbank naß gemacht hatte, mußte ich schnell den Fußbodenlappen holen und die Bank abwischen. Den Kleinen mit den nassen Hosen der Mama auf den Schoß geben, damit sie ihn umziehen konnte. Nachdem nahm ich den wieder, wenn er auch nicht wollte und weinte, setzte ihn wieder auf die Bank. -Wanja, sagte die dann: Hier sind ja noch die naßen Hosen, häng sie auf die Röhrtüre, damit sie trocknen. Wenn die Kinder schon zu unruhig wurden, vielleicht schon Schlaf bekamen, dann sang sie uns zur Erheiterung noch ein Verschen beim Spinnen vor: Spinn, meine liebe Tochter, sollst haben zum Kleid. -Ich kann ja nicht spinnen, mir schwürt der Finger. Mir tut er so weh... usw. Wenn es aber ganz nicht mehr ging, dann brachte ich sie ihr auf den Schoß. Sie legte dann ihre Wolle auf das Spinnrad, säugte die Kleinen, legte sie dann in die Wiegen. Ich wiegte die dann in den Schlaf. Mama setzte sich wieder an das Spinnrad. Schliefen die Kinder, konnte ich etwas spielen. -Oh, das dumme Kätzchen, sagte Mama plötzlich. -Das hat mir den Wollekorb umgestülpt. -Wanja, komm sammel mir mal die Wolle schön in den Korb. Dann holst den Griebentopf mit Grieben aus der Schüsselbank, noch einen Teller. Die Grieben stellen wir in die Röhre, damit sie zu Mittag aufschmelzen. Jetzt hol noch Salz und salze die Grieben. -Darf ich jetzt noch bißchen spielen? Fragte ich. -Ja, aber es lohnt sich schon nicht, viele Spielsachen vorzukramen, denn es ist beinahe Mittag. Ach, wie kurz waren solche Minuten zum Spielen. Ich hatte noch gar nicht richtig eingefangen zu spielen, da hieß es auch schon wieder: -Jetzt räum alles schön auf, dann nimmst den Tischlappen von der Röhrtüre, wischst den Tisch schön ab und gehst Papa sagen, wir wollen zu Mittag essen, er soll die Kartoffeln aus dem Ofen bringen, du holst dann Teller und Brot. Papa sollte noch paar saure Wassermelonen aus dem Keller zum Zubeißen. Im Winter gab es aber nach dem Mittagessen keine Ruhepausen, in deren Zeit ich spielen konnte. Es ging wieder an die Arbeit. Papa fütterte das Vieh und stellte sich wieder an die Hobelbank. Mama setzte sich an das Spinnrad. So schnurrte es wieder los. Ich mußte vom Tisch aufräumen. Da fand sich noch was: Heina wollte kacken. -Wanja, schnell, schnell knöpf ihn die Hose los und geh mit ihm in den Stall, paß aber auf, daß er nicht in die Grube fällt. Heina hatte es nicht so eilig und wollte vorher alles sehen, was es im Stall gibt. Als wir endlich zurück kamen, war Mama schon unruhig: -Wanja, jetzt aber vorwärts! Mich, daß der Tisch leer wird. Die Teller zusammenstellen und wegtragen. Am Abend waschen wir die. Die Kartoffel- und Wassermelonenschallen den Hühnern hintragen. Hier von der Röhrtür den Tischlappen nehmen und den Tisch abwischen. Bald stehen die Kinder wieder auf. Du aber bist immer noch nicht fertig. Oh, meinetwegen könnten die Kinder noch lange schlafen und wenn bis spät abends. Da meldeten sie sich auch schon. Mama zog sie an, fütterte die. Ich mußte die nassen Wiegendecken auf den Ofen hängen zum trocknen. Dann spielte ich mit den Kindern auf der Schlafbank. In diesen Wintertagen sagte Mama mir oft: Schau nicht so sauer, wie sieben Tage Regenwetter. Der Abend nahte sich und dann fing auch die Besorgzeit an. Papa machte wieder Feuer im Ofen, brachte noch einen Eimer Wasser, damit Mama Wasser und den Kaffeekessel in die Röhre stellen kann, dann ging er wieder in den Stall, besorgen. Wenn es anfing, dunkel zu werden, konnte Mama nicht mehr sehen beim Spinnen. Gewöhnlich war die Spule dann auch voll. Das Spinnrad mußte noch geschmiert werden, denn morgen geht's ja wieder frisch drauf los. -Wanja, bringe mir mal den Schmierlöffel aus der Schüsselbank vom zweiten Brett, zum Fenster näher. Ich schmier hurtig mein Spinnrad. -So, jetzt trag den Löffel auf seinen Platz. In der Dämmerzeit schliefen die Kinder gewöhnlich noch ein Weilchen. Mama sorgte für die Kleinen. Ich holte die tiefe Bratpfanne und den Fetttopf rein. Dann wiegte ich die Kinder, sie schälte Kartoffeln, stellte sie in die Röhre zum Braten. Der Kessel mit den Kartoffeln stand vom Mittag noch in der Ecke. Mama ging die Kühe melken, ich mußte den Tisch zum Abendbrotessen decken. Da kam die Mutter mit der Milch: "Bring mir die Schüssel und das Sieb zum Milch aufsieben". Der Kessel kocht schon in der Röhre, bring die Kaffeedose. Die Kartoffeln muß ich noch salzen, hol das Salztöpfchen. Es wird schon dunkel, bring schnell die Petroleumflasche, damit ich die Lampe fertig machen kann. Heina will pinkeln, schnell, schnell in den Stall, bevor es ganz dunkel wird. Vergiß nicht, den Nachttopf mitzubringen. In aller Eile packte ich den Topf, und mit kurzen Füßen gings herein, auch recht rasch. Doch siehe da! Wir hatten die Stalltür nicht aufgeklinkt, da brüllte eine Kuh laut los. Wir erschraken, daß auch wir wie die Kuh brüllten. Einer lief über den anderen. Die Hosen waren nicht zugeknöpft. Wie fielen beide hin. Der Topf flog wer weiß wohin. Auf diesen Lärm kam auch Papa ins Haus, brachte den Stalleimer mit. Auch die Kleinen wurden wach. Mama holte die Kinder, setzte sie auf die Stühlchen an den Tisch. Papa schöpfte sich Wasser aus der Röhre in die Schüssel, wusch sich. Wir setzten uns alle an den Tisch. Die Petroleumlampe hing über dem Tisch. Die gebratenen Kartoffel schmeckten sehr gut. Nachdem verweilte Papa sich mit den Kleinen, die am Tisch saßen. Mama wusch das Geschirr ab. Ich trug das Brot in den Brotkorb, brachte der Mama die ungewaschenen Teller vom Mittagessen. Wenn ich das saubere Geschirr weggeräumt und die Messer, Gabeln und Löffel abgetrocknet hatte, Mama den Tisch abgewischt hatte, dann die ungewaschenen Teller vom Mittagessen. Wenn ich das saubere Geschirr weggeräumt und die Messer, Gabeln und Löffel abgetrocknet hatte, Mama den Tisch abgewischt hatte, dann waren wir alle fertig, etwas Neues anzufangen. Dann setzte Mama sich auf den Rundlehnstuhl zur Lampe näher, ich brachte ihr das weiße Tuch, sie legte es auf den Schoß, und verpulte fleißig die Wolle, die ich ihr holte. Papa nahm dann den Eimer mit dem Waschwasser und mit dem Spülwasser in den Stall mit und setzte seine Arbeit fort. Ich holte von Papa Kreide. Zu viert bemalten wir den Tisch. Es gab zu jener Zeit so wenig Spielzeug. Wir spielten mit leeren Zwirnspulchen, mit genähten Stoffpuppen, die ein selbst gemaltes Gesicht hatten. Es gab auch einen Lappenball, der mit Wolle vollgestopft war, oder einen kleinen Hampelmann und Klötzchen aus Holz von Papas Hobelbank. Mama schlug mir vor, einen Hahn mit Hühnern zu malen und dann die füttern. Futter geben, mit Kreide auf den Tisch tuckern, verstanden wir alle. Dann wurde es sehr laut. Wenn es dann spät wurde, neun Uhr oder halb zehn, mußten wir alle vier schlafen gehen. Mama legte die Wolle zur Weite, fütterte die Kleinen noch mal, legte sie in die Wiegen und setzte sich wieder zu ihrer Wolle. Papa setzte sich wie immer auf sein Brett, wiegte und sang für die Kinder. Von all den vielen Wiegenlieder klingt mir heute noch Zionslied: O wie selig sind die, die in Jesu allhier, die des Erbteils im Himmel gewiß...usw. Wenn die Kinder dann schliefen zündete er die Laterne an, trieb die Katzen aus den Zimmern in den Stall und fütterte noch zu Nacht das Vieh. Wenn er dann hereinkam, sagte sie oft: Mach noch nicht die Laterne aus. Bring noch Mehl von oben, wir müssen noch Brot anrühren, auch die Hefeflasche hol aus dem Keller. War er fertig, dann löschte er die Laterne, stellte sie in die Ecke an der Tür für morgen früh. Gewöhnlich nahm er dann einen Stuhl, setzte sich näher zu Lampe und half der Mama Wolle verpulen. Hier gab es dann ein Stündchen zum Plaudern über die Neuigkeiten, die im Dorf vorgegangen waren, oder wie und was alles getan werden mußte, was zu Weihnachten gekauft oder gebastelt werden mußte. So kam ein Tag nach dem anderen, ohne besondere Veränderung. Zwei, drei, auch vier Felle Schafwolle mußten am Winteranfang gesponnen werden. Nachdem kam das emsige Strümpfestricken, das bis zum Frühling verrichtet werden mußte, denn im Sommer war keine Zeit für solche Winterarbeit. Füße und Füßchen gab es immer mehr in der Familie, die warme Socken und Strümpfe brauchten. Außer Spinnen und Stricken gab es aber genug andere Arbeit: Kleider nähen und flicken, Socken und Strümpfe stopfen, reinmachen, Wäsche waschen, kochen und backen. Wenn die Zeit es erlaubte, konnte auch noch gehäkelt und gestickt werden. Die Kleinigkeiten, die ich tun mußte, wurden von Jahr zu Jahr mehr und größer, weil ich größer wuchs und die Zahl der Kinder sich vermehrte. Mama hat ihre Arbeit viele Jahre hindurch bis ins Alter hinein gemacht. Aber meine Zimmerarbeit dauerte nur 7 Jahre: ein Jahr vor der Schulzeit und sechs Schuljahre.

Kapitel 19

Der Küchenzettel

Eine große Auswahl von verschiedenen Speisen gab es bei uns nie. Weil im Winter auch so viel gearbeitet wurde, hat Mama sich nie Zeit genommen, um am Küchenherd zu stehen und verschiedene schöne Kosten zubereiten. Dazu war für sie die Zeit zu teuer. Im Winter wurde das Essen nur im Ofen oder in der Röhre gekocht. Hier war es unmöglich, Waffeln, Rollkuchen, Pfannkuchen, Nudeln oder Wareniki (Gefüllte) zu kochen. Am Morgen wurde das Mittagessen in den Ofen oder in die Föhre eingestellt und vor dem Mittag rausgenommen. Die Mittagsspeisen für eine Woche waren ungefähr folgende: Pellkartoffeln, geschmolzene Grieben und saure Wassermelonen. Borscht - Fleisch, Kraut, Kartoffeln, Gewürz in einem Topf gekocht. Am dritten Tag: Hirsegrützebrei mit Soße und kaltem Sauerfleisch (Sülze) dazu. Vierter Tag: Geschälte Kartoffeln im Ofen auf dem Backblech gebacken, dazu geschmolzener Sauerfleischkäse und saure Gurken. Am fünften Tag: Kartoffelbrei mit sauren Tomaten. Der sechste Tag: Bohnensuppe mit Fleisch. Am siebenten Tag: Kartoffeln und gelbe Rübensuppe oder Obstmus. Manchmal gab es auch was anderes, aber das waren die Winterhauptspeisen. Kam erst der Sommer herbei, und der Ofen nicht mehr gefeuert wurde, dann wurde das Essen auf dem Küchenherd zubereitet, dann gab es auch mehr verschiedene Speisen, Mehl-, Milch- und Gemüsespeisen.
6.12.82

Kapitel 20

Sommerarbeit.1918

Wenn erst der Frühling kam und für Mama das Säen, Stecken und Pflanzen im Garten anfing, dann war es gewöhnlich noch zu kalt, um mit den kleinen Kindern draußen zu spielen. Heina konnte schon manchmal alleine mit den Kindern bleiben, und ich half dann der Mama im Garten. Für all das feine Gemüse zog ich die Rinnen mit dem Marker. Das waren nur die kurzen Rinnen, aber für den Mais, für die Zuckerrüben, Sonnenblumen gab es lange Rinnen, solange wie der Garten war. Dann nahm Mama die Hacke, machte Löcher, und ich mußte Körner einschütten. Diese Arbeit machte ich gern. Auch Zwiebeln stecken verstand ich bald. Mama gab mir eine ganze Schüssel voll kleine Zwiebelchen, zeigte mir, wie ich es machen sollte. Ich rutschte dann auf die Reihen entlang. Das dauerte gewöhnlich recht lange. Wenn aber erst das Gemüse aus der Erde vorkam, grün wurde und die Reihen alle schön zu sehen waren und auch das Unkraut wuchs, dann mußte ich aber auch jäten, Unkraut ausreißen helfen. Ich bin die Reihen auf Knien entlang gerutscht und hab das Kraut ausgerissen, während Mama unweit von mir mit dem Schieber die Kartoffelreihen entlang ging und reinmachte. Später bis 25 Jahren habe ich auch so manch einen Hektar Kartoffeln, Mais, Rüben oder Sonnenblumen geschiebert.

Kapitel 21

Rote-Weiße. 1918

Mein Papa war in der Zeit Vorsitzender des Dorfrates im Bauerndorf Klinok. Ich weiß noch, wie er es der Mama erzählte, man habe ihn zum Vorsitzeden (Schulte) gewählt. Mit der Zeit lernte ich verstehen, was der Schulte alles machen mußte und was es überhaupt ist.
Man sprach schon im Winter, es sei eine Oktoberrevolution gewesen, der Kaiser sei vom Thron gestürzt worden. Von all diesem verstand ich damals gar nichts. Wenn ich dann fragte: Was ist das, der Kaiser ist vom Thron gestürzt?, Dann erklärte man mir: Der Kaiser ist der Vorsitzende. Der ist von seinem Regierungsstuhl runtergenommen. Jetzt wird ein anderer Vorsitzender werden. - In welchem Dorf war es? Fragte ich, denn mein Vater war in Klinok Vorsitzender, und die Dörfer ringsum uns kannte ich schon etwas. Darauf war die Antwort: -In Petersburg. Der Vorsitzende regiert das ganze Land. Über das Letzte dachte ich nicht so viel nach, wie über das Erste: Der Kaiser ist vom Thron gestürzt... Ja, was für ein großer, hoher Regierungsstuhl muß das gewesen sein, womöglich wie ein Haus hoch. Gestürzt hat man ihn.. Also, runtergeschubst. Der mußte sich aber sehr gestoßen haben, vielleicht sogar totgeschlagen, Wenn unser Papa sich nur nicht auf einen hohen Stuhl setzte...
Als Papa zum Schulte gewählt war, brachte man uns ins Haus einen großen Schreibtisch, eine Lehnstuhl und verschiedene große Bücher. Am allerwichtigsten war mir der Stuhl, wie hoch er sein würde. Nun der war ja so hoch wie alle andere Stühle. Dann beruhigte ich mich. Wenn er von diesem Stuhl runtergeschubst sein sollte, würde er sich nicht totschlagen. Den Tisch stellte man in die Große Stube, Ich half die Bücher tragen. Papa legte die Bücher in den Schreibtisch.
Eines Tages kamen um die Vesperzeit im vollsten Galopp recht viel Reiter mit Flinten in unseren Hof geritten, ungefähr fünfzehn Mann. Papa war gerade zu Hause und ging in den Hof zu den Reitern. Etliche stiegen sogleich vom Pferd, andere blieben sitzen. Die abgestiegenen Reiter übergaben ihre Pferde den anderen Kameraden und kamen auf Papa zu mit lautem Gespräch. Sie sprachen russisch, ich verstand gar nichts. Papa ging mit diesen zwei Männern in die Große Stube, Ich stand draußen und schaute die Reiter an, plötzlich feuerte ein Reiter eine Kugel ab. Er schoß mit der Flinte stark in die Höhe. Ich erschrak ja über alle Maßen, denn so was hatte ich noch nie gehört. Kann sein, daß er es tat, nur um mich zu erschrecken. Vor Schreck lief ich in den Garten und versteckte mich in die Johannisbeerenhecke. Kurz danach kam Papa wieder in den Hof, er suchte mich und pfiff laut. Dann mußte ich aus meinem Versteck raus und zu Papa gehen. Das wußte ich schon, wenn Papa laut pfeift, müssen wir, Kinder, vor ihn erscheinen. Da überreichte er mir einen Zettel. Den sollte ich zum Nachbar tragen. Dann sollte der Zettel immer weiter von Haus zu Haus getragen werden. Im Zettel stand: "In eine Stunde alle Pferde in das Pferdehock am Dorfsende bringen." Einem anderen Onkel mußte ich sagen gehen, er solle sich aufs Pferd setzen und alle Pferde aus der Herde vom Felde ins Pferdehock treiben. Als nun die Pferde alle im Hock und die Dorfbauern alle beim Hock versammelt waren, kamen auch die Reiter alle hierher. Sie stiegen von ihren Pferden, banden sie von außen am Hock an und gingen ins Hock, suchten sich die besten Pferde aus. Auf wessen Pferd sie zeigten, der Bauer mußte dann sein Pferd fangen und hinausführen. Jeder Reiter sattelte nun sein Pferd um, ließ sein mageres, überjagtes Pferd dem Bauer zurück, setzte sich auf das frische, und mit Kommando jagten sie dann davon. Von einem Widersprechen oder Nicht-einverstandensein war keine Rede, denn dazu waren sie alle bewaffnet, mit Flinten und Säbel. Uns hatten sie auch ein großes Pferd umgetauscht, den Grischka, und ein kleines, ganz überjagtes Pferd zurückgelassen. Das Pferd hatte krumme Vorderbeine. Es stolperte oft. Mit bedrückten Herzen gingen die Bauern nach Hause. Am Abend kam Onkel Wiens, der bei uns über der Straße wohnte, zu uns und erzählte, daß die Roten nachts Dörfer und Garten, alles nachschnauben, sie suchen die Weißen, untersuchen jeden Busch und alle Hecken, ob nicht wo die Weißen versteckt sind. Die nehmen alles gefangen! O, dachte ich, wie gut ist es aber gewesen, daß die Roten damals, als ich in Sorotschinsk auf dem Bahnhof unterm Busch saß, mich nicht gefangen haben. Und übrigens, wie konnten die Onkels das wissen, daß das die Roten seien. Ich konnte nichts rotes an ihnen sehen.
Ein anderes mal, auch in diesem Sommer, kamen die Roten auf unser Hof gefahren. Gleich vom Wagen runter! Einer blieb auf dem Wagen sitzen, zwei kamen gleich ins Haus und fragten sehr laut: "Wo ist der Wirt?" Papa kam auch gleich. Sie gingen alle in die Große Stube. Da gab es einen Schuß. Wir dachten, die haben Papa erschossen. Es wurde aber weiter gesprochen. In kurzer Zeit kamen sie alle wieder heraus, setzten sich auf den Wagen, Papa auch. Er mußte nach Donskoje, in die Wollost, mitfahren. Dort wurde Papa verhaftet. Mir scheint, er hat dort zehn Tage gesessen. Dann hat man ihn losgelassen. Was man von ihm wollte, weiß ich bis heute nicht. Das waren die Roten. Weiße habe ich nie gesehen.
8.12.82

Kapitel 22

Sommerarbeit in meiner Schulzeit

Meine Schulzeit in unserer Dorfschule dauerte sechs Jahre. Es waren nur drei Klassen: erste, zweite und dritte. In jeder Klasse lernten wir zwei Jahre. Ano 1918 fing ich an in die Schule zu gehen und im Frühling beendete ich die Schule mit dreizehn Jahren. Während ich zur Schule ging lernte ich durch meine Schulkameraden bald das ganze Dorf kennen. Es erweiterte sich auch mein Arbeitskreis, weil ich schon von Papa oder Mama Aufträge bekam, irgendwohin zu gehen.
Die Straße unseres Dorfes zog sich vom Süden nach Norden. An der Ostseite war der Fluß. Unser Haus war das zweite vom nördlichen Ende an der Flußseite. Das Land, das dem ganzen Dorf gehörte, lag ganz nahe am Dorf von drei Seiten: Süden, Westen, Norden. Es zog sich aber in die Weite nach Westen, bis sechs Kilometer. Ein jeder Bauer besaß etwa vierzig Hektar Land. Dieses Land war in fünf Teilen geteilt, und jeder Bauer hatte in jedem Teil einen Acker. Jedes Teil hatte seinen Namen: Hausacker, Morgenacker, Hirtenacker, Wiesenacker und der entfernteste Acker hieß Janklee. Diese Namen dienten dazu, um zu wissen, welche Acker besät werden durften, welche stehenbleiben sollten, um Heu zu mähen, und auf welchem Acker der Hirte das Vieh weiden durfte. An der Westseite lagen angrenzend an den Gärten die Hausäcker, mit dem einen Ende nach den Gärten, mit dem anderen nach Westen, zu zwei Kilometer lang.
In der Schule hatten wir ein Gedicht über den Frühling gelernt:
Der Lenz ist angekommen,
Habt ihr es nicht vernommen?
Es sagen uns die Blümelein,
Es sagen uns die Vögelein.
Der Lenz ist angekommen.
Waren erst die Schneeglöckchen verblüht, und die Maiglöckchen fingen sich an zu zeigen, dann fing auch die Arbeit, die Aussaat, auf dem Felde an. Vor beginn der Arbeit ritt Papa gewöhnlich noch auf das Feld und schaute, ob das Land nach der Schneeschmälzung genug trocken sei zum Ackern.
Beim Bauer war der Arbeitstag nie normiert, wie bei einem Kohlenarbeiter, oder bei einem Fabrikarbeiter, der nur sechs oder acht Stunden arbeitet. Der Bauer arbeitete von früh bis spät, nicht nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, nein, noch mehr, von finster bis finster. Die Sommerarbeit hatte auch für mich keine Ähnlichkeit mit der Winterarbeit. Auch ich mußte sehr früh aufstehen. Papa ging die Pferde im Stall füttern und beim Vieh ausmisten. Dann machte er den Wagen fertig, um auf das Feld zu fahren. Er stellte ein Faß auf den Wagen und goß es voll Wasser. Einen Futtertrog, zwei Eggen legte er auch auf den Wagen. Dann putzte er die Pferde. Neben dem Brunnen, der im Stall war, stand ein großer Kibis (ein Faß) von vierzig Eimer, den goß er voll Wasser. Dann legte er zwei Säcke mit Spreu und einen Sack mit paar Eimer Hafer oder Schrot für die Pferde zum Mittag auf den Wagen. Dann legte er die Seile für vier Pferde vor den Wagen. Auch der Reitsattel durfte nicht vergessen werden. Dies war seine Arbeit bis Frühstück.
Mama stand auf und ging sofort die Kühe melken, denn der Hirte trieb auch in aller früh das Vieh auf die Steppe. Dann leuterte (schleuderte) sie die Milch und machte die Dose oder den Korb mit dem Mittagessen für uns, zum auf das Feld mitnehmen, fertig. Für uns, Papa und mich, wurde zu Mittag gewöhnlich folgendes in die Dose eingepackt: Brot, Butter, Eier, Salz, gekochte Kartoffeln mit Schal, manchmal auch ein Stückchen Fleisch, dann auch noch Milch oder Weißer Kaffee.
Zwei Stunden war gewöhnlich Mittagspause, dann waren die Pferde satt, wir konnten weiter arbeiten, mit einer kleinen Zwischenpause, bis Abend. Kamen wir dann nach Hause, gab es aber noch recht viel zu tun. Papa fütterte die Pferde, goß wieder das Faß, das auf dem Wagen stand, voll Wasser auf morgen. Die Sämaschine wurde vorgeholt, geschmiert und an den Wagen gebunden, denn morgen wollten wir säen. Dann wurde der Weizen eingeschüttet. Papa schüttete mit dem Eimer den Weizen ein und ich hielt die Säcke dazu auf. Acht Säcke voll langten für einen Tag zum Säen. Papa schleppte die Säcke, die auf dem Boden waren, dann näher zur Bodentreppe, um sie am Morgen rascher auf den Wagen zu tragen. Ich mußte die Sielen in den Stall tragen, die Dose vom Wagen uns Haus tragen, zwei Säcke gut voll Spreu stopfen und auch Schrot einschütten, auch für den Morgen. Als ich die Säcke mit Spreu füllte, war es schon ganz finster. Elektrisches Licht gab es nicht, so mußte ich im Finstern arbeiten. Spät abends wurde dann bei Lampenlicht Abendbrot gegessen und dann gings zur Ruh. Die Morgen-und Abendarbeit des anderen Tages blieb für mich dieselbe, nur am Tag auf dem Feld statt reiten und eggen mußte ich tagsüber hinter der Sämaschine gehen und aufpassen, daß sich nicht unten die Säscharren verstopfen mit Quickwurzeln und das Säen deswegen mit einmal aufhörte. So ein Tag machte mich dann manchmal todmüde. Weil man den ganzen Tag auf weichem Pflugland ging, konnte man am Abend kaum die Füße vor Schmerzen weiter schleppen. So ging es bis zehn Tage, bis die Aussaat beendet war. Dann folgte aber eine andere Arbeit. Auf dem Hausacker, der hinter dem Nachbargarten über der Straße sich befand, wurden dann noch Sonnenblumen, Mais, Kürbisse, Rüben und Kartoffeln gesät. Sonnenblumen um Öl pressen zu können. Mais für die Schweine. Kürbisse für die Kühe. Zuckerrüben um Syrop zu kochen. Kartoffeln für das Vieh und für uns zum essen. Alles zusammen machte mehr als zwei Hektar. Diese Arbeit dauerte noch drei-vier Tage. Die Kartoffeln wurden einen Tag vorher aus dem Keller gebracht. Das war meine Arbeit. Mama saß oben und schnitt sie in kleinere Teile, bis dann sechs-sieben Säcke voll waren. Am Morgen fuhr Papa auf dem Wagen die Kartoffeln aufs Feld und ich fuhr mit dem Pflug hinten nach. Auf dem Felde spannten wir alle Pferde vor den Pflug, ich mußte reiten, Papa hielt den Pflug und Mama setzte die Kartoffeln hinter den Pflug in die Furche. Den anderen Tag wurde mit einem breiten Pflug (drei Scharren) gepflügt. Vier Pferde wurden gegeneinander gespannt, Papa fuhr allein mit dem Pflug, Mama und ich säten dann Rüben, Mais, Sonnenblumen und anderes. Wenn endlich alles in der Erde war, dann mußte ich dieses ganze Gartenteil mit einer umgedrehten Egge gleich schleppen. Dann war es schön glatt. Hiermit war die Aussaat beendet. Aber nicht die Arbeit im ganzen, o nein, bis zum späten Herbst nur vorwärts und vorwärts.
Die Asche, die vom Winter auf dem Hof lag, mußte zum Damm gefahren werden. Das war eine Arbeit auf einen ganzen Tag. Das machte Papa. Mama hatte immer genug Arbeit, drinnen und im Garten. An solchen Tagen, wo Papa mich nicht brauchte, war ich drinnen ganz Mädchen. Früh morgens Kaffee kochen. Nach dem Frühstück das Geschirr abwaschen, auch die Schleudermaschine. Draußen bei der Hintertür stand eine Geschirrbank. Da mußte das Schleudergeschirr hingetragen zum trocknen, so auch die Milcheimer, die Sei und die Kochtöpfe. Dann sollte ich Stroh holen, um die dicke Milch zu wärmen, damit es Quark gibt. Zu Mittag wollte Mama Wareniki mit Quark zubereiten. Mit Quark fütterte ich auch die kleinen Kücklein, aber die Hühner durfte ich nicht beilassen. Dann wollte Mama die Akazienhecke im Vorgarten beschneiden. Dazu fehlte die Heckschere. Mama sagte: -Wanja, geh zu Peter Becker und frag, ob er nicht so gut sei und uns seine Heckschere borge. Das tat ich gern, aber zuerst mußte ich wiederholen, wie ich sagen sollte. Dann beschnitt Mama die Hecke und ich fuhr die grünen Ästchen mit dem Kinderwagen weg. Am Abend mußte ich die Kälber in das Hock treiben und tränken, dann die Schleudermaschine zusammenstellen, die Sei fertigmachen, für die Schleidermilch und für die Sahne Gefäße unterstellen. Und dann Stroh in die Küche tragen, und Wasser auf dem Herd warm machen für die Kinder zum Füße waschen. Den Tisch zum Abendbrot decken war auch nicht so schwer, da mußte ich Brot aus dem Keller holen, eine Schüssel hinstellen und für jeden einen Löffel hinlegen. Sehr oft gab es zu Abendbrot Brockenmilch. Den Kindern die Füße zu Nacht waschen war auch meine Arbeit. Die Füße wurden täglich gewaschen, weil wir am Tag doch alle barfuß liefen. Zu der Zeit ging Groß und Klein im Sommer barfuß.
12.12.82

Kapitel 23

Mist machen

Mist machen heißt für den Winter Brennung bereiten. Um Mist machen zu können, wurde ein großer Hofplatz schön sauber und gerade gemacht. Kraut und Strauch wurde weggeschafft. Auf diesen großen runden Platz wurde der Mist vom Misthaufen verfahren. Zu dieser Arbeit lud Papa sich einige Nachbarn ein, denn es war eine schwere Arbeit. An so einem schweren Arbeitstag gab es zu Mittag gewöhnlich Klöße oder Nudeln mit schönem Fett übergebraten, gebratenes Schinkenfleisch und Schmantsuppe mit grünem Salat. Den Mist verfahren dauerte gewöhnlich bis fünf Uhr nachmittags, die fremden Onkels gingen nach Hause. Papa spannte zwei Pferde vor die Egge und ich mußte dann den großen Mistplatz eggen und schön gleich machen. Wenn diese Arbeit fertig war, legte Papa die Pferde vor den Wagen. Wir fuhren zum Fluß den Wagen abwaschen und die Pferden die Füße vom Mist abwaschen. Dann mu0ten Groß und Klein, alle die Füßchen haben, den großen Mistkuchen schön gleich treten, ganz glatt trampeln. Nun war es auch ganz Abend geworden, jeder hatte vor sich noch seine gewöhnliche Abendarbeit. Einen Tag wenigstens mußte dieser fertiggemachte Mistplader liegen, damit er von oben trocknete, so daß man drüber gehen konnte, ohne Löcher zu machen oder Spuren zu hinterlassen. Dann wurde der Mistplatz mit dem Spaten zu Ziegeln verstochen. Den viereckigen Spaten nannten wir Mistschneider. Die Mistziegel waren so groß wie ein Heftenblatt. Jede Ziegel wurde auf die kannte gestellt, damit sie besser trocknen konnte. Das Ziegelnschneiden war nicht leicht. Das machten Papa und Mama. Es dauerte gewöhnlich drei bis vier Tage.

Kapitel 24

Das Hausverschmieren

Das Haus verschmieren und ankalken oder anweißen mußte man einmal im Jahr. Papa brachte dann einen Wagen voll gelbe Erde (Lehm) nach Hause. Er fuhr auch zum Fluß nach Wasser. Ich mußte mich aufs Pferd setzen und den Lehm durchkneten, er schüttete inzwischen Spreu und Wasser drauf. Endlich war die ganze Masse fertig. Ich durfte dem Pferd die Füße waschen. Mama schmierte den Lehm in zwei-drei Tagen aus. Bei den deutschen Bauern in Rußland war es Brauch und Sitte, zu Pfingsten mußte der Mist und das Haus gemacht werden. Wer es nicht geschafft hatte, wurde als fauler Bauer gestempelt oder genannt.
Bis zu Pfingsten war aber noch eine wichtige Arbeit zu verrichten. Das war eine Arbeit für die großen Mädchen. Die Vorgärten mußten schön sauber gemacht, das Unkraut vertilgt. Dann wurde mit der eisernen Harke geharkt. Das mußte korrekt, schön gemacht. Der ganze große Hof mußte von Unkraut reingemacht und geharkt, dann mit dem Besen gekehrt werden. Diese Arbeit wurde am Sonnabend vor Pfingsten gemacht. Gewöhnlich brauchte man dazu einen ganzen Tag. Wenn jemand noch einen zerbrochenen Zaun hatte, selbstverständlich mußte auch der Zaun in Ordnung gebracht. So mußte zu Pfingsten die Wirtschaft blitz und blank sein. Was hatten denn die Mädchen damit zu tun? Das Volksmund spricht: Was du siehst an ihrem Garten, kannst du von ihr selbst erwarten. Ws gibt auch noch ein Sprichwort: Ordnung und Reinlichkeit jede Hausfrau erfreut. Man sagte auch, was ich viel später erfuhr: Willst du wissen, was aus deiner Frau noch werden kann, dann schau dir nur gründlich ihre Mutter an.

Kapitel 25

Pfingsten

Pfingsten war ein großer Feiertag. Pfingsten war auch immer ein Tauffest in der Kirche am Vormittag. Zur Kirche fuhr man immer mit Pferden. Die Kirche war im Nachbardorf Pleschanowo fünf Kilometer entfernt. Zum Tauffest durfte ich mitfahren. Das war ein großes Vergnügen. Am Nachmittag durfte ich auch spazieren gehen, das heißt, mit den anderen Jungen spielen gehen. Aber zur Besorgzeit mußte ich wieder zu Hause sein, denn meine Abendarbeit blieb ja immer für mich.
Noch ein großes Vergnügen gab es am Sonntag für die Jungen meines Alters. Wir durften gleich nach dem Mittagessen die Pferde aufs Feld zur Herde bringen. Über Mittag lag das Vieh an der Tränke. Auch für uns war die Tränke ein schöner Aufenthaltsort. Da war eine Quelle, wo das Wasser von selbst aus der Erde, aus dem Berg floß, und die Tränktröge füllten sich von selbst.
Es gab noch eine Freude am Sonntag. In einigen Familien gab es keine große Jungen. Nach ihrer Kirchenfahrt durften wir ihre Pferde auch aufs Feld zur Tränke mitnehmen. Das Schöne dabei war, das wir auf fremden Pferden reiten durften. Die fünf Kilometer zurück zu Fuß machen, war uns nie zu weit, hier waren wir allein, hier waren wir im Freien, hier verging auch manchmal der ganze Sonntagsnachmittag.

Kapitel 26

Werktage

Der Mist mußte noch einige Male umgesetzt werden, damit er von allen Seiten trocknen konnte. Zuerst wurden kleine Türchen aufgestellt: zwei Ziegeln stehend, eine oben querüber, denn sie waren ja noch sehr naß. Diese Arbeit machten Mama und ich. Papa war bei einer anderen Arbeit. Jede Ziegel mußte umgedreht werden, damit die nasse Unterseite vorkam und schneller trocknete. Diese Arbeit dauerte manchmal zwei Tage. Krumm und gebückt, am heißen Sommertag, wurde man todmüde, der Rücken schmerzte sogar. Mama sagte mir Trostworte: Du bist kleiner, als ich. Dir fällt das Bücken nicht so schwer wie mir. Fleißige Hände machen der Arbeit bald ein Ende. Der Mistflecken war für mich viel zu groß. Alle Trostworte halfen nur sehr wenig, besonders wenn Mama zu den Kleinen gehen mußte, oder das Mittagessen zubereiten. Dann blieb ich eine ganze Stunde lang allein bei dieser Arbeit. Aber nicht ohne Aufsicht, inzwischen schickte sie dann Heina, der sollte schauen gehen ob ich auch arbeite, oder sie kam dann selber und schaute wie die Arbeit ging. Hatte ich zu wenig gemacht, dann fragte sie auch ob sie es sollte Papa sagen. Das war ja auch ein schönes Rezept, damit die Arbeit schneller ging. Froh war ich immer wenn wir erst die Mistarbeit gemacht hatten, aber dies war noch nur der Anfang. so wurde der Mist noch zweimal umgesetzt, bis er dann zum Winter zur Ort und Stelle kam.
Es gab Tage wo Mama und ich, beide beim Mittag kochen beschäftigt waren. Diese Arbeit, das war ja nicht mistaufstellen, die war viel leichter, aber oft schmerzlicher. Ich war ja immer Laufbursche denn beizutragen und zu holen war ja immer was, und hatte ich dann mal etwas vergessen dann sie mir auch einen Denkzettel und drehte mir die ungehorsamen Ohren zurecht - aber der Kinderfreund hatte Ruhe. Spielten die Kinder draußen, dann nahm sie auch manchmal Papas Riemen, der an der Tür hing und staubte mir den Buckel. Und manchmal beschwichtigte sie mich sogar, das ich sollte augenblicklich aufhören zu weinen... - geht so was? Ja manchmal konnte ich die Tränen unterdrücken und war ich dann etwas frei, dann ging ich irgendwo im Versteck und weinte so viel mehr aber nicht vor Schmerzen - vor Wehmut.

Kapitel 27

Die Krähen

Die Krähen gehören zu den Zugvögeln. Die Saatkrähen bringen dem Landmann große nutzen. Sobald der Bauer sich auf dem Acker zeigt, wo er das Land bearbeitet, so sind auch schon die schwarzen Krähen da und sammeln auf der frisch bearbeiteten Erde die Käfer, Raupen, Würmer. Sie sind nicht besonders furchtsam, sie nähern sich dem auf dem Felde bis auf einen Steinwurf. Aber sie bringen auch Schaden und in dieser Zeit sind sie auch schwer abzuhalten. Schon im frühen Frühling, wenn sie erst da sind und die Felder noch ziemlich mit Schnee bedeckt sind, dann suchen sie ihr Futter auf den Strohdächern des Bauernhauses. Wenn sie nicht ständig vertrieben werden, dann machen sie zu weilen große Löcher im Strohdach.
Unser Haus hatte ein Bretterdach, uns konnten sie nicht Schaden machen.
Ein anderer Schaden war, wenn der Mais in Reihen aus der Erde sich zeigte, dann waren auch schon die Krähen wie gerufen da. Sie gingen dann die Reihen entlang, zogen mit ihren langen Schnäbeln die jungen Pflanzen aus der Erde und pickten das Maiskorn auf. Wenn die Krähen in dieser Zeit nicht beständig vertrieben wurden, dann räumten sie den Acker so auf, daß es aber auch gar nichts mehr gab. Besonders schlimm schafften sie früh morgens, wenn es gerade graute, bis Sonnenaufstand. Dann zogen sie sich mehr zurück. Krähenwächter war ich mehrere Jahre. Früh morgens wurde ich geweckt. Ich mußte mich warm anziehen, denn in der Frühe war es ja noch recht kühl. Ich nahm einen langen Stock mit einem Lappen dranngebunden, oder einen alten Eimer mit. Dann ging ich auf den Hausacker und, wenn die Krähen ankamen, dann drehte ich mit dem Stock den Lappen in der Luft oder klapperte mit dem Stock am Eimer und machte Lärm. Lustiger ging diese Arbeit, wenn der Nachbarjunge Hans Dyck auch auf dem Felde war. Zusammen tobten wir dann auf der Steppe rum.
Wenn im Herbst der Mais und die Sonnenblumen begannen zu reifen, dann machten sich auch wieder die Krähen recht fleißig dran. Dann war nur eins zu machen so schnell wie möglich die Frucht einbringen.

Kapitel 28

Gewöhnliche Arbeit

Die Zeit ging. Schon waren die Sonnenblumen, der Mais, die Kartoffeln in langen Reihen zu sehen. Auch das Unkraut blieb nicht hinten, damit tüchtig gekämpft werden mußte. Die Reigen, wie auch die Zwischenreihen, mußten von Unkraut ganz rein gemacht werden. Papa hielt dann die Karre. Das ging auch gar nicht so schlecht, nur wenn es erst heiß wurde, dann wollte das Pferd wegen den Stechmücken und Fliegen oft ziemlich unruhig werden und nicht immer schön zwischen den Reigen gehen. Zwei-drei Tage wurde alles durchgekarrt: der Hausacker, der Garten, die Vorgärten. Nachdem kam das Schiebern der Reihen selbst. Wenn ich helfen konnte, wo Papa auch dabei war, dann habe ich oft mit Lust gearbeitet. Ich weiß nicht, war ich dann fleißiger, ich wurde wenigstens nicht so oft gescholten. Wenn wir dann von früh morgens alle drei: Papa, Mama und ich, schieberten, so kam aber auch die Zeit, wo das Mittagessen zubereitet mußte, dann ging Mama etwas früher nach Hause. Gab es aber ein Mittagessen, welches ich schon zubereiten konnte, dann mußte ich nach Hause gehen, um es zu machen. Ich kochte Pellkartoffeln, machte Zwiebelfett mit Schinkenfleischsperkel, bratete für jeden zwei Eier, für Papa und Mama zu drei, holte die dicke Milch aus dem Keller und machte Schmantsuppe. Ich holte grünen Salat aus dem Garten, wusch ihn ab, schnitt ihn fein, etwas Salz, paar Löffel Schmand dazu, schlug alles mit dem Löffel durch - fertig war die Schmantsuppe. Wenn Mama im Garten schieberte, und ich Mittag machen mußte dann lernte ich mit der Zeit immer besseres zubereiten. Wenn ich was nicht wußte dann konnte ich schnell mal fragen gehen. Waffeln, Löffelkuchen, Pfannkuchen, Klöße, Nudeln, Krautsuppe, Milchsuppen aus frischer, saurer Milch usw. Als ich die Dorfschule endete, hätte ich auch für einen Koch das Examen ablegen können.
So, einmal ist nun alles gekarrt und geschiebert, aber alles Gemüse mußte drei mal im Jahr von Unkraut gereinigt werden. Jetzt aber, da es schönes Wetter war, ist der Mist sehr getrocknet, und muß nun zum zweiten mal umgesetzt werden, damit er noch besser trocknen kann. Diese Arbeit wurde jetzt vorgenommen. Es wurden jetzt größere Miststappeln gemacht. Mama und ich waren beim Mistaufsetzen beschäftigt. Papa bereitete schon die Mähmaschinen, denn in den nächsten Tagen mußte Gras gemäht und Heu gemacht. Wenn in den ersten Jahren Mama mit der Mähmaschine gefahren ist, so kam aber die Zeit, wo ich schon groß genug war und auf dem Feld Papa helfen konnte. Ich fuhr dann mit den Pferden, Papa saß hinten auf der Mähmaschine und scharrte das Gras von der Maschine. Diese Arbeit habe ich immer mit Lust und Liebe getan. Wenn wir dann alle unsere Grasfelder abgemäht hatten, was höchstens eine Woche dauerte, dann haben wir ebenso der Reihe nach auch all das gemähte Gras, das jetzt schon trocken war, in kleine Haufen zusammengelegt. Das Zusammenlegen nahm lange nicht so viel Zeit in Anspruch wie das Mähen. Die nächste Arbeit war dann: zu Hause den Wagen verlängern, anders gesagt: den Leiterwagen zusammenstellen. In zwei Stunden war er fertig. Die Sielen vorlegen, die große Heugabel und die Schleppharke auf den Wagen legen - das war immer meine Arbeit. Auch mit den Pferden fahren durfte ich immer, aber nur mit dem leeren Wagen. Mit dem vollen Wagen, mit dem Fuder, ist anfänglich Papa immer gefahren, aber mit der Zeit konnte ich auch diese Arbeit tun. Heu gab es viel, oder weniger, je nachdem, ob es passend geregnet hatte, oder nicht. Wir haben manchmal im Sommer bis fünfzehn Fuder Heu nach Hause gefahren. Drei-vier Fuder Heu nach Hause bringen, war gewöhnlich eine Tagesnorm, je nach dem wie weit die Heufelder waren. Zu Hause lud Papa das Fuder ab. Ich legte den Heuhaufen und machte meine Arbeit so gut ich konnte. Hier war es ja ein Vergnügen, statt in der Küche zu stehen.

Kapitel 29

Die Schwarzebrache

Im Frühling, sobald die Aussaat beendet war, der Garten und Hausacker auch besorgt waren, dann wurden noch ein Acker von drei oder vier Hektar für den Roggen gepflügt. Dies nannte man Schwarzbrache, weil dieser Acker zwei- manchmal auch dreimal gepflügt wurde, bis dann Ende August der Winterrogen gesät wurde. Die Schwarzbrache pflügte Papa mit einem dreischärigen Pflug, vier Pferde gegeneinander. Das dauerte gewöhnlich zwei Tage. Dann wurde der Acker noch geeggt. Ich mußte reiten, mit der Egge fahren. Papa ging hinter der Egge, hob sie von Zeit zu Zeit an und Machte dann die Krautwurzeln alle ab, damit das Land auch wirklich sauber und schwarz war. In zwei Tagen wurden die Krautwurzeln alle trocken, dann fuhren wir die nach Hause. Das war ausgezeichnete Brennung für die Küche. Nach der Heuernte wurde die Schwarzbrache zum zweiten mal gepflügt und geeggt.

Kapitel 30

Vorbereitung zur Dreschzeit

Wenn erst die Ernte anfing, dann durften keine andere Arbeiten gemacht werden. Dann mußte es wahrhaftig vorwärts gehen, um nur so schnell wie möglich das Getreide einzubringen. Darum mußte zuerst alles schön durchdacht werden. Aber er Hausacker, die Kartoffeln, der Mais, die Sonnenblumen alles war schon wieder grün voll Unkraut. Ob wohl oder übel, aber es mußte unbedingt noch einmal gekarrt und geschiebert werden. Die Saatfelder waren schon Ährenfelder geworden und standen in der Blütezeit. In einigen Tagen wird man sagen: Die Ährenfelder sind zu Erntefelder geworden, und das heißt
Reif sind die Ähren,
Weiß sind die Felder.
Schnitter,
Nun leget die Sichel an.
Aber jetzt gab es für mich noch Hausarbeit. Papa sollte die große Wassertonne aus dem Keller holen. Ich sollte in der Laugwasser machen. Das hatte ich schon oft getan. Also ist morgen Waschtag. Dann gibt es wieder genug zu laufen. Jetzt mußte ich die Tonne voll gießen. Ich suchte zwei Stöcke, legte sie oben auf die Tonne, stellte den Spreukorb drauf, legte etwas Stroh in den Korb und machte ein Nest mit dieser Asche und fing an, langsam die Asche naß zu machen bis es begann zu tropfen. Dann goß ich schon etwas mehr Wasser hinein. So mußte von Zeit zu Zeit Wasser draufgegossen werden bis die Tonne voll war. Da hatte ich den ganzen Tag Arbeit.

Kapitel 31

Der Waschtag

Früh morgens schon, wenn Mama die Kühe melken ging, Papa seine Arbeit im Hof machte, war auch schon für mich Arbeit. Brennung in die Küche tragen, das Laugwasser aus der Tonne in den Mauerkessel tragen, zu heizen beginnen, damit das Wasser heiß wird, denn gleich nach dem Frühstück sollte es ja losgehen. Nach dem Essen sagte Mama: So, ich geh jetzt die Kinder aus den Posen (Betten) treiben, denn ich will alle Bettsachen waschen: Laken (Leintücher), Kissenbezüge, Deckenbezüge - alles, alles. Du holst mir aus dem Keller die Waschbalge, stellst sie mir auf die Bank. Im Keller liegt in der alten Schüssel die Seife, nimmst ein Stück davon, bringst es hoch. Dann nimmst eine Schüssel und schneidest die Seife in kleine Schilwer und gießt heißes Wasser drauf. Ja, und die Waschrubbel mußte noch gebracht werden. Dann stellte Mama sich an die Waschbalge und fing an zu waschen.
Heute weiß kaum noch jemand, was diese Begriffe bedeuten: Laugwasser, Waschrubbel oder Waschblech, Waschbalge, Mangelholz, Mangelstuhl usw. Wer heute keine Waschmaschine hat und keine schöne Waschmittel, der kann heute wirklich nicht waschen.
Jetzt wollen wir mal sehen, wie dicht gedrängt voll Arbeit ein Waschtag für mich war.
Mama wollte sich vom Waschen gar nicht abreißen lassen. Ist ja auch selbstverständlich, auch bei ihr sollte alles immer vorwärts gehen. Hier, neben ihr war auch meine Arbeit. Die Einleitung gab sie mir schon am Frühstückstisch: Heute, Wanja, gibt's viel zu schaffen. Schmier dir nur die Ferse! Und dann immer vorwärts! Das war der Anfang. -Ich hab heute eine große Wäsche, ich brauche viel Wasser. Geh, gieß nur immer noch Wasser auf die Lauge. Dann hurtig das Geschirr und die Schleudermaschine abwaschen! Aber erst noch die Milch und den Schmant in den Keller tragen! Dann schrie sie in die Stuben hinein: Kinder, jetzt mal ruppig an den Tisch! Wanja will das Geschirr abwaschen. Schnell an den Tisch, und tobt nicht in den Betten rum! Da kam Neta schon angelaufen: Mama, Abram hat so gestankert mit den Füßen, daß das Unterbett zerrissen ist, die Feder fliegen raus. Nun kamen die Kinder auch zum Tisch, aßen und gingen draußen spielen. Heina sagte Mama dann, geh schau mal, ob die Hühner nicht bei den Stachelbeeren sind. Treib sie alle aus dem Garten. Schaut auch, wo die Kluck mit den Kückelchen ist. Paßt nur auf, daß der Habicht nicht die Kücklein nimmt!
Wanja, die Betten trage auf die Hecke, damit sie gut aussonnen! Aber das zerrissene Unterbett laß vorläufig liegen. Sie wusch und wusch, rubbelte und rubbelte... Inzwischen sagte sie: Ja, aber was werden wir uns heute zu Mittag machen? Grüne Bohnensuppe mit einem Schinkenknochen. Wanja, hol den Knochen aus dem Keller, und Kartoffeln auch! Und aus dem Garten eine Schüssel voll Bohnenschuten! Dann gibt es ein gutes Mittagessen. -Na, Mama sagte ich schon ganz verlegen,- so viel soll ich tun! Heina kann ja auch was tun. Dann hörte ich sie sagen: Heina wird schon helfen. Mach nur, daß du vorwärts kommst, und fang nicht wieder an zu brummen! Das Brummen hatte schon öfter mit einem "O, weh!" geendet, darum zog ich dann das Schweigen vor, um Papa die Kindesstrafenarbeit zu sparen. -Na, Mama, was soll ich denn jetzt zuerst tun? - Geh, hol vom Hof trockene Miststücke, denn heute haben wir keine Zeit mit Stroh zu heizen, der Schinkenknochen muß aber lange kochen. So, jetzt hol den Schinkenknochen, wasch ihn schön ab. Mit dem Beil hackst ihn auf die Hälfte, legst ihn in den Kessel, gießt Wasser drauf, soviel ungefähr, daß eine Handbreite von oben ohne Wasser bleibt. Sie wusch und wusch, rubbelte und rubbelte... -So, jetzt hol Kartoffeln aus dem Keller! -Gut. Jetzt geh und bring aus dem Garten eine kleine Schüssel voll Bohnenschutten. Auch das war getan. Dann sagte sie weiter beim Waschen: Gleich werde ich die Kartoffeln schälen und die Bohnenschuten verschneiden, dabei kann ich bißchen ruhen. Du holst jetzt den Stalleimer, nimmst den Schöpfer und schöpfst das schmutzige Wasser aus der Balge, dann trägst es raus. Auch mit diesem war ich fertig. -Auch ich bin fertig, sagte sie dann. Ich werde jetzt weiter waschen und du schaffst mit dem Essen weiter. Die geschälte Kartoffeln und die geschnittene Bohnenschuten schön abwaschen und in den Kessel rein, dann Salz, Lorbeerblatt, eine Zwiebel und Pfefferkraut dazu. Auch damit wurde ich endlich fertig. -Siehst du, sagte sie dann, du kannst schon gut helfen! Und jetzt trag die Bettsachen noch alle auf die Hecke. Aber leg sie nur dicht aneinander, damit auch für meine Wäsche noch Raum auf der hecke bleibt. So ging es bis Mittag ohne Rast. Ich brauchte nicht denken: was mache ich nun weiter. Dazu war Mama dabei. Die wußte immer, was weiter getan mußte. Auch am Nachmittag setzten wir fort.
Mama ging wieder an die Wäsche, die Kinder mußten spielen gehen. Ich mußte Wasser holen, den Kessel auswaschen und voll Wasser gießen, dann es heißmachen und das Mittagsgeschirr abwaschen. Hatte ich den Tisch abgeräumt, dann mußte ich bißchen Mehl holen. Schrittweise lernte sie mich, wie ich Kraftmehl für die Wäsche koche. Hatte ich das geschafft, mußte ich noch das Blaus aus der Schüsselbank vom oberen Brett der Mama bringen.
Dann bekam ich eine Arbeit, die ich nie im Leben vergessen werde. So sagte Mama mir: -Jetzt hol den Fleckersack von drinnen aus der Kiste. Ich zeig dir, was für ein Flick du nehmen sollst. Dann wirst du das Unterbett flicken. Du siehst doch, daß ich keine Zeit habe. Erst nähst den Riß bißchen zusammen und dann nimmst das passende Flick, nähst es schön an. Ich nahm das Unterbett, ging raus, setzte mich an die Wand in den Schatten und begann... Was begann ich? Zu weinen... Zu weinen und zu flicken. Zu flicken und zu weinen. Natürlich kam es ja nur schief und kriglich aus. Aber das Loch war zu. Und die Federn blieben drin - das war die Hauptsache. Wie es ausgesehen hat war Mama egal, mir war es schon zehnmal egal. Mama trug die Wäsche auf die Hecke zum trocknen, hatte aber schon alle Winterstrümpfe in Waschwasser zum aufweichen gelegt. Die mußte ich jetzt waschen und zur Hecke bringen, dann wieder all das dreckige Wasser hinaustragen. Ich goß aus der Tonne das letzte Laugwasser, stülpte die Tonne um, damit sie bißchen betrocknete, ebenfalls auch die Balge, denn morgen mußte alles in den Keller getragen werden, damit es nicht vertrocknete. Die Holzgefäße zerfielen auch manchmal, wenn sie nicht zur Zeit in den Keller gebracht wurden. Der Abend war schon ganz nah. Mama nahm schon die trockene Wäsche von der Hecke, legte sie zusammen. Aber die dunkle Wäsche und die Strümpfe blieben noch auf der Hecke. Ich trug die Bettsachen hinein, jedes Stück in sein Bett. Da kam auch schon die Kälberherde. Ich trank die Kälber und trieb sie ins Hock. Stellte die Schleudermaschine fürs Schleudern zusammen, holte den Schmanttopf, stellte die Milcheimer fertig, die unmöglich zubeschreiben. Aber eins davon möchte ich doch erwähnen: Da kommt Mama vom melken, seit die Milch auf und spült den Eimer aus. Dann geht sie in den Stall das Spülwasser ausgießen, weil dort der Ständer für die Schweine steht. Im Ständer ist immer: Geschirrwasser, Brotbrocken, sauergewordene Milch, Kartoffelschalen und anderes. Doch da! O weh! Ein Kücklein liegt da drin versoffen. Sehr laut ruft Mama mich: Komm mal her! Ich vernehme schon an der Stimme - es ist wieder was los. Ich komme, sie packt mich am Arm und zieht mich zum Ständer näher. -Schau mal, was da drin liegt! Hab ich dir nicht hundertmal gesagt, du solltest nicht vergessen den Ständer zuzudecken.?! Dabei bemerkte sie noch, daß die Klucke mit den Kücklein bei den Pferden unter den Füßen saß. -Du mußt sie in ihre Ecke treiben! Und da will womöglich eine Henne brüten, sie sitzt im Nest. Jag sie runter! Nimm die Eier aus dem Nest, damit die sie nicht bebrüht!
Nach dem Abendbrotessen und Füßewaschen mußten die Kleinen zu Bett gehen. Plötzlich kam einer rausgesprungen: -Mama, da brummt ein Schmetterling an der Fensterscheibe. Ich hab Angst und gehe nicht schlaffen. Dann mußte ich den Schmetterling fortjagen und bei den Kindern bleiben bis sie schlafen. Die Nacht brachte dann auch mir die erwünschte Ruhe.

Kapitel 32

Der folgende Tag

Die vergangene Nacht hat alle Müdigkeit genommen. Der Tag hat Frohsinn mitgebracht. Der heutige Tag wird viel lustiger vergehen, als der gestrige. Denn heute muß die Wäsche gemangelt werden, das brachte viel mehr vergnügen. Nach dem Frühstück hatten wir schon alles abgewaschen und die Stuben ausgekehrt, dann machte Mama die Wäsche fertig, ich holte den Kinderwagen, wir packten die Wäsche ein. Wir fuhren mangeln (bügeln, die Wäsche glatt machen). Der Mangelstuhl oder der Mangeltisch stand in der Schule, in der Hinterveranda. Hier konnten alle Dorfbewohner ihre Wäsche mangeln. Es hat sich auch getroffen, daß einer schon da war, der seine Wäsche mangelte, dann mußten wir warten. Für mich war das kein Ärgernis. Ich konnte kann auf dem Schulhof spielen. In paar Stunden hatten wir doch unsere Wäsche glatt und fuhren nach Hause. Papa hatte in dieser Zeit schon ein Wagen Lehm nach Hause gebracht. Jetzt sollte wieder Lehm gemacht werden. Dann gab es für mich Arbeit draußen bei Papa. Hier konnte ich reiten und nachdem der Lehm fertig war dem Pferd die Füße abwaschen. Diese Arbeit war viel lustiger, als gestern das Unterbett flicken. Papa hatte gestern die Scheune ganz leer gemacht. Jetzt sollten die Diele und alle Löcher in der Wand verschmiert werden. Hierher sollte dann in der Dreschzeit das gedroschene Getreide alles eingebracht werden. Ich konnte schon beim Dielenverschmieren helfen. Aber morgen gibt es wieder harte Arbeit. Davon wurde schon am Frühstückstisch gesprochen.

Kapitel 33

Heute ist wieder Misttag

Ein müßiges Bauernleben gibt's nicht. "Wenn du, o Bauer, oft gesessen, dann hast du später nichts zu fressen." Die Zeit geht. So langsam wurden die anderen Kinder auch an die Arbeit gezogen, weil doch eine Arbeit die andere trieb. Die Erntefelder werden schon weiß, aber der Hof ist noch nicht zur Ernte fertig. Heute beim Frühstückessen sagte Mama: "Papa hat seine Arbeit. Der hat keine Zeit uns zu helfen. Wenn die Kinder aufstehen, müssen Heina und Neta den Tisch abräumen und das Geschirr abwaschen. Wir beide werden heute den Mist aufräumen, denn die Dreschdiele (Tenne) muß abgeräumt werden. Der Mist, der hier auf dem Hof in kleine Häuflein gesetzt war, der schon beinahe trocken war, mußte abseits in einen großen Mistwall gesetzt werden, damit er zum Winter doch noch ganz durchtrocknen konnte. Papa wies uns, wohin wir den Mistwall setzen sollten. Ich nahm den alten Kinderwagen, und die Arbeit ging los. Ich legte ihn voll Mistziegeln und fuhr ihn dahin, wo der Wall sein sollte. Dort luden wir mit Mama den Wagen aus, und Mama setzte von den Mistziegeln einen Wall auf, ein Meter breit, zwei Meter hoch, in die Länge ging es so weit wieviel Mist war. Etwas später kamen auch die Kinder raus, die mir halfen den Wagen laden und schieben. Selbstverständlich war es mir dann leichter. Der ganze feine Mist, der auch Brand war, mußte auch zusammengescharrt und weggefahren werden. Mama scharrte mit der Harke zusammen, ich lud es mit der Mistschaufel in den Wagen und fuhr es weg. Manchmal gab es sehr viel von dem feinen Mist.

Kapitel 34

Kindervergnügen

Der ganze Hof war leer und sauber. Hier konnte jetzt die Dreschdiele gemacht werden. Am nächsten Tag, gleich nach dem Frühstück, stellte Papa das Wasserfaß auf den Wagen, spannte die Pferde ein und fuhr zum Fluß nach Wasser. Dann goß er den ganzen Hofplatz naß. Er mußte mehrere Male nach Wasser fahren bis der ganze Hof wirklich naß war. In dieser Zeit mußte ich mit dem Kinderwagen Stroh vom Strohhaufen fahren und auf dem naßgemachten Hof ausschütteln. Hatte Papa genug Wasser gefahren, dann kam er noch mit dem großen Wagen zum Hof gefahren und half mir. Ungefähr zehn Zentimeter dick mußte das Stroh auf dem Hof liegen. Erst jetzt kam das Kindervergnügen: Wir legten die Pferde vor die Mähmaschine. Ich durfte mit den Pferden fahren, und die Kinder durften alle hinten auf der Mähmaschine sitzen. Die Mähmaschine hatte ein großes breites Gußrad. Damit wurde der Hof befahren, immer rundherum, damit der ganze Hof eine schöne, glatte, feste Oberfläche bekam. Es nahm zwei Stunden in Anspruch. Mir wurde es nie zu lang. Diese Strohdecke blieb auf dem Hof bis Ende der Erntezeit.

Kapitel 35

Die Getreideernte

Steht auf nun, ihr Leute! Der Hahn hat gekräht.
Schon singen die Vögel, die Morgenluft weht.
Die Kleider vom Nagel! Den Hut von der Wand!
Greift hurtig den Rechen! Die Sichel zur Hand!
Ihr Mägde - in die Gärten! Ihr Knechte - aufs Feld!
Und hurtig den Garten, den Acker bestellt!
In der Erntezeit war das Bauernleben besonders schwer. Die Nächte waren sehr kurz. Die Ruhepausen am Nachmittag fielen ganz ab. Alle Kräfte wurden drangelegt, die schönen Tage auszunützen, um das Getreide unter Dach zu bringen. Zum Essen war kaum Zeit. Mit kleinen Kindern in der Familie wird es manchmal doch wirklich traurig ausgesehen haben, wenn wir, Kinder, zu Hause allein gewirtschaftet haben. Gewöhnlich wurde beim Frühstück alles bestellt, was ich zu Hause machen sollte, während die Eltern auf dem Feld mähten. Es war manchmal so viel, daß doch etwas vergessen wurde. Am Frühstückstisch sagte Mama: Wenn die Kinder alle aufgestanden sind und gegessen haben, dann trägst alle nasse Kinderbettsachen auf die Hecke zu trocknen . Wenn die Uhr neun schlägt, dann packst den Kleinsten, Abram, schön in den Kinderwagen ein. Machst die Türe aber alle richtig zu, damit die Hühner nicht reinkommen und auf den Tisch noch fliegen. Dann könnt ihr alle aufs Feld kommen, wo wir mähen, damit ich Abram füttern kann. So eine Fahrt war für uns alle eine große Freude. Mama fütterte, ich konnte in der Zeit einen Kreis mit der Mähmaschine fahren. Vor dem Zurückfahren bestellte Mama noch, was ich alles zu Mittag zubereiten sollte. Ich sollte Stroh in die Küche tragen, Wasser bereitstellen, den Schinken aus dem Keller holen usw. Wenn die Eltern vom Feld kamen, fütterte Papa erst die Pferde, dann zog er die Maschinensense aus der Mähmaschine. Die Sensen mit ihren vielen Messerklingen mußten auf dem Schleifstein geschärft werden. Dabei mußte ich immer den Schleifstein drehen. Es waren gewöhnlich zwei Sensen. Beim Mähen wurden die Sensen stumpf, dann mußte inzwischen eine scharfe Sense eingestellt werden. Nach dem Schärfen mußte ich Schmier in das Schmiertöpfchen gießen. Beim Mähen wurde die Mähmaschine inzwischen geschmiert. Jetzt wurden wir gerufen zu Mittag essen. Mittagessen - das war doch immer was Schönes . Dazu ließen wir uns nicht lange rufen. Da ging es uns so wie in einem Gedicht gesagt ist: Und wenn's zum Mittagessen ging, da war er ganz besonders flink. Das Essen hat uns zu jener Zeit immer gut geschmeckt. Da durfte auch im geringsten nicht gesagt werden: Das schmeckt mir nicht. Da war eine feste Regel und Ordnung: Alles was gekocht ist, essen wir. Was anderes gibt's nicht. Zwischen den Mahlzeiten gibt es auch nichts. Nach dem Mittagessen wurde wieder eingespannt. Die Eltern fuhren wieder mähen. Ich hatte auch eine Reihe von Arbeiten zu erledigen: die Kälber tränken, für die Schweine einen Korb voll Unkraut im Garten rupfen, den Klucken Wasser geben, die Kälber wieder austreiben, die Hühner aus dem Garten treiben, damit sie nicht alles anpicken, Stroh für den Abend in die Küche tragen, den Mittagstisch abräumen, mit den Kindern spielen.
Einmal in der Woche wurde auch gebuttert. Im Sommer war das meine beständige Arbeit. Manchmal mußte ich sehr lange buttern bis es dann endlich Butter gab. Dann sagte Mama gewöhnlich zu Papa, er solle doch den Kühen die Mäuler austeeren. Das war Arznei für die Kühe, damit das Buttern nicht so lange dauern sollte. Ich hatte aber schon bemerkt, daß sie in so einem Fall etwas warmes Wasser in die Buttermaschine goß, um schneller Butter zu haben.
Eines Tages wollten die Eltern wieder aufs Feld fahren, da mußte ich gleich nach dem Frühstück die Buttermaschine aus dem Keller holen, auch alle Schmantgefäße mit Schmant. Mama goß den Schmant in die Buttermaschine, nachdem sie die mit kaltem Wasser überprüft hatte. Ich wusch die Schleudermaschine ab. Heina begann die Buttermaschine zu drehen, dann ging er raus spielen. Weiter mußte ich buttern, denn Mama wollte am Mittag die Butter ausklopfen und in den Keller tragen. Ich butterte und butterte, drehte und drehte die Buttermaschinenwrange. Ich wußte auch schon, wie es sich hineinschauen half auch nichts. Ich mußte nur wieder weiter drehe. Als mir dann endlich der letzte Mut sank, gedachte ich daran, daß Mama etwas warmes Wasser beigegossen hatte. Das könnte mir heute vielleicht auch helfen. Ich erinnerte mich auch an das Sprichwort: Wo ein Bißchen hilft, da hilft Viel noch mehr. Ich nahm den Schöpfer voll heißes Wasser und goß es rein, deckte wieder zu und drehte energisch weiter in der Hoffnung, in einigen Minuten Butter zu haben. Es gab aber doch nichts. Bald ist schon Mittag, dann kommt Mama, ich aber habe noch keine Butter. Mit bangem Herzen drehte ich, daß mir bald heiß, bald kalt wurde. Und noch keine Spur von Butter. Vor Wehmut fing ich an zu weinen. Auch das half nichts. Ich weinte und drehte, drehte und weinte bis Mama kam. Ich ging sie nicht entgegen, um die Pferde ausspannen zu helfen, wie ich es sonst immer tat. Nein, ich drehte die Buttermaschine, wartete bis Mama herein kam. Sie sollte sehen, daß ich noch immer butterte. Als sie kam, klagte ich gleich, ich habe den ganzen Vormittag gedreht und gedreht, es hat aber wirklich nichts gegeben. Sie schaute in die Buttermaschine und sagte ganz entrüstet: Das ist ja alles Matsch da drin! Was hast du getan!? Die ganze Butter ist ja verbrüht. Ich gestand es, daß ich bißchen warmes Wasser beigegossen hatte. Ja, ein Eimer Schmant war kaputt. Was weiter davon gegeben hatte, weiß ich nicht. Aber eine tüchtige Strafe gab es dafür.
Das Mähen und Getreidezusammenlegen dauerte gewöhnlich eine Woche. Danach begann die schwere Dreschzeit. So schnell wie möglich wurde das Stroh von der Dreschtenne geräumt. Dann wurde die ganze Diele sauber gefegt. Die Diele war hart wie zementiert. Auf dieser Diele wurde mit einem großen walzartigen Stein, den die Pferde zogen, gedroschen. Papa und ich fuhren auf das Feld das gemähte Getreide laden. Ich mußte beim Fuderladen immer mit einer Schleppharke nachharken, damit keine Getreideähren verloren gingen. Den vollen Wagen fuhren wir nach Hause und luden ihn auf der glatten Tenne ab. Den leeren Wagen schoben wir von der Dreschdiele runter. Das Getreide trugen wir schön in die Runde auf die ganze Diele, ungefähr fünfzig Zentimeter dick. Die anderen Pferde wurden vor dem Stein gespannt. Heina mußte reiten. Mama schob zusammen. Ich und Papa fuhren wieder aufs Feld nach Getreide. So ging es den ganzen Tag. Kamen wir mit dem nächsten Fuder, war das vorige schon fast gedroschen. Mama schüttelte das gedroschene Stroh von Körnern und Spreu leer. Papa und ich trugen das Stroh auf den Haufen. Die Weizenkörner und Spreu blieben auf der Diele. Der Wagen mit dem Getreide wurde wieder auf die Tenne gezogen, Papa lud ihn ab. Wir trugen es in die Runde auf die ganze Tenne. So konnten wir bis zum späten Abend fünf, manchmal sechs Fuder abdreschen. Aber die Nebenarbeit mußte auch alle getan werden. Papa fütterte und tränkte die Pferde, ich - die Kälber und Kühe. Mama melkte und schleuderte die Milch. Für die Schweine mußte noch Unkraut im Garten gerupft. Denn die Schweine lebten im Sommer nur vom Geschirrwasser aus der Küche und vom Kraut. Brotabfälle gab es keine. Bei einem Bauer wurde mit dem Brot sehr sparsam umgegangen. Es war ihm zu teuer, weil er es so schwer verdienen mußte. Jakob und Neta mit den anderen Kleinen, Abram und Suse, mußten allein Abendbrot essen und schlafen gehen. Mama war ihnen dann noch etwas behilflich, aber draußen wartete die Dreschdiele. Da war noch viel Arbeit. In so einer schweren Arbeitszeit gingen die Kinder auch oft ohne gewaschen, schmutzig und dreckig, schlafen. Manchmal auch sogar in Kleidern. Es war Zeitnot. Das Getreide, das Brot mußte eingebracht werden. Die Sonne war schon untergegangen. Der Arbeitstag war aber noch nicht zu Ende. Der Weizen und die Spreu mußten noch von der Diele in die Scheune gebracht werden. Die großen Scheunettüren wurden geöffnet. Ein Pferd wurde vor ein Schleppbrett gespannt. Heina mußte reiten, Papa hielt das Schleppbrett an einem Stiel. So wurde das gedroschene Getreide in die Scheune geschleppt. Ich und Mama schoben jeder mit einer leichten hölzernen Harke das Getreide mehr zusammen, damit auch alles in die Scheune kam. Damit war die Diele dann fertig, um am nächsten Tag wieder dreschen zu können. Manchmal vor dem Regen mußten wir noch die Tenne fegen. Kein Körnlein sollte naß werden. Das Dreschen war aus. In der Nacht hatte es schön geregnet. Das gemähte Getreide auf dem Feld war naß geworden. Die rein gefegte Diele wurde ganz dünn mit Stroh beschüttet, damit die Erde nicht platzen sollte, wenn die Sonne wieder scheinte. Obwohl man nicht dreschen konnte, gab es doch genug Arbeit. Gleich am Morgen holte Papa die Sämaschine vor. Roggen wurde in die Säcke eingeschüttet und auf den Wagen geladen, die Pferde vorgespannt, und wir fuhren die Schwarzbrache mit Roggen besäen. Ende August wurde doch Winterroggen gesät. Und da war der Regen sehr passend.
Gab es dann wieder Sonnenwetter, dann war es auf dem Felde auch bald wieder alles trocken. Wenn der Regen etwas verzog, so wurde doch Roggen gesät und wenn im Regen. Je matschiger die Arbeit beim Säen, desto mehr gibt es dann auch zu mähen. Einen Tag brauchten wir zum Säen. Wenn es noch nicht ging zu dreschen, dann konnte das Getreide in der Scheune geputzt werden. Dazu wurde die Putzmühle aufgestellt. Putzen heißt die Spreu vom Weizen absondern. Die Spreu wurde auf den Spreuschuppen geworfen, für die Pferde zum Füttern. Der Weizen, der noch nicht ganz sauber von Unkrautsamen war, wurde dann noch mal über die Putzmühle geschüttet. Mama drehte die Putzmühle, Papa schüttete das Getreide in die Mühle, ich schob die Spreu fort und scharrte den Weizen von unter der Putzmühle vor. Wenn ich mit dem leeren Sack zurück kam, dann schrieb ich mit der Kreide einen Strich an der Tür, daß wir wußten, wieviel Weizen schon auf dem Boden ist.
Wenn das Wetter wieder schön war, konnten wir weiter dreschen. In der Dreschzeit gab es auch schon Johannisbeeren, Stachelbeeren, Gurken, Tomaten, Mohrrüben und am schönsten waren die Melonen und Wassermelonen. Recht oft gab es Rolkuchen und Wassermelonen, Waffeln und Melonen, Johanisbeerenkuchen usw.
Es war Sitte bei den Bauern, nach der Dreschzeit in die Stadt zum Jahrmarkt zu fahren. Schon im Frühling wurde den Kindern gesagt: Wenn ihr tüchtig arbeiten werdet, dann könnt ihr im Herbst auch zum Jahrmarkt in die Stadt Sorotschinsk mitfahren. Das versprachen auch meine Eltern mir. Es war auch ein schöner Antrieb zur Arbeit.
War die Dreschzeit zu Ende, wurde der Weizen in der Scheune geputzt. Die volle Saat zum nächsten Frühling wurde auf den Boden getragen, ebenfalls der Weizen für das Mehl für die ganze Familie auf das ganze Jahr. Das übrige Getreide wurde verkauft. Je größer die Ernte war, desto größere Geldeinnahme gab es. Es mußte auch immer viel gekauft werden. Die wohlhabenden Bauern machten auch oft einen Vorratsfond von Getreide, den er dann bei besonderen Fällen verkaufte. Wenn ein anderer Bauer im nächsten Frühling Saatgetreide suchte, so hatte der vorrätige Bauer immer seinen guten Gewinn dabei.
Wir hatten in der Scheune die Säcke je zu vier Pud gefüllt. Mit zehn Säcken auf dem Wagen fuhr Papa das Getreide verkaufen. Die Fahrt dauerte zwei Tage. Viele von den Bauern hatten in der Stadt ihre beständigen Kunden. Wenn der Weizen schön grob und sauber war, dann hielt der Kunde den Verkäfer fest, ja sogar fürs nächste Jahr, um nur schönen Weizen kaufen zu können. Die Kunden waren auch zutraulich zu den aufrichtigen Verkäufern. Wenn der Kunde fragte, wieviel Pud Weizen auf der Fuhre sei, und Papa dann antwortete: Vierzig Pud, dann erhielt Papa die volle Zahlung für vierzig Pud, ohne gewogen. Besonders beliebt waren solche Verkäufer, die den schwersten Weizen hatten. Papa hatte immer den schwersten Weizen.

Kapitel 36

Die Weizenprobe

Es gab verschiedene Kunden. Einige kauften mehr gleichgültig, nur für sich, um Brot zu haben. Die anderen waren reicher, kauften sehr viel Getreide - einen recht schönen Vorrat, um ihn später teurer zu verkaufen. Aber noch andere, die da schon klüger waren und ihren Vorteil und besseren Gewinn suchten, die kauften dann schon mit einer Berechnung und einer guten vorteilhaften Überlegung. Die Preise für das Getreide waren ja verschieden. Jeder Bauer verkaufte sein Getreide wie er es verstand. Einer - teurer, der andere - billiger. Die Kunden, die eine Mühle hatten, waren die klügsten Kunden. Die waren bemüht, schweren Weizen zu kaufen, um dann mehr Mehl zu bekommen. Darum besaßen sie eine Weizenwaage, die da zeigte, welcher Weizen schwerer war. Zur Probe wurde ein kleines bestimmtes Metalltöpfchen, ungefähr wie ein halbes Teeglas, voll Weizen aus einem beliebigen Sack genommen. Ein bestimmtes Maß, nicht mehr, auch nicht weniger, wurde aufs genaueste gewogen und festgestellt, wieviel Solotnik (Gramm) es wog. Der schwerste Weizen diesem Maß nach hatte dann auch den höchsten Preis. Das Geheimnis, von allen Bauern den schwersten Weizen zu haben, hat Papa wer weiß woher, aber für sich behalten und später mir erklärt. Jedes Weizenkorn ist an und für sich nicht glatt, am dünnen Ende hat es ein Haarschwänzchen, wie ein Pinsel. Was geschieht, wenn nun das Probetöpfchen mit Weizen gefüllt und dann auf Strich gestrichen wird? Die nicht glatten Körner können nicht so leicht eins beim anderen vorbeirutschen. Die Schwänzchen stützen eins ans andere und lassen die Körner nicht so dicht zusammenkommen. Es bildet sich ein Zwischenraum, wenn auch nur ein ganz kleiner, der mit dem Augen nicht zu bemerken ist. Aber er ist und spielt seine gewisse Rolle, das Gewicht zu verkleinern.
Eine neue Fuhre Weizen wurde gleich wieder fertig gemacht, denn der Weizen zum Verkaufen lag ja noch in der Scheune. Papa machte die großen Scheunetüren auf. An den Türen wurde der Weizen in den Sonnenschein hingeschüttet, etwa 10-12 Zentimeter dick. Wenn der Weizen von der Sonne schön durchgewärmt war, dann rief er alle Kinder herbei. Wir mußten dann den Weizen treten. Wir waren alle barfüßig und trippelten so gut wir konnten. Ein wahres Vergnügen für die Kinder. Papa half inzwischen auch trampeln. Waren wir müde, dann erlaubte er auch noch in den Weizen zu spielen, ihn recht tüchtig hin und her zu scharren. Hier wurde das Geheimnis enträtselt. Die Kinder wußten nur, daß sie im Weizen gespielt hatten. Aber der Weizen war an und für sich glätter geworden. Die Schwänzchen waren bestoßen und bebrochen, also kürzer geworden. Dann wurde dieser Weizen noch über die Fuchtel (Putzmühle) geschüttet und mit Wind schön durchgeblasen, daß auch wirklich kein Staub drinn blieb. So war drinn blieb. So war er zum Verkaufen fertig.
Papa war sich seiner Sache sicher, den teuersten Preis zu bekommen. So einen Preis wollte manch ein Bauer haben, darum fanden sich Liebhaber, unsren Weizen für sich zum Säen zu kaufen. Das war für Papa mehr wie gut. Dann brauchte er nicht den Weizen in die Stadt zu fahren. Ob sie später auch den erhöhten Preis bekommen haben, weiß ich nicht. Das Geheimnis wird Papa womöglich für sich bahalten haben.

Kapitel 37

Der Jahrmarkt

Auf dem Herbstjahrmarkt verkauften verschiedene Händler ihre Waren. Hier kaufte der Bauer für seine Wirtschaft alles, was ihm für ein Jahr fehlte und auch vielleicht fehlen könnte. Zu so einem Jahrmarkt in der Stadt Sorotschinsk durfte einer von den größeren Kindern mitfahren. Da gab es viel zu kaufen, da gab es viel zu sehen. Nun durfte auch ich mitfahren. Der Wagen wurde wieder mit Getreide beladen, um nicht leer so eine lange Strecke zu fahren. Das Essen mußte auf zwei - drei Tage eingepackt werden. Dazu backte Mama gewöhnlich Schnittchen. Ja, sie sammelte eine ganze Dose voll Essen. Den anderen Tag ging es sehr früh los. Es war noch ganz finster. Bis die Sonne erst aufging waren wir dann schon 10 - 15 Kilometer gefahren. Wir fuhren durch vier Russendörfer. In diesen Dörfern gab es auch Wichtiges zu sehen. Wenn wir dann so die Dorfstraße entlang fuhren, fand sich mit einmal ein kleiner Junge, der uns nachlief. Etwas weiter noch einer und noch einer, bis vier- fünf Jungen, einige auch etwas größer, als ich. Die liefen alle barfüßig. Die Füße waren dreckig, als ob sie sich nie die Füße wuschen. Sie hatten lange schmutzige Hosen an. Bei einigen waren die Hosen auf den Knien so zerrissen, daß nur noch wenig fehlte, um das untere Hosenende ganz abzureißen. Vorne an der Latze war kein Knopf, daher stand alles weit aufgesperrt. An der Linte vorne - ein großer Holzknopf. Die Hose hing an einem Band schräg über die Schulter. Oben waren sie alle nackend, von der Sonne braun gebrannt. Ohne Mütze, lange Haare. So lief die Kinderherde uns auf dem staubigen Weg nach. Die Russenjungen schrien durcheinander: "Pan, daj Kalatsch! Pan, daj Kalatsch!" Ich fragte Papa, was die Jungen wollten, denn russisch verstand ich doch nichts. Dann sagte er: Die wollen von unseren weißen Kuchen. Die Russen haben nur Schwarzbrot, und das noch sauer gebacken. Nach Papas Erlaubnis warf ich ihnen einige Schnittchen hin. Die Jungen fingen sich die. Ich hätte unsere Dose ganz leer machen können, aber dann wären wir ohne Essen geblieben. Doch wohl liefen die Russenjungen jeder deutschen Waffe nach. Unsere Reise ging weiter, inzwischen wurden die Pferde fefüttert, und wieder weiter. Ich empfand während dieser Reise auch einen wunderschönen Klang, der in einer stillen Abendstunde durch die warme Luft weit über Berg und Tal erquickend an das Ohr eines müden Wanderers dringt. Wie erfrischt dachte der Reisende dann die letzten Schritte seiner Tagesreise bis ans Ziel. Wenn wir dann die letzte Bergeshöhe erreicht hatten, die Sonne sich dem Abendhorizonte näherte, und für uns noch drei Kilometer bis zur Stadt geblieben waren, und wir den allmählich hinunterführenden Weg folgten, dann zeigte sich vor uns ein wunderschönes Naturbild. Die ganze Stadt lag wie auf einer Handfläche, obzwar sie sich auf einem großen unbegrenzten Wiesengrunde befand. Vor der Stadt Sorotschinsk zog sich von links nach rechts ein großer Fluß Samara. Hinter der Stadt zog sich ebenfalls von links nach rechts ein Eisenbahngleis, auf der dampfende Eisenbahnzüge rollten. Im Abendsonnenschein glänzten die mit weißem Zinkblech bekleideten, hohe Kornhäuser (Elevator). Die große Wassermühle, die etwas abseits, am Ufer der Samara stand, konnte man nicht außer Acht lassen. Von ferne sah man die lange gitterartige Tunnelgrücke, über welche wir noch fahren mußten. Ganz besonders zeichneten sich die hohen Kirchen ab, die ihren Ehrenplatz mitten in der Stadt hatten. Die spitzen Glockentürme, wo die Glocken verschiedener Größe hangen. Das große runde Kirchenkuppeldach übergoldetes Kreuz, das hoch empor ragte. Am Kreuz hingen noch übergoldete Ketten, die sich im Wind langsam hin und her bewegten. Die Kirchendächer waren schön mit Silberfarbe angestrichen. Der Zaun war von Eisengitter nett und fein gemacht. Das Eingangstor an der Straße war kunstvoll und prächtig hergestellt. Das alles hatte an sich was Reizendes, Lockendes, Anziehendes. Aber am besten war der dumpfgrollende und hellklingende Glockenklang. Am Morgen und am Abend klang er in verschiedenen Tönen und rief alle Menschen zum Gebet. So einen schönen, wundervollen, taktmäßigen Klang vernahmen wir, als wir über die Berghöhe kamen. Und als wir schon bis zur Brücke kamen verstummte der Glockenklang. Heute noch höre ich die Klänge: Bom...m...m bim-bim. - Bom...m...m bim-bim. Als wir uns der Stadt näherten, schien es, als ob bei dem Bom...m sogar die Luft am Ohr dröhnte. Es war Abend geworden, die Sonne wollte untergehen, als wir über die Brücke fuhren. Aber den Weizen brachte Papa noch zum Kunden, der nicht weit wohnte. Nachdem fuhren wir mit dem leeren Wagen zum Gastquartier, wo die Pferde gefüttert wurden und wir übernachten konnten. Hier interessierte mich, wie die große Veranda so verschiedene Fensterscheiben hatte: große, kleine, halbrunde, spitze, zudem noch rote, gelbe und blaue. So was hatte ich noch nie gesehen. Hier im Gasthaus lernte ich auch die Teemaschine (Samowar) kennen. Als wir Abendbrot gegessen hatten, gingen wir zur Ruhe mit dem Gedanken, morgen gehen wir zum Jahrmarkt.

Kapitel 38

Der Einkauf

Früh am Morgen fütterten wir die Pferde, aßen Frühstück und gingen zum Jahrmarkt. Überall gab es für mich was Neues zu besichtigen. Die Straßen waren nicht so breit wie unsere. Die Häuser standen ganz ficht nebeneinander. Sehr viele Häuser waren aus Holz gebaut. Neben jedem Haus war ein hohes Tor, dann eine Bretterwand ganz bis ans nächste Haus. So konnte man gar nicht den Hof sehen. Nur hin und wieder schaute ein großer Hund von unter dem Tor auf die Straße hinaus. Wie viele Menschen waren auf dem Jahrmarkt! Die waren ja gar nicht zu zählen! Da mußte ich nur sehen, daß ich Papa nicht verlor. Und noch wieviel Warenbuben! Und in jeder Bude immer etwas anderes. Ja, hier konnte man wahrhaftig alles kaufen, was in der Wirtschaft fehlte. Bei der Schnittwarenbude verweilten wir lange. Wir kauften allerhand Stoffe: zum Hosen, Blusen, Hemden, Kleider, Röcke, Schürzen nähen; Parchem für warme Unterkleider zum Winter; Kartun für die Bettsachen und für andere Tücher: Leintücher, Kopftücher, Handtücher, Schnupftücher. Nun waren die Hände voll, es mußte weggetragen werden. Rasch trugen wir alles ins Quartier und gingen wieder noch einkaufen. Jetzt standen wir bei der Geschirrbude. Papa kaufte einen Brunneneimer, einen Stalleimer, einen Melkeimer, einen Gußtopf zum im Winter in die Röhre stellen, ein Haarsieb, einen Kessel, Schüsseln, Teller, Tassen usw. In einer anderen Bude kauften wir Strick, ein Stück Filzdecke zu Sohlen für die Filzstiefeln zum Winter. Garn, Zwirn, Pech, Fett zum Wagen schmieren, Maschinenöl für die Mähmaschine, anderes Öl für die Schleudermaschine und für die Nähmaschine. Einen ganzen Topf voll Teer, wir wissen schon, für die Kühe um ihnen das Maul einschmieren, auch zum Pferdegeschirr und anderes Lederzeug einschmieren. Ein Leder zum Schloren machen, dazu auch noch Schlorennägel. Auch andere Nägel. Einige Hufeisen und dazu die Nägel. Seifsoda, um Seife kochen zu können. Karbol für die Maden, Naphthalin für die Motte, eine Lampe, und wenn nicht eine ganze Lampe, dann aber Dochte und mehrere Lampengläser, Zylinder, denn die brauchte man immer. Strohgabeln, denn die Familie wurde größer und dann fehlten Handgeräte. Zündhölzer, zwei Streichbretter zum Sensen schärfen, streichen. Ein kleines Kinderwägelchen mit kleinen hölzernen Rädern. In einer anderen Bude gab es Schuhe. Zu Hause fehlten einige davon, es gab doch immer mehr Füßchen. Die gekaufte Ware mußte schon wieder weggetragen. Noch war aber nicht alles gekauft. Der Bestellzettel von zu Hause war noch nicht erledigt. Es fehlte noch recht viel. Der Bestellzettel wurde schon lange vorher zu Hause geschrieben, um nichts zu vergessen auf dem Jahrmarkt zu kaufen.
Und wieder gingen wir zurück einkaufen. Im Obstladen kauften wir zu Weihnachten getrocknete Pflaumen, Korinthen, Apfelschnitts, Aprikosen. Zu den Festtagen: Weihnachten, Neujahr, Ostern. Pfingsten gab es dann schöne Obstsuppen (Obstmuß). Auch Zucker und Konfekt, Bonbons wurden nicht vergessen. Frische Äpfel wurden auch gekauft, denn das war bei allen Kindern immer das Allerschönste, was es gab vom Jahrmarkt. Für die Weihnachtsplätzchen fehlten noch Pfefferminztropfen oder Pfefferminzöl. Hirschensalz, Ingwer, Zimt. Kleiderfarben, Wollfarbe. Mama strickte gern mit bunter Wolle. Von Arznei wurden meistens Kinderbalsam und Hoffmannstropfen gekauft. Mit der leichten Ware, mit dem Handgepäck waren fertig. Nun luden wir den Wagen, spannten die Pferde an und fuhren noch mal zum Markt die schweren Sachen kaufen. Dann kauften wir noch einige Schlittenstangen zum Winter. Recht große Salzsteine für das Hausvieh, etliche Pud. Ebenfalls paar Eimer Kreide, um die Stuben ausweißen zu können. Für den langen Winter mußte auch Petroleum sein. Eine große Flasche von etwa 30-35 Liter, die in einem großen Korb im Stroh eingepackt war, wurde dann auf dem Wagen festgebunden, um unbeschädigt nach Hause zu bringen. Eine lange Röhrplite aus Eisen für den langen Ofen, auch ein Stück Eisen zum Pflugschar wurden gekauft. Neugierig sah ich zu, wie der Eisenverkäufer das schwere Eisen auf seinem mechanischen Stuhl in schöne abgemessene Teile verschnitt. Sehr interessant war für mich noch, als Papa einen vollen Sack gelben Zuckersand kaufte. Gelben Zucker hatte ich noch nie gesehen. Zu dem war der Zucker wie lebendig. Wenn er etwas gerührt wurde, dann bewegte, krabbelte es wie ein Haufen Maden oder Würmer.
Der Einkauf war gemacht. Der Wagen war beladen fast wie mit dem Getreide, das wir herfuhren. Nun setzten wir uns drauf, um nach Hause zu fahren. Doch hier waren aber noch die Brotbuden und noch eine Wurstbude, wo so viel verschiedene Wurst ausgehängt wurde. Die war so anziehend, lockte die Kunden zu sich. Da hielt Papa die Pferde noch mal an, gab mir ein Geldstück und sagte, ich solle noch ein Laib Pulk (Brot) nehmen und aufs übrige Geld - Wurst. Ich ging zur Bude, legte das Geld auf den Verkäufertisch, wußte aber nicht, was ich sagen sollte. Hier war verschiedenes Gebäck: große und kleine Brote, auch großes Weißbrot, allerhand Kringel, Franzollen (Gebäck) mehrere Sorten und dergleichen mehr. Der Brothändler wußte auch nicht, was ich wollte. Dann sagte Papa, der auf dem Wagen saß: "Odin belij Kalatsch". Dann legte der Verkäufer mir ein großes Weißbrot hin. Ich konnte es kaum umfassen. Mit beiden Händen nahm ich es und trug es dann bis zum Wagen. Ein Geldstück, wieviel Kopeken es eigentlich waren, weiß ich nicht, hatte ich noch. Der Brothändler hatte mir auch noch einige Kopeken zurückgelegt. Für das Geld sollte ich bei der Nachbarbude noch Wurst kaufen. Auch hier wußte ich nichts zu sagen. Dann sagte Papa wieder vom Wagen: "Kolbassa Krakowskaja." Der Händler wog mir ein ziemlich langes Stück Wurst ab. Solche dicke Wurst hatte ich im Leben noch nicht gesehen. Mit einer recht starken Schnur war sie umwickelt. Dies alles kaufte ich für ein Geldstück. Ich war ganz zufrieden, denn auch ich hatte etwas kaufen dürfen. Nun hatten wir genug Essen für die Heimreise.
Dieser "Kalatsch" schmeckte sehr gut. Jetzt war es mir auch klar, warum die Russenjungen, die uns in den Russendörfern nachliefen " riefen: "Pan, daj Kalatsch!" Diesen Kalatsch wollte ich auf der Heimreise nicht austeilen. Erst spät nachmittags fuhren wir aus der Stadt nach Hause. An demselben Tag kamen wir noch bis ins erste Russendorf, wo wir dann auch übernachteten. Was mir wichtig war, und ich noch nie gesehen hatte, war ein Brunnen mit einem langen hohen Hebel, der das Wasser im Eimer hoch zog. Und noch was Ungewöhnliches: Am Abend gingen die russischen Jungen und Mädchen auf der Straße, sangen russische Lieder und eine Balalajka begleitete den Gesang. Das hörte sich schön an. Ich war immer der Meinung, gesungen mußte in der Stube, dabei schön auf den Bänken sitzen, und hier wurde auf der Straße gelärmt. Am dritten Tag kamen wir nach Hause. Mir war es, als habe ich eine Weltreise gemacht. Viel Neues hatte ich gesehen und gehört, worüber ich dann noch lange nachher erzählen konnte. Ja, sogar wo schon so viel Jahre vergangen sind, und doch hören meine Enkelkinder aufmerksam zu, wenn ich ihnen etwas aus längst vergangener Zeit erzähle. Denn das Frühere hat mit dem Jetzigen keine Ähnlichkeit.

Kapitel 39

Gemüseernte

Heuernte und Getreideernte sind gemacht. Es gibt aber noch viel Arbeit bis zum Winter. Unter Gemüse ist zu verstehen: Sonnenblumen, Mais, Gelbrüben, Zuckerrüben, Kartoffeln, Kürbisse usw. Auch die Grünbrache kam um die Herbstzeit. Das Land mußte für das nächste Jahr gepflügt werden. Der Reihe nach wurde es so gemacht: Hauptsache war das Pflügen, das andere wurde nebenbei gemacht. Beim Pflügen mit vier, fünf auch sechs Pferden mußte ich immer reiten und Papa hielt den Pflug. Als ich mit der Zeit älter wurde, mußte jemand von den Kleineren reiten, und ich hielt schon den Pflug. Früh morgens fuhren wir pflügen und nahmen den leeren Wagen bis auf den Hausacker mit. Bei den Sonnenblumen stellten wir ihn hin. Bis Mittag pflügten wir. Mama mit den Kleineren schnitten dann die reifen Sonnenrosen alle ab und füllten damit den Wagen. Kamen wir vom Pflügen nach Hause, wurde auch der Wagen wieder mitgenommen und zu Hause abgeladen. Zwei - drei Stunden wurden die Pferde mittags gefüttert. Ebenfalls haben auch wir zu Mittag gegessen. Jeder nahm einen kurzen Stock, dann wurden die Sonnenrosen draußen auf der glatten Tenne (Dreschdiele) ausgeklopft. Waren die Pferde erst satt, dann ging es wieder so wie am Morgen, aber jetzt bis zum Abend. Während der Futterzeit am Abend wurden manchmal bis spät, auch sogar bei Lampenlicht, die Sonnenrosen geklopft, gedroschen. Die Sonnenrosen konnten nicht lange auf einem Haufen liegen. Sie fingen recht bald an zu brühen. Der Samen mußte auch so schnell wie möglich getrocknet. War der trockene Samen erst auf den Boden gebracht, dann ging dieselbe Arbeit mit dem Mais los, genau so wie mit den Sonnenblumen. Die Maiskolben wurden gebrochen, mit dem Wagen nach Hause gebracht. Das Maisstroh wurde von den Kolben gebrochen, die Kolben auf den Boden getragen, das Maisstroh für die Kühe zum Winter - auf den Strohhaufen. Nach dem Mais folgten die Rüben. Diese Arbeit war für die kleineren Kinder zu schwer. Die Tage wurden kühler. Die Kinder blieben mehr im Haus, in den warmen Stuben. Der Herbst
zeigte sich schon bemerkbar.
Gelb sind schon die Wälder,
Leer die Stoppelfelder,
Kühler weht der Wind.
Dürre Blätter fallen,
Graue Nebel wallen,
Und der Herbst beginnt.
Die Gelbrüben, sowie die Zuckerrüben wurden mit Kraut zusammen in die Scheune gebracht und am Abend beim Lampenlicht rein gemacht. Das Kraut wurde so schnell wie möglich den Kühen aufgefuttert, denn in eins - zwei Tagen ging das Kraut kaputt, es wurde schwarz. O, es gab manchmal große Rübenhaufen! Sehr viel Arbeit!

Kapitel 40

Der Spätsommer - Weibersommer

Es gab noch ein - zwei Wochen recht schöne Tage. Die weißen Fäden oder Drähte zogen in der warmen Herbstluft, hoch, niedrig, recht viel. Sie hängten sich an alles, was ihnen in Weg kam. In dieser Zeit zu pflügen war wirklich eine schöne Arbeit. Es war nicht heiß, aber auch nicht kalt, daß man sich warm ankleiden mußte.
Im Winter gibt es ein schönes Bild, wenn bei stillen Tagen der Schnee in großen Flocken auf die Erde fällt, oder wenn bei ganz leisem Winde die Flocken, ehe sie gänzlich zur Erde fallen, noch in der Luft verschiedenartige hin und her flattern, oder bei frostigen Tagen im Sonnenschein in der Luft die kleine, recht trockene Schneeflocken, wie Tausende Krystallkörperchen glitzern. So bietet uns der Herbst - Weibersommer ein reizendes Bild mit seinen schneeweißen Fäden, die in der Luft ziehen. Die Schneeflocken fallen senkrecht, die weiße Weibersommerfäden dagegen ziehen alle waagerecht über Steppen und Felder. Besonders aber zeichneten sich diese Fäden gegen das schwarze Pflügland ab. Zum Pflügen wollte gewöhnlich die Zeit nicht langen. Daher pflügte man wirklich bis endlich der anhaltende Herbstregen anfing. Ja, sogar bis der Frost kam, und dann unmöglich war zu pflügen, weil die Erde gefroren war. Während der schönen Tage im Spätsommer, wo das Pflügen wirklich eine Lust war, da drängte sich noch eine andere Arbeit dazwischen, die auch unbedingt während der schönen Tage gemacht werden mußte. Und das war - Syrop kochen. Man konnte doch bei regnerischen Tagen drinnen in der Küche Syrop kochen. War aber doch weit unpassender und unbequemer. In der Bauernschaft gab es im Sommer, so wie auch im Herbst keine Freistunden. Haben wir so lange die Gelbrüben und Zuckerrüben von Kraut rein gemacht, so wurden sie jetzt nach Bedarf verarbeitet. Am Abend, wenn es in der Scheune nicht zu kalt war, wurden die Rüben abgeschält, im Wasser schön abgewaschen, sogar mit einer Bürste schön sauber abgebürstet, in den großen Mauerkessel, der ungefähr fünfzehn - achtzehn Eimer faßte, getragen, um sie am folgenden Tag vormittags zu kochen. Mama befleißigte sich, die Rüben bis Mittag unbedingt gar zu haben, denn wenn wir vom Pflügen am Mittag nach Hause kamen, dann wurden, während der Futterzeit, die Rüben gepreßt und gleich nach dem Mittagessen wurde begonnen, Syrop zu kochen. So ein großer Kessel voll Rüben gab dann sechs bis acht Eimer süßer Rübensaft. Das war dann für einmal kochen. Draußen war dann schon ein niedriger Herd vorher aufgemauert. Da droben lag das große Syropsblech oder Gefäß, in dem der Rübensaft gekocht und gekocht wurde bis es dann endlich Syrop gab. Papa preßte gewöhnlich die gekochten Rüben. Ich schleppte recht viel Brand zum Herd. Das war Stroh, Burjan oder Strauch, denn gefeuert mußte dann unaufhörlich, manchmal bis spät abends. Wir fuhren dann wieder pflügen, Mama kochte zu Hause Syrop. Waren genügend Rüben vorhanden, dann kochte man auch recht viel Syrop. Denn wenn die Kühe im Winter keine Milch gaben, dann war Brot mit Syrop und schwarzer Kaffee auch eine schöne Speise, wie morgens so auch abends. Gelbrüben oder Mohrrüben wurden auch wertvoll verarbeitet. Die wurden in dünne Schnitte geschnitten, und dann manchmal in dem Rübensaft beim Syropkochen gar gekocht, dann etwas abgeseit und in ein Gefäß geschüttet, auch zum Winter. Das waren dann die sogenannten "Aprikosen", wovon Mama dann zuweil, besonders an Festtagen, "Aprikosenpiroschki" backte. Das war ein ausgezeichnetes Gebäck

Kapitel 41

Kürbisernte

Wie die Sonnenblumen und der Mais, so wurden auch die Kürbisse während des Pflügens, nach Hause gefahren. Die Kürbisse aufladen und abladen war richtig gesagt eine Vergnügungsarbeit. Diese Arbeit war nicht langweilig. Es war auch eine saubere Arbeit. Unsere Kürbisse gehörten zu den Tischkürbissen. Alle andere Nachbarn zogen die Viehkürbisse vor. Auch mir persönlich gefielen die Viehkürbisse viel mehr, geröstet besser, als von den Tischkürbissen. Unsere Kürbisse wurden mehr für den Tisch verwertet. Natürlich bekamen auch die Kühe ihren ganzen Teil, denn verloren ging ja in der Hauswirtschaft gar nichts. Beim Syropkochen wurde von den Kürbissen viel Konfitüre auf den langen Winter gekocht. Die Kürbisse wurden draußen am Strohhaufen abgeladen und später mit Stroh bedeckt, damit sie nicht so schnell verfroren, denn die reichten manchmal bis weit in den Winter hinein. Die Kühe bekamen zwei Eimer voll geschnittene Kürbisse als Leckerbissen auf einen Tag zu ihrem Langfutter. Die Rüben und Kürbisse steigerten die Milch bei den Kühen.
26.01.83

Kapitel 42

Kartoffelernte

Das war die letzte Ernte bei den Bauern im Jahr. Diese Arbeit war uninteressant und langweilig für mich. Es gibt verschiedene Kartoffelsorten: weiße, gelbe, rötlich, geflickte. Wie sie alle heißen, weiß ich nicht. Ebenfalls sind sie auch im Geschmack wie auch beim Kochen verschieden. Es gibt frühe und späte Kartoffeln. Bei und pflegte man nur die gelben Kartoffeln. Das waren die Späten. Das Kartoffelkraut stand grün bis in den Spätherbst hinein. Nur der Nachtfrost brachte das Kraut zum abtrocknen. Dann erst begann bei uns das Ausgraben. Die anderen Nachbarn hatten in dieser Zeit von ihren Kartoffeln schon vergessen, das heißt, hatten sie schon längst ausgegraben. Sie hatten von den Früheren, die auch einen besseren Geschmack hatten als die Gelben. Das war nach dem Willen unserer Mutter getan, obzwar wir, Kinder, oft genug gesagt haben: Die anderen Kartoffeln schmecken viel besser. Gekocht waren sie weich und mehlig, wogegen unsere Gelben hart und glatt blieben und nicht sobald verkochten. Bei den gelben Kartoffeln sollte eine Sparsamkeit erreicht werden. Wenn andere Leute zufällig unsere gelbe Kartoffeln sahen und sich äußerten, die seien doch nicht so vorzüglich wie die anderen, gab die Mutter gewöhnlich zur Antwort: Oh, die kommen viel billiger, die ziehen nicht so viel Fett. Die späte Sorte wuchs länger, reifte später. Man ließ sie wachsen, damit es mehr geben sollte. Dann kam das Ausgraben. Gewöhnlich versüßte der feine Herbstregen uns diese Arbeit. Es hat sich auch getroffen, daß Schnee und Regen zusammen uns beim Ausgraben vor Sonnenstich bewahrten. Hände inzwischen aufräumen gehen, gab es nicht. Wir waren ja nicht zu Hause im Garten, sondern auf dem Hausacker. Mama grub, duckte die Kartoffeln aus, ich und Papa sammelten sie auf. Die Erde naß, die Holzschloren dick bebackt, daß man kaum gehen konnte. Die Hände dreckig von Erde, die Finger manchmal ganz steil verklehmt, verfroren. In die Hände pusten half nichts, denn die nasse dreckige Finger spürten doch keine Wärme. Dann klatschte man manchmal in die Hände, aber nicht vor Freude, sondern vor Frost. Es war mir nicht genug, daß der feine Regen die Erde feuchtete. Nein, da hab ich noch meine Tränen hinzu getan. Beim Kartoffelnausgraben blieb der Pflug stehen, denn das war eine schwere Arbeit und dauerte zwei - drei, manchmal auch mehr Tage. Die nassen Kartoffeln wurden in der Scheune abgeladen. Sobald sie abgetrocknet waren, durchgesammelt und in den Keller gebracht. Dies war immer eine Abendarbeit, die bei der Lampe verrichtet werden konnte. Draußen gab es noch genug andere Arbeit. Nicht alle Jahre war so ein Unwetter beim Kartoffelnausgraben. Es traf sich auch, daß trockenes und gelindes Wetter war. Die trockenen Kartoffeln wurden dann vom Wagen über einen Harfenstieg, der in das Kellerfenster gelegt war, in den Keller geschüttet. Die feine, kleine Kartoffeln und die Erde fielen durch und blieben zurück.

Kapitel 43

Die letzte Mistarbeit. Brand

Die Brennung, der Mist, der abseits in einem großen Mistwall aufgesetzt war, hatte den Sommer hindurch trocknen können. Selbstverständlich mußte der bei schönem Wetter unter Dach gebracht werden. Darum ging diese Arbeit vor dem Kartoffelnausgraben. Papa hatte seine Arbeit im Hof. Oder er fuhr zur Mühle Mehl mahlen. Die Mähmaschine, Sähmaschine, die großen Ernteleitern vom Wagen - alles mußte ins Nebenhäuschen unter Dach gebracht werden, damit es nicht dem Regen und Schnee ausgesetzt war. Mama und ich brachten den Mist auch ins Nebenhäuschen. Mit dem Kinderwagen wurde dann der ganze große Mistwall übergefahren. Oh, so manches Mal mußte man hin und her fahren. Mit der Zeit wuchsen Tage beschäftigt. Wenn es ein feuchter, regnerischer Sommer war, daß der Mist nicht ganz durchgetrocknet war, dann war das Feuern im Winter beschwerlich.

Kapitel 44

Gartenpflügen

Das Pflügen war die letzte Feldarbeit im Herbst. Wenn der Pflug nicht mehr die gefrorene Erde durchbrechen konnte, dann war endlich Schluß. Daher war man auf der Hut: ehe der Frost zu hart kam, mußte der Garten noch gepflügt werden. Viel Zeit brauchte man ja dazu nicht. Ein - zwei Tage langten immer. Wie war ich aber so froh, wenn das Pflügen aufhörte! Warum denn? Wir stellen uns jetzt die Zeit vor, als ich noch kleiner war und immer reiten mußte. Wenn dann solche Tage kamen, wo der feine kalte Herbstregen den ganzen Tag anhielt, war ich recht dich angekleidet, an den Füßen hatte ich Filzstiefel an. Ich war so unbeholfen, dick, die Kleider wurden mit der Zeit naß. So saß ich den ganzen Tag im Sattel auf dem Pferde. Wenn ich auch Handschuhe auf den Händen hatte, so war ich doch manchmal ganz verklehmt, so daß ich kaum die Leine und die Peitsche in den Händen halten konnte. Und mußte Papa mich vom Pferd helfen, die Hosen aufknöpfen und pinkeln lassen, denn ich konnte nichts, so war ich verfroren.
27.01.83

Kapitel 45 - 46

Der Winter naht

Die Erde war ganz gefroren und das Pflügen wurde eingestellt. Der Pflug wurde zum Winter auch ins Nebenhaus gebracht. Aber Arbeit war doch genug, draußen und drinnen. Um zum Winter fertig zu werden, könnte man Tag und Nacht schaffen. Für Mama war natürlich draußen keine Arbeit mehr. Das Gemüse war eingebracht und der Garten war schon gepflügt. Das Getreide war in der Scheune längst aufgeräumt. Syrop und Konfitüre sind auch gekocht. Um sich wieder ans Spinnrad setzen zu können, mußte noch rein gemacht werden, Hühner und Schweine geschlachtet und eine große Wäsche gewaschen. Zum Ofen heizen mußte schon wieder beständig Brennung beigetragen werden. Anfänglich wurde mit Stroh, Burjan oder Strauch gefeuert, später, wenn es kälter wurde, mit Mist.
Wenn Mama dann zu Papa sagte: Jetzt kann Wanja doch wieder mehr drinnen helfen, nicht wahr? Dann sagte Papa schon gewiß: Ja. Mich dann wieder ins Gleis bringen dauerte der Mama nicht lange. Nur paar mal "vorwärts" sagen, so recht von Herzen, oder sogar noch am Arm packen, dann sprang ich wie geschmiert. Heina, Jakob und Neta waren ja doch auch nicht mehr ganz klein. Die konnten ja nach meiner Meinung auch so helfen wie ich. Wenn ich dann eins nach dem anderen machen mußte, und es nicht flink genug ging, dann sagte ich inzwischen: Das kann Heina tun! Darauf sagte Mama mir: Das kommandieren kann ich noch geraten. Du hast mir nichts vorzusagen. Selbstverständlich werden die anderen Kinder auch geholfen haben, denn dazu liebte Mama viel zu sehr das Kommandieren und sich soviel wie möglich helfen lassen. Was für Arbeit wir drinnen verrichtet haben, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall, das Mittagessen war schon fertig. Wir hatten schon alle gegessen. Dann fing Mama an, über mich ihr Herz auszuschütten. Worin ich denn so straffällig geworden war, daß weiß ich heute nicht mehr, sie konnte es aber dem Papa so wichtig beibringen, daß der es für notwendig hielt, mir mal wieder die Hose auszustauben. Als Papa satt war, rief er mich in den Stall, und auf demselben Platz, auf derselben Bank, mit demselben Tater bekam ich meine gewöhnliche Tracht. Dann hing Papa den Tater auf den Nagel und stellte und die Melkbank zur Seite. Ich stand an der Wand. Vor Schmerzen wußte ich nicht auf welchem Fuß ich stehen sollte. Ich wußte auch nicht, wo ich mit den Händen hinfassen sollte. Die Beine schmerzten, daß man sie behutsam hätte streicheln wollen. Beim Weinen hatte ich mich so sehr mit den Tränen verschluckt, daß das Herz nicht mehr regelmäßig arbeiten wollte. Mir kam es so vor, es reißt ab, den das Atmen wurde schlecht. Ich sperrte den Mund auf und gaffte nach Luft. Hier stand ich so lange, bis ich wieder in den ruhigen Stand gekommen war. Ob Papa mein Benehmen an diesem Platz in diesem kritischen Moment bemerkt hat, weiß ich nicht. Aber was ich damals nicht wußte, weiß ich heute: Dies war das letzte Mal in meinem Leben, daß ich von Papa so hart gestraft wurde.
Als ich mich ganz beruhigt hatte, rief Papa mich, und wir gingen auf dem Hausacker das Kartoffelkraut zusammenlegen. Es sollte noch vor dem Schnee nach Hause gebracht werden. Papa ging so schnell. Ich mußte mich anstrengen, um nachzukommen, denn meine Beine schmerzten mir sehr. Am nächsten Tag fuhren wir das Kartoffelkraut nach Hause. Es war zu der Zeit ganz gute Brennung für den großen Ofen. Auch das abgemähte Maisstroh wurde nach Hause gefahren. Das war gutes Futter für die Kühe, besser als Weizenstroh. Das Vieh trieb man schon nicht mehr aus. Es war schon alles hart gefroren. Jetzt war der Stall wieder voll Vieh, und alles wollte besorgt sein, darum hatte auch Papa wieder viel Arbeit im Stall.
Drinnen wurde rein gemacht. Statt wie früher beitragen und hinlangen, mußte ich jetzt selbst hochsteigen, oben ringsum die Wände anweißen; und noch vorher hoch auf den Tisch klettern und oben den Boden bürsten und abwaschen. Das war ein glatter angestrichener Bretterboden.
28.01.83

Kapitel 48

Wirtschaftsgeräteborgen

Es gab viel Arbeiten zu jener Zeit, die nur ein -zweimal im Jahr vorkamen, manchmal auch noch weniger. Das entsprechende Gerät für diese Arbeit mußte aber doch sein. Mit der Zeit hatten sich die Bauer damit versorgt. Der Eine hatte dann dies, der Andere das anderes. Sie halfen sich untereinander aus der Not. Von solchen Geräten, die immer geborgt wurden, hatten:
  1. Peter Riediger einen Anker. Wenn bei einem Bauer der Brunneneimer abgerissen und in den Brunnen gefallen war, mußte er ihn mit dem geborgenen Anker rausholen. Eine Hand- oder Ziehsäge, um Bäume oder anderes dickes Holz zu schneiden. Hohe Böcke, um hohe Wände verschmieren zu können, oder am Giebel etwas machen zu können. Eine Gelenkbrunnenleiter, die man zusammenrollen konnte. Im Stall, wo gewöhnlich der Brunnen war, konnte man nicht eine Leiter benutzen.
  2. Peter Becker eine Heckenschere, damit man die Akazienenhecken beschneiden konnte.
  3. Peter Epp einen losen Zweieimerkessel, der vielen Leuten beim Schweineschlachten fehlte, und eine Schafschere, damit man die Schafe scherte.
  4. Franz Voth einen Brühtrog, um geschlachtete Schweine zu brühen.
  5. Johann Dalke einen Schlachttisch und niedrige hölzerne Böcke, auch eine Schafschere.
  6. Heinrich Walde eine Raupenspitze, damit man Stachelbeeren oder Gemüse bespritzte. Hanghölzer zum geschlachtete Schweine aufhängen. Eine Dezimalwaage, um Getreide zu wiegen. Eine Getreidefuchtel, eine Putzmühle, um Getreide zu putzen.
  7. Peter Dyck eine Brechstange, ein Rührholz und eine Wurstmaschine, zum Wurst stopfen.
  8. Jakob Esau einen Heuspaten, um einen Heu- oder Strohhaufen abstechen zu können.
  9. Johann Walde, das heißt wir, ein Heumesser, um einen Heuhaufen durchschneiden zu können, ein Stechmesser, um Schweine zu stechen, auch eine Balkenwaage, um Getreide zu wiegen. Schlorenleisten verschiedener Größe, eine Haarmaschine, die auch selten wer hatte.
Eine Fleischmaschine konnte man bei Peter Epp, bei Peter Riediger, auch bei Johann Dalke borgen. Droschken oder Spazierwagen waren wohl vier im Dorf - bei Franz Voth, Peter Hooge, Peter Epp und Johann Dalke. Diese wurden fast gar nicht ausgeborgt. Dann waren noch zwei Obejaner, auch Spaziewagen, nur größer als die Droschken, bei Heinrich Wall und bei Peter Riediger, wurden auch nicht geborgt. Im Nachbardorf bei einem David Hiebert konnte man eine Daumenkraft borgen, wenn jemand ein Dach anheben oder schief versunkene Wände gerade heben wollte. Noch anderes, was einer beim anderen recht oft borgte: Backblech, Syropblech, Waschbalge, Waschtrog, Wäscheleine, Wäscheklammer, Buttermaschine, Besmer (kleine Handwaage). Noch kleinere Sachen: Schere, Stricknadeln, Häkelhaken, Stopfnadel, Streichhölzer, ja sogar: Hefe, Salz, Brot, Mehl und verschiedenes anderes, was uns jetzt gar nicht mal in den Sinn kommt.

Kapitel 49

Schweineschlachten

Schwein,- Rind,- oder Kalbschlachten gehörte zu Spätherbstarbeit, damit man das Fleisch einfrieren, einschneen, das heißt länger aufbewahren konnte. Nur als Ausnahme wurde zu einer anderen Zeit geschlachtet. Wenn Unglück passiert war, zum Beispiel, eine Kuh in der Herde von anderen Kühen unheilbar gestoßen war, oder der Wolf der Schafherde Schafe tödlich gebissen hatte. Zur Hochzeit wurde manchmal ein Schaf geschlachtet.
Jetzt über das Schweineschlachten. Ein Tag vorher war der Vorbereitungstag. Zum Schweineschlachten lud Papa Leute ein, die da helfen sollten. Wenn zwei oder drei Schweine, manchmal noch ein Kalb oder ein Rind zu schlachten waren, dann wurden gewöhnlich vier oder fünf Paar Leute eingeladen. Immer Mann und Frau, denn Arbeit war an diesem Tag sehr viel. Die ganze Fleischarbeit wurde an diesem einem Tag verrichtet. Schmalz ausbraten, Wurst und Sauerfleisch machen, Schinken einsalzen. Für den anderen Tag blieb nur das Aufräumen. Vor dem Schlachten backte Mama Zwieback zum Frühstück. Ich holte den Brühtrog, den Schlachttisch, die Fleischmaschine, den Zweieimerkessel, die Wurstmaschine, Hanghölzer, das Führholz und wer weiß was noch alles. Ich trug den großen Mauerkessel voll Wasser, spaltete recht viel Holz, trug Mist bei, füllte etliche Gefäße mit Wasser, scheuerte Schmalzgefäße, wusch und trocknete sie aus. Auch Papa hatte seine Arbeit: Messer schärfen, den Galgen anbinden, Holzböcke und Leiter fertig machen, das Beil schärfen. Mit Betonung sagte Mama allen Kindern, daß sie morgen ordentlich sein sollen. Nicht zanken noch streiten, die größeren sollten besonders ihre Folgsamkeit ohne jegliches Murren zeigen, damit all die Gäste, die da kommen würden, einen guten Eindruck von uns allen bekommen sollten. Dann fragte Mama, ob wir es verstanden hätten. Sonst sollte der Kinderfreund am nächsten Abend Arbeit kriegen. Das glaubten wir. An so einem Tag war ich ein Laufbursche. Da hieß es nur: Wanja, bring mal rasch den Stalleimer! Schau mal, ob das Feuer unter dem Herd schön brennt! Wenn nicht, dann leg noch etwas Holz unter! Komm, halt mal die Schüssel bis Tante Grete alles reingelegt hat! Wanja, der Eimer ist schon voll, trag das Dreckwasser raus! Bring ihn aber sofort wieder, wir warten! Bring Papa das Backblech, die Onkels werden es brauchen wollen. Paß auf, daß die Katzen nicht beim Fleisch bei gehen! Bring Tante Anna mal einen Stuhl, daß die sich setzten kann, ihr schmerzt schon der Rücken vom krumm stehen! Wanja, trug die Teller auf den Tisch, bald werden wir zu Mittag essen! Jetzt geh sag Papa: Das Mittagessen ist fertig. Die Onkels sollen essen kommen. Und du wirst dann in der Scheune aufpassen, daß die Hühner und Katzen nicht beim Fleisch bei gehen. Wenn nach dem Mittagessen die Erwachsenen alle wieder an die Arbeit gingen, dann setzten wir Kinder uns alle an den Tisch.
Kaum vom Tisch, so hieß es auch schon wieder: Geh frag Papa, wo er das zweischneidige Messer von der Fleischmaschine hingelegt hat. Und so ging es bis der Schweineschlachtentag zu Ende war. Dann konnte man am Abend ohne Liedchen einschlafen.
Am nächsten Tag wurde wieder emsig aufgeräumt. Alles was von den Menschen geborgt war, mußte ich wieder zurück bringen. Die frische rote Fleischwurst durfte ich in den Schornstein zu räuchern hängen. Die Wurst war nicht so schwer. In den Schornstein hoch zu klettern, war für mich ein Vergnügen. In vier Tagen wurde die geräucherte Wurst aus dem Schornstein rausgeholt und auf dem Boden hoch gehängt. Das war auch meine Arbeit.
31.01.83

Kapitel 50

Ereignisse und Geschichten aus der Schulzeit

Im Herbst 1918 begann meine Schulzeit. Ich ging sechs Jahre zu Dorfschule. Es waren nur drei Klassen in der Schule. In jeder Klasse lernte man zwei Schuljahre. Ich habe nur bei einem Lehrer gelernt. Er war meines Vaters Altersgenosse, hatte auch eine große Familie. Er hieß Johann Julius Friesen. Im Herbst 1924 zog er nach Amerika um. Ehe er wegreiste, schenkte er noch unserem Papa etliche Bücher: ein Predigerbuch fürs ganze Jahr, für jeden Sonntag und für alle Christfeste. Auch zwei große Wörterbücher: ein Deutsch - russisches und ein Russisch - deutsches. Das war für uns Kinder in späteren Jahren ein recht großer passender Schatz, den wir auch oft benutzt haben.
In der Schulzeit wurde ich mit den anderen Dorfskindern bekannt, auch allmählich mit ihren Eltern und anderen Dorfbewohnern, gleichfalls auch mit dem ganzen Dorf. Unser Haus stand das zweite vom Dorfsende, die Schule aber in der Mitte des Dorfes an der oberen Westseite. Das war ein großes schönes Gebäude von Brandstein mit einem Schindeldach. Unser Dorf war etwa ein Kilometer lang, also für mich fünfhundert Meter in die Schule zu gehen. Von Wuchs war ich wohl der kleinste von den Knaben aus meiner Klasse. Auch von den Leuten habe ich oft gehört: Dies gibt ein kleiner Walde. Mein Papa war ja auch nicht groß. Aber bei mir gab es mit der Zeit einen Schwung, mit 17 Jahre war ich dann 176 Zentimeter hoch. Heute sagt mir niemand: Ein kleiner Walde. Vor der Schulzeit war nur das Elternhaus und der große Bauernhof mein Spielraum. Gerieten wir Kinder manchmal bis auf die Straße, wurden wir sofort in den Hof gerufen: Auf der Straße wird nicht gespielt, da habt ihr nichts verloren. Jetzt gehörte zu meinem Spielplatz auch der große Schulhof. Der Lehrer ging mit uns auch hin und wieder auf die Wiese. Ach, war das eine schöne Zeit! Manchmal kamen die Schulfreunde am Sonntag nachmittag zu uns. Auch ich durfte ebenfalls nur am Sonntag nachmittags zu den Kameraden spielen gehen. Wie rasch bemerkte ich den Unterschied im Familienleben, besonders das zutrauliche Anschmiegen der Kinder an die Mutter. Mit staunenden Kinderaugen betrachtete ich das Benehmen der Familienmitglieder eins zum anderen. Hatte es doch manchmal keine Ähnlichkeit mit dem Unsrigen. Insbesondere das Sprechen der Mutter zu den Kindern. Hier kam es mir so vor, als wenn so eine Mutter nie böse werden konnte. Geduldig, langmutig, nicht laut wurde hier zu den Kindern gesprochen. Kinder haben auch Geheimnisse untereinander. Je länger sie zusammen sind, je öfter sie zusammen kommen, je mehr sie sich innerlich verstehen, desto mehr vertrauen sie sich. Oft erzählt dann ein Kind dem anderen seine Freuden und seine Beschwerden. Auch ich fand darin eine Erleichterung für mich. Wenn ich es Heina erzählte, hatte es wenig Erfolg, mehr Mißerfolg, denn er erzählte es ja gleich der Mama.

Kapitel 51

Mamas Kopftuch

Die Schulzeit war für mich ein wahres Vergnügen voller Freude und Erheiterung. Das Lernen war für mich nicht schwer. Das Hochdeutschsprechen hatte ich von den Flüchtlingen gut erlernt. Ich weiß nicht, ob Papa schon aus dem Försteidienst zu Hause war, als ich begann in die Schule zu gehen. Die ersten meiner Schulzeit waren sonnige, schöne, warme Herbsttage. Ach, ich hätte als ein junges, freigelassenes Rehkälbchen vor lauter Freude springen können. Es traf ein regnerischer Herbsttag ein. Ich wollte zu Schule. Es regnete ziemlich. Ich hatte keinen Regenmantel und keine Schuhe. Ich zog Holzschloren an die Füße an. Mama hängte mir über den Kopf ihr großes Wollkopftuch und schickte mich in die Schule. Die Holzschloren wären ja noch erträglich gewesen, aber das Kopftuch... Ich, ein Junge, würde jetzt mit einem Kopftuch die Straße entlang gehen, das kam mir wirklich unmenschlich vor. Ich wollte gar nicht gehen, denn ich schämte mich schon zu Hause, jetzt sollte ich so in die Schule gehen, da würden die Kinder mich auslachen. Aber Mama war Mama, und ich mußte nun hinaus. Ich ging und weinte, weinte und weinte... Die Straße war kotig, die Schloren dick mit Kot bebackt, die Strümpfe schon naß. Es regnete und ich weinte. Natürlich kam ich zu spät. Als ich dann endlich bis zur Schule kam, blieb ich draußen an der Tür stehen. Ich wagte es nicht die Tür aufzumachen, denn ich schämte mich. Ich weinte, es regnete...Ich war schon ganz naß. Endlich war die erste Stunde zu Ende. Die Pause begann. Einige Schüler kamen rausgelaufen, um zur Toilette zu gehen. Einige sahen mich, liefen zurück und meldeten es dem Lehrer: Johann Walde steht draußen ganz naß! Der Lehrer kam auch gleich raus und zog mich ins Haus. Jetzt fing ich erst recht an zu weinen. Der Lehrer half mir. Er nahm mir das Tuch ab, hängte es bei den Mädchentüchern hin und versuchte mich zu beruhigen. Viele Schüler standen um uns und bewunderten mich, als habe ich ein großes Abenteuer erlebt. Niemand lachte. Das Lachen kam viel später. Vielleicht hatten sich danach meine Vormünder für mich als Waisenkind gekümmert, denn die wohnten beide in unserem Dorf. Ich weiß nicht. Aber bald bekam ich eine Jacke, recht groß, schon getragen. Die Ärmel wurden kürzer geschnitten, die Knöpfe enger zusammen genäht. So hatte ich eine Jacke und brauchte nicht mehr mit einem Tuch gehen. Auch für den Winter bekam ich einen Baschlik..
01.02.83

Kapitel 52

Onkel Abram Unruh

Onkel Abram Unruh war in unserem Dorf ein gewöhnlicher Bauer. Er war nicht besonders korrekt, aber freundlich. Das Besondere was er an sich hatte: Er war ein großer Kinderfreund. Onkel Unruh hatte eine große Familie: acht Kinder. Die jüngsten zwei Mädchen gingen mit mir zusammen in die Schule. Onkel Unruh war nicht nur ein großer Kinderfreund, er war auch ein großer Schulfreund. Das Schulgebäude war groß. Die südliche Hälfte davon war unser Schulzimmer, ohne Mittelwand. Das war ein großer heller Saal. Von drei Seiten - große Finstern. In diesem großen Zimmer befanden sich unsere drei Klassen, welche der Lehrer viele Jahre betreute. Und Onkel Unruh besuchte oft unsere Schule. Im Winter erkannte man ihn schon von fern. Gewöhnlich hatte er einen schwarzen Halbpelz und eine rote Leibbinde um den Leib an. Wenn ihn jemand aus dem Schulfenster sah, wurde die ganze Klasse aufgeregt, denn es wurde gleich fast laut gesagt: Onkel Unruh kommt. Wenn er dann auch wirklich in die Klasse hereinkam, jauchzten alle Kinder vor Freude. Dann fragte er noch ganz höflich bei den Schülern: Darf ich reinkommen? Oder, - eine Lustfahrt machen? Oder, - machen wir mal eine Exkursion? Oder, - wollen wir zu Weihnachten einen Baum kaufen? Oder, - einen reichen Weihnachtsmann bestellen? Usw. Das laute "Ja" klang immer als Antwort. -Na, sagte er, dann müßt ihr aber auch den Lehrer fragen, ob er es auch mitmacht. Gewöhnlich willigte der auch ein.
Eine Lustfahrt wurde in den gelinden Märztagen gemacht. Es mußten drei oder vier Schlitten sein. Onkel Unruh gab jedesmal sein Pferd und seinen Schlitten. War die Fahrt im Frühling oder Herbst, dann gab er auch zwei Pferde und den Wagen. Während der Fahrt war er Aufseher über den Transport. Der Lehrer sagte noch zwei - drei älteren Jungen, sie sollten ihren Vätern, ob sie nicht auch ihre Pferde und Schlitten geben wollen. Gleich nach dem Mittagessen fahren wir ins Nachbardorf, die Schule besuchen. Jetzt geht alle nach Hause zu Mittag essen! Gleich nach Mittag kamen die Schlitten bei der Schule zusammen. Die Schüler wurden alle in die Schlitten verpackt, zu acht oder zehn Schüler auf jeden. Freundlich wurden wir von den Nachbardorfschülern aufgenommen. Es gab ein reges zweistündiges Unterhalten. Gedichte wurden gegenseitig vorgetragen, Lieder gesungen, Sprichwörter gesagt und Rätsel aufgegeben, ja, wer was wußte. Ein Lied begann so: "Wenn der ew'ge Morgen taget und wird keine Zeit mehr sein..." Von den Gedichten hab ich keine mehr behalten. Aber Sprichwörter waren solche: Am vielen Lachen, erkennt man einen Narren. Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. StäterTropfen höhlt den Stein. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Willst du Veilchen pflücken, so mußt du dich auch bücken, und verschiedene andere. Rätsel: Wann schmerzen dem Hasen die Zähne? (Antwort: Weil ihn die Hunde beißen). Frage: Was für Wort besteht aus Z und L? (Antwort: Zettel) Frage: Wenn liebt der Kuckuck am meisten? (Antwort: Sich selbst.) Frage: Welche Uhr hat keine Räder? (Antwort: Die Sonnenuhr.)
Fröhlich fuhren wir nach Hause. Und dem Onkel Unruh wurde ein herzliches Dankeschön gesagt.
2.2.83.

Kapitel 53

Eine Maifahrt

Es war an einem schönen Maitag, ungefähr 1920 - 1921. Die Natur stand in der schönsten Frühlingspracht. Alles freute sich des Lebens. Ein jeder hätte wohl das Lied singen können:
Die schönste Zeit im ganzen Jahr;
Das ist die Frühlingszeit.
Da wird das Herz so wunderbar
durch die Natur erfreut...
Auch der alte Onkel Abram Unruh zeigte, daß er freudig, lustig und vergnügt war. Das war ein klarer Beweis, daß er wieder in die Schule kam. Seine Manier kannten wir schon. Er wandte sich mit seinen freundlichen, lustigen Augen immer zuerst an die Schüler und nur dann an den Lehrer. So auch diesmal: Na, Schüler, fing er dann an und schaute mit seinen funkelnden graubraunen Augen von einem Schüler zum anderen, als wolle er was herauslocken, dann sagte er weiter: Wollen wir... und dann schwieg er wieder und lachte nur. Wir Schüler konnten es nicht abwarten, was er weiter sagen wollte. Alle schrien: Ja, ja... Dann sagte er das letzte: ...mal eine Lustreise machen. O, dann wollte der Beifall nicht aufhören. -Dann horcht mal weiter. Ich habe einen langen Leiterwagen fertig gemacht, ihn schon mit grünen Zweigen ausgeschmückt, die Unterlage schön mit Stroh bedeckt. Wir spannen drei Pferde ein und fahren 15 Kilometer in einen schönen grünen Wald spazieren. Dort könnt ihr Blumen pflücken, Pilze suchen, Maikäfer fangen, auch Schmetterlinge und Bienen, wenn ihr wollt. Jetzt geht rasch nach Hause und sagt Mama, sie soll euch zu essen geben. Wenn wir dann alle fertig sind, dann fahren wir. Ein und der andere hatte noch was zu fragen. Wir waren ja alle sehr froh. Aber als Onkel Unruh noch sagte: Sagt nur zu eurer Mama, sie soll euch schnell etwas zu essen geben, dann fiel ich in Wehmut, und sagte in meiner Kinderart zu Onkel Unruh: Es ist noch lange nicht Mittag und inzwischen gibt Mama mir nichts zu essen. Dann sagte er: Sag nur zu Mama, wir wollen bald fahren, sie soll dir Milch und Brot geben, und gut. Jetzt war ich wieder heiterer und lief freudig nach Hause. Als ich ins Haus gelaufen kam, stand Mama gerade am Tisch und rollte Teig zu Nudeln zu Mittag. Ich, ganz außer Atem, setzte mich gleich an den Tisch und begann alles zu erzählen: Mama geben Sie mir schnell Milch und Brot zu essen, wir wollen gleich spazieren fahren, weit, in einen Wald. Onkel Unruh hat den Wagen schon ganz fertig. Er sagte, wir sollten nur noch schnell essen gehen, und ich sagte zu ihm: Es ist noch lange nicht Mittag, und inzwischen gibt Mama mir nichts zu essen. Dann sagte er: Sag nur zu Mama, wir wollen bald fahren, sie soll dir Milch und Brot geben, und gut. - Was!? So sagtest du? In der Schule? Zu Onkel Unruh? Das sagte Mama schon so laut, daß ich gleich anfing zu weinen. Ich merkte auch schon, daß dies noch nur der Not Anfang sei. Mir war schon alles verrutscht, die ganze Fahrt. Die Mama stand ja ganz nahe bei der Schüsselbank, wo all die "Kinderfreunde" lagen. Sie sagte: Ich werde dir zeigen, was du in der Schule zu sagen hast! Und dann schlug sie mich, dann gab es, ja, dann gab es genug. Auch essen gab es noch. Wirklich! Milch und Brot. In ruhigen Verhältnissen hätte ich ja viel mehr gegessen, aber so war ich bald satt. Es ging nicht, denn ich schnuckte noch immer. Als ich aufstand und gehen wollte, zog Mama mir noch die Bluse und den Kragen zurecht und sagte: Paß auf, was du weiterhin sagst! Ich weinte los und ging zur Schule. Selbstverständlich hütete ich mich in der Schule, um weniger zu erzählen. Mit der Zeit zog ich es aber vor, der Mama nicht alles zu erzählen.

Kapitel 54

Weihnachten

Das Weihnachtsfest war zu allen Zeiten immer ein sehr schönes Fest für die Kinder. Eltern waren bestrebt ihren Kindern am Weihnachtsfest schöne Geschenke zu geben. Schon lange im Voraus begannen die Vorbereitungen zu diesem Fest. Besonders bei den Einkäufen auf dem Herbstjahrmarkt wurde diese Frage nicht außer Acht gelassen. Eltern und Großeltern bemühten sich, ihren Kindern und Enkelkindern an diesem Fest große Freude zu bereiten. Aber die Schüler waren auch daran beteiligt. Ungefähr zehn Tage vor Weihnachten wurde der gewöhnliche Unterricht in der Schule eingestellt. Der Lehrer begann mit den Schülern zu Weihnachten Wünsche, Gedichte und Deklamationen abzuschreiben. Jeder Schüler schrieb für sich einen Weihnachtswunsch und einen Neujahrswunsch aus den Büchern, die der Lehrer hatte, ab. Auch für die kleineren Kinder, die noch nicht in die Schule gingen, wurden Kinderwünsche geschrieben und verteilt. Einen von diesen Wünschen habe ich noch behalten:
Christkind lieb,
komm und gib.
Gib was fehlt,
nimm was quält.
Schenk uns heut
Freudigkeit, damit wir
danken dir. Amen
Alle abgeschriebene Wünsche, Gedichte und die einzelnen Deklamationsrollen verteilte der Lehrer nach seinem Gutdenken. Die Schüler begannen das Erhaltene zu lernen. Der Lehrer stellte für den Heiligen Abend das Programm auf. Die Schüler durften den Eltern wohl sagen, daß sie in der Schule sich schon vorbereiteten, aber was für Wünsche und Gedichte wir lernten, sollten wir vor den Eltern verheimlichen. Dieses Geheimnis machte uns auch schon eine gewisse Freude. Diese Aufgabe durften die Eltern nicht kontrollieren. Das tat der Lehrer in der Schule. So gab es in der Vorbereitungszeit keine Hausaufgaben. Sobald wir unsere Gedichte auswendig konnten, begannen wir vorzutragen, wie wir es am Heiligen Abend machen wollten.
Onkel Abram Unruh war in dieser Zeit auch auf seinem rechten Platz. Er wandte allen Fleiß daran, den Kindern es wirklich schön zu machen. Inzwischen kam er dann auch in die Schule, spornte die Kinder an, noch fleißiger zu sein, malte uns dann verschiedene Wunderdinge vor und weckte in uns damit ein großes Interesse für den bevorstehenden Weihnachtsabend. Dann verließ er die Schule mit den Worten: So Kinder, seid nur recht brav, und ich muß sehen, wie ich einen Baum beschaffen kann. Auf Wiedersehen!
Alle Kinder, von ganz klein bis zum letzten Schuljahr wurden am Weihnachtsabend mit einer Zuckertüte beschenkt. In den Tüten waren selbst gebackene Kuchen, verschiedenförmige Weihnachtsplätzchen, gekaufte Walnüsse, Haselnüsse, Schokolade, Bonbons.
Vor zehn Tage bis Weihnachten, als die Schüler Wünsche und Gedichte abschrieben, sonderte der Lehrer drei von den größeren Schülern aus, um im Dorf Kollekte zu sammeln, die für den Weihnachtsabend verwendet werden sollten. Die Kollekte bestanden aus Mehl, Zucker, Eier, Schmant, Butter oder Talch. Das wurde alles zu den Hausfrauen getragen, welche Onkel Unruh schon als Bäcker bestimmt hatte, damit die rechtzeitig für alle Dorfskinder die schönsten Kuchen backen. Jeder Bauer gab den großen Schülern, wenn sie zu ihm kamen, soviel Produkte, wieviel Kinder er hatte, die eine Tüte bekommen sollten und nachdem, wieviel er konnte und wollte, denn es waren freiwillige Kollekte. Wohlhabende Bauern schütteten manchmal fast fürs halbe Dorf den Schülern etwas in den Sack. Wenn dann alles gebacken war, so wurde alles in gleichem Maß in die Tüte verteilt, die gekauften Nüsse und Bonbons auch. Fertig volle Tüten wurden dann in zwei große Körbe gelegt, einmal für die Kinder, die noch nicht in die Schule gingen, und in den anderen Korb für die Schüler.
Nun waren noch zwei Tage geblieben. Die Bühne mußte noch gebaut werden, um die letzte Probe auf der Bühne zu machen. Die größere Jungs trugen die Bretter für die Bühne bei, die anderen Schüler stellten die Bänke in Reihen. Hier sollten die Eltern, Großeltern und kleinen Kinder sitzen. In diesem Eifer kam noch Onkel Unruh bei. Er hatte es recht eilig, war aufgeregt und sagte: Halt, Kinder, halt, -seid nur nicht so eifrig. Ich habe keinen Weihnachtsbaum erhalten. Es wird wohl in diesem Jahr kein Weihnachtsfest geben. Ihr habt euch unnötige Mühe gemacht. Alle waren mäuschenstill. Aber jemand hatte bemerkt, daß Onkel Unruh mit den Augen geblinzelt habe, dazu noch freundliche Mienen gemacht habe. Da wurde er plötzlich von allen Schülern bestürmt und die Wahrheit mußte raus. Onkel Unruh lachte. Nun wurde wieder eifrig weiter geschaffen, auch Onkel Unruh war uns behilflich. Als die Bühne fertig war, und wir drauf zum letzten Mal geübt hatten, durften wir alle nach Hause gehen. Den letzten Tag vor dem Weihnachtsabend waren wir frei. An diesem Tag stellten Onkel Unruh und der Lehrer den Weihnachtsbaum auf und schmückten ihn aus.
Heute ist endlich Weihnachtsabend. Mit diesem Gedanken waren alle Kinder in jedem Haus beschäftigt. Heute Nacht kommt der Weihnachtsmann mit seinen Gaben. Und morgen ist Feiertag, übermorgen auch, und dann auch noch ein Tag. So zählten wir Kinder die Tage. Die Tage waren uns ja nicht so wichtig wie die Geschenke, die es an diesen Tagen geben könnte. Heute waren die kleinere Kinder nicht so an ihre Spiele gebunden, wie sonst. Sie standen vielmehr wie man einfach sagt unter den Füßen. Wenn Mama einen Auftrag hatte, wurde die Arbeit mit einem Beispringen getan. Heute wollte ein jeder recht gehorsam sein. Vielleicht näherte sich dann der Abend etwas schneller. Tatsächlich war auch der Abend schon da. Es sollte noch Abendbrot gegessen werden, dann gings zum Weihnachtsabend. Das Abendbrotessen dauerte heute gar nicht lange. Nachdem zogen alle Kinder ihre Sonntagskleider an, Mama und Papa auch. Papa ging dann das Pferd vor den großen Schlitten einspannen. Die ganze Familie wurde auf den Schlitten gepackt. Und Papa fuhr uns in die Schule. Der große Schulsaal füllte sich bis auf den letzten Platz. Die große Petroleumlampe hing in der Mitte. Hier stand auch der große Weihnachtsbaum, geschmückt mit soviel verschiedenen goldenen Äpfeln und Nüssen, allerlei Spielsachen, Ketten und Kerzen. Die Aufmerksamkeit aller Kinder war nur auf den Weihnachtsbaum gerichtet. Dann begann der schöne Heilige Weihnachtsabend. Der Lehrer eröffnete ihn mit Gebet, dann sangen Eltern und die Schüler gemeinsam das Lied:
1.Lobt Gott, ihr Christen allzugleich,
In seinem höchsten Thron.
Der heut schließt auf sein Himmelreich
Und schenkt uns seinen Sohn.
2.Er kommt aus seines Vaters Schoß
Und wird ein Kindlein klein.
Er liegt dort elend, nackt und bloß
In einem Krippelein.
3.Er wird ein Knecht und ich ein Herr.
Das mag ein Wechsel sein!
Wie könnt es doch sein freundlicher,
Das Herzensjesulein.
4.Heut schließt er wider auf die Tür
Zum schönen Paradies.
Der Cherub steht nicht mehr dafür:
Gott sei Lob, Ehr und Preis!
Nach diesem Lied wurde vom Lehrer die Weihnachtsgeschichte über Christi Geburt vorgelesen. Dann trat Onkel Unruh vor und fragte die Schüler, ob wir nicht den Weihnachtsbaum anzünden wollen. Nach unserem lauten "Ja" zündeten der Lehrer und Onkel Unruh alle Kerzenlichter am Weihnachtsbaum an. Es wurde wirklich hell im ganzen Schulsaal, brannten doch ungefähr 40 - 50 Kerzen. Sogar die große Lampe wurde runtergedreht. Dann sangen die Schüler das Lied:
1.Welchen Jubel, welche Freude
Bringt die liebe Weihnachtszeit!
Fröhlich sieht man alle Leute
In der ganzen Christenheit!
2.Wieder strahlt im Glanz der Kerzen
Funkelnd uns der Weihnachtsbaum.
Und es fassen unsre Herzen
All die Herrlichkeiten kaum.
3.Doch nur kurz sind solche Freuden,
Bald verlöscht der Kerzen Licht.
Jesus kann allein bereiten
Freuden, die vergehen nicht.
Chor: Ehr sei Gott, so laßt erschallen.
Und Fried auf Erden
Menschen Wohlgefallen!
Euch ist ja der Heiland geboren,
Der Herr in der Davidsstadt!
Nun wurden auf der Bühne Deklamationen und Gedichte vorgetragen, ganz nach dem aufgestellten Programm des Lehrers. Inzwischen wurden auch Lieder gesungen. Wenn dann erst das Programm zu ende war, -oh, dann kam für alle Schüler und Kinder das Allerwichtigste. Jetzt wurden die Tüten, die in den Körben unter dem Weihnachtsbaum zugedeckt mit einem weißen Leinentuch lagen, verteilt. Der Lehrer und Onkel Unruh waren wieder fleißig bei dieser Sache. Auch die Kerzen fingen an eine nach der anderen zu erlöschen. Damit endete der schöne Weihnachtsabend. Und fröhlich fuhren alle wieder nach Hause.
Zu Hause wurden die Tüten von den Kindern nachgesehen, was alles und wieviel drin war. Mama spornte schon an zum Schlafengehen, aber die Kinder hatten noch keinen Schlaf, denn da mußten ja noch die Teller für den Weihnachtsmann aufgestellt werden. In der Nacht sollte er kommen. So geschah es dann auch. In der großen Stube auf den Tisch stellte ein jedes Kind einen Teller mit seiner Tüte darin auf. Damit der Weihnachtsmann siech nicht verfehlen sollte, wurde auf jeder Tüte der Vorname geschrieben. Erst dann gingen die Kinder freudig, in der Hoffnung, vom Weihnachtsmann recht reich beschenkt zu werden, schlafen.
Lautlos verstrich die Weihnachtsnacht. Manchmal aber recht früh, wenn jemand von den Kindern aufwachte, der sich dann erkundigte, ob der Weihnachtsmann schon was gebracht habe, dann weckte ein Kind das andere. Voller Neugierde und Freude wurde dann alles betrachtet und beschaut. Von den Geschenken, die es zu jener Zeit gab, war folgendes: Taschenmesser, Penale, Buntstifte, Wasserfarbe, Puppenwiege mit Bettsachen und Puppe, Strümpfe, Handschuhe, Halsbinde, Gürtel, Pelzmütze, Filzstiefeln, Tragbänder, Strümpfbänder, Handlaternchen, Halstuch, Bluse, Kleidchen, Nähmaschinchen, Automodelle, Pferdchen, Gengelpferd, Schi, Schlittschuhe, Schnittchen, Pistole, selbstgebastelte Tischspielsachen, Bilderbücher, Malhefte, Taschentücher, Konfekte, Nüsse, Weihnachtsplätzchen und anderes.
Wenn am ersten Feiertag das Wetter nicht all zu garstig war, dann fuhren Mama und Papa, manchmal auch noch wer von den größeren Kindern, am Vormittag nach Pleschanowo zur Kirche. Zu Mittag kamen sie nach Hause. Nachmittags setzten Papa und Mama sich in der Großen Stube auf die Ofenbank. Wir Kinder von groß bis klein stellten uns vor den Eltern schön hin. Jeder sagte dann seinen gelernten Wunsch auf. Für das Wünschen gab es zu Hause nichts, denn der Weihnachtsmann hatte ja schon das seinige getan. Wir, größere Kinder, durften auch manchmal zu Papas Bruder Onkel Heinrich Wall, gehen und ihm unsere Wünsche aufsagen. Dann gab es aber immer ein kleines Geschenk.
Aber da waren noch Geschenke in Aussicht, denn morgen, am zweiten Feiertag, wollten wir alle zu den Großeltern fahren. Das war für uns alle auch wieder eine Freude. Wir waren doch eine große Familie, darum fuhren wir nach Kamenetz mit zwei Schlitten. Sehr früh morgens wurde alles besorgt: das Vieh, der Ofen, drinnen alles. Dann wurde Frühstück gegessen. Mama sagte: Trinkt nur recht heißen Kaffee, damit ihr gut durchgewärmt, denn wir haben eine weite Reise vor uns. Die Kinder wurden alle recht warm angezogen, so gut wir hatten und konnten. Papa hatte indessen schon die Pferde eingespannt. Wir wurden alle in Decken in die Schlitten verpackt. Ich mit den Größeren auf einem Schlitten. Papa und Mama mit den Kleinen auf dem anderen Schlitten. Für mich war es immer ein Vergnügen, im Winter über die Schneefelder fahren. Der Schlitten gnurschte und knirschte auf der Schneebahn. Ich verspürte diese Musik im Rücken, weil ich im Schlitten an der Lehne gelehnt saß. Und bei jedem Telegramposten, den wir vorbei fuhren, hörten wir auch noch das frostige Wintergeheul. Unsere Fahrt dauerte gut zwei Stunden. Als wir losfuhren, war es draußen noch ganz dunkel. Im ersten Dorf, wo wir durchfahren mußten, schliefen die Leute noch. Nirgends war Licht in den Fenstern zu sehen. Im zweiten Dorf - fast das nämliche. Dann mußten wir einen langen recht hohen Berg hinauf fahren. Erst als wir oben waren, fing es an zu dämmern. Vom Berg runter fahren ging schon schneller. Inzwischen war es ganz hell geworden. Als wir bei den Großeltern ankamen, hatten die noch nicht gefrühstückt. Oma war nur klein von Wuchs, aber ihre Freude war sehr groß. Einem jeden Kinde hatte sie was zu fragen oder was zu sagen. Nicht jeden Winter konnten wir die Großeltern besuchen. Im Sommer auch nur selten, denn der Weg war zu weit. Hatten wir uns dann alle gewärmt und beruhigt, dann mußten wir ja auch den Großeltern unsere Wünsche aufsagen. Es wurden die Weihnachtswünsche, auch die Neujahrswünsche gesagt, denn zu Neujahr wieder herkommen war selbstverständlich zu beschwerlich. Opa und Oma hatten auch ihre Freude daran, uns zu Weihnachten zu beschenken. Onkel Johann, Mamas Bruder, der damals noch zu Hause war, hatte eine Harmonika. Spielen und Singen war für uns allen ein Vergnügen. Onkel Johann tobte auch mit uns. Der Tag verging viel zu schnell. Ehe es begann zu dämmern, begaben wir uns wieder auf den langen Heimweg.

Kapitel 55

Neujahr

Das Neujahrsfest war für uns Kinder auch immer ein schöner Feiertag. Wenn er auch nicht reich an Geschenken war, so hatte er doch was gutes an sich. Zu Neujahr gab es gewöhnlich schöne Neujahrskuchen, die an anderen Tagen nicht gebacken wurden. Diese Kuchen, oder Neujahrsplätzchen, wurden mit viel Korinthen gebacken. Am Neujahrsmorgen, wie am Weihnachtsmorgen, sagten wir Kinder den Eltern alle unsere Neujahrswünsche auf. Fürs Wünschen gab es keine Geschenke, nur Neujahrsplätzchen. Ich hatte aber immer noch eine Hoffnung auf ein Geschenk. Meine Großmutter in Kuterlja hatte mehrere Jahre für mich ein Weihnachtsgeschenk und wenn ich nicht immer zu Weihnachten oder Neujahr hinkam. In den Jahren, als ich noch kleiner war, fuhren wir zu Neujahr nach Kuterlja zu Oma. Aber so nach und nach hörte es sich auf.
Oh, diese Oma! Wie war sie mir so nah! Ich verspürte ihre Nähe, wenn ich bei ihr an den Schoß stand, etwas was mich fesselte. Ich wäre am liebsten bei ihr geblieben. Da waren unsichtbare Fäden der Liebe, die uns verbanden, von welchen sich nur ein erfahrener Mensch eine Vorstellung machen kann. Wenn Papa und Mama sich dann mit Tante Sara und Tante Anna unterhielten, dann nahm Oma sich inzwischen Zeit mit mir zu sprechen. Sie hatte was in der Schürze. Wir gingen in eine andere Stube. Sie setzte sich auf einen Stuhl, ich neben ihr an den Schoß. Sie deckte dann in ihrem Schoß einen schönen Kuchen auf, der sich so leicht verbrechen ließ. Kleine Teile brach sie von dem ab und gab mir. Ich stand neben ihr und aß. Was mir so wichtig war: dieser Kuchen ließ sich bis aufs Kleinste, ohne jegliche Mühe, immer in gleiche Teile abbrechen, gerade passend für einen Kindermund. So einen Kuchen gab es auch nur bei dieser Oma. Er war oben schön, unten breit, durch und durch voll Süßigkeit. Freudig, mit einem Geschenk von Oma, fuhren wir dann am Abend nach Hause.
9.2.83

Kapitel 56

Weihnachten nach Weihnachten

Nun waren die schönen Weihnachtsferien vorbei. Wir gingen wieder zu Schule. Der erste Tag war ein Tag der Freude und des Vergnügens, denn es duftete im Schulsaal noch nach Weihnachten, weil der Weihnachtsbaum noch im vollen Schmuck stand. Die Bänke stellten wir zurecht und setzten uns auf unsere Plätze, und die Unterhaltung mit dem Lehrer begann. Wir erzählten, wer wie die Weihnachtsfeste gefeiert hat und was der Weihnachtsmann einem Jeden gebracht hat. Da gab es allerlei Buntes zu hören. Nach der Mittagspause brachte der Lehrer die leeren Schachteln für den Weihnachtsbaumschmuck. Unter Aufsicht des Lehrers durften wir behutsam den schön geschmückten Weihnachtsbaum entlarven. Der Schmuck wurde fürs nächste Jahr eingepackt und weggestellt. Dann wurde der leere Weihnachtsbaum in kleine Äste geschnitten, wie möglich in gleiche Teile und nach der Zahl der Schüler. Die Spitze, die Krone vom Baum wurde verlost. Wem das Glück traf, der freute sich dann soviel mehr. Voller Freude gingen wir, jeder mit einem Ästchen vom Baum, nach Hause, um sich einen kleinen Kinderweihnachtsbaum zu Hause zu machen. Gewöhnlich spielten die Kinder dann noch im Nachtrag Weihnachten bis endlich das Bäumchen ganz verschüttete. Indes hatten die gewöhnlichen Schultage ihren Lauf begonnen.

Kapitel 57

Eine Hochzeitsfahrt. 1923

Tante Anna in Kuterlja hat bald Hochzeit. Ihr Bruder Abram Klassen, mein Onkel, wohnte auch in unserem Dorf. Seine älteste Tochter Sara war vier Jahre älter als ich. Ich war zwölf Jahre alt und ging in die dritte Klasse. Es war im Winter 1923, als Papa mir eines Tages sagte: Du und Sara dürfen zur Hochzeit fahren. Und nicht nur zur Hochzeit, sondern auch zum Polterabend am Samstag. Die Hochzeit selbst - am Samstag. Meine Eltern und Onkel Abram Klassen wollten Samstag früh fahren. Der Lehrer hatte mich für diesen Samstag frei gelassen. Onkel Abram spannte ein Pferd vor den Schlitten, und gleich nach Mittag fuhren wir los. Es war eine Fahrt von ungefähr zwei Stunden, etwa zwölf Kilometer. Wir mußten durch zwei Dörfer bis ins dritte Dorf fahren. Der weg war uns bekannt, aber so allein, ohne Eltern, fahren, das war für uns beide zum ersten Mal. Ich aber fühlte mich recht gehoben, als Onkel Abram mir die Leine in die Hände gab und sagte: Paßt nur auf und fahrt glücklich! Der Tag war wohl trübe, aber gelinde. Hin und wieder fiel ein Schneeflöckchen, und wir beide waren glücklich und zufrieden. Wir hatten beide Eltern, waren aber doch beide Halbwaisen. Wir hatten uns nichts vorzuwerfen, wir hatten beide schöne Stiefmütter. Deshalb war uns dieses so allein-zusammen-sein so recht passend. Wir waren beide wohlbedacht in einer Pelzdecke eingepackt. Sara hatte Lederschuhe, ich aber Filzstiefeln an. Wir hatten das zweite Dorf verlassen, waren noch etwa vier Kilometer weiter gefahren, dann mußten wir einen ziemlich langen Berg hinunter fahren. Vor uns lag ein recht breites Tal. Wir mußten, noch wieder den nicht sehr hohen Berg wieder hinauf, gleich hinter dem Berg lag Kuterlja. Doch als wir den Berg hinunter fuhren fing unerwartet ein Schneegestöber an, und in ganz kurzer Zeit stürmte es sehr, so das man gar nicht weit sehen konnte. Als wir bis ins Tal kamen, war die Bahn gänzlich verstürmt. Unser Pferd hatte bald die Bahn verloren. Nun fing es an in dem Schnee zu versinken, auch schon so tief, daß es nicht mehr gehen konnte. Es fing an zu springen, zu toben, zu strampeln, damit es vorwärts kam. Ich stieg vom Schlitten und half den zu schieben, damit das Pferd leichter vorwärts kam. Auf einmal mit einem Ruck war unser Pferd ausgespannt. Ich führte das Pferd eine kleine Strecke weiter aus dem tiefen Schnee, wo ich dachte, daß es schon gehen würde, lies das Pferd stehen und ging den Schlitten näher schieben. Leider zwang ich den allein nicht. Sara mußte aussteigen und schieben helfen. Ich ging überall oben über den Schnee, denn ich hatte ja Filzstiefeln an, aber Sara mit ihren kleinen Lederschuhen sank tief in den Schnee. Es stürmte, der Wind heulte. Zum Glück kam uns der Wind vom Rücken. Sara stieg wieder unter die Pelzdecke, denn ihre Strümpfe und die kahle Knie waren voll Schnee. Ich spannte wieder ein, blies inzwischen in die Hände. Dann versuchten wir wieder loszufahren. Doch ach! Nur wenige Meter ging es einigermaßen, und dann versank das Pferd wieder, ruckte-hupste und spannte sich wieder aus. Alles wiederholte sich. Sara war schon recht verfroren, sie fing an zu weinen. Das half aber nicht. Ich mußte wieder einspannen und versuchen weiter zu kommen. Ich war nicht verfroren, denn ich hatte mich mit dem Pferd und mit dem Schlitten warm getobt, außer die Hände, denn mit dem öfteren Einspannen waren meine Handschuhe ganz voll Schnee geworden. Ich bedauerte nur meine Sara. An Verirren dachte ich noch nicht, denn wenn wir den Wind im Rücken behielten und wir weiter kommen könnten dann mußten wir bald ans Dorf gelangen, das jetzt nur noch ein Kilometer entfernt vor uns lag. Selbstverständlich war auch mir unheimlich zu Mute. Aber es mußte gemacht werden! So spannten wir noch zweimal um bis wir endlich aus dem tiefen Schnee herauskamen. Weiter den Berg hinauf fanden wir auch wieder die Bahn. Alle Angst war vorbei. Auch der Sturm hatte mehr nachgelassen.
Wir hatten uns im Schneegestöber doch recht lange aufgehalten. Als wir bei Oma auf den Hof kamen, fing es schon an zu dämmern. Einige Leute waren schon zum Polterabend gekommen. Wer ausgespannt hat, weis ich nicht. Ich und Sara wurden rasch ins Haus gebracht, damit wir uns schnell wärmen konnten. Von der Oma wurden wir als kleine Kinder bejammert. In der großen Stube waren schon viele Gäste. Immer mehr Jugendliche kamen zu. Der Polterabend begann, aber Oma war immer noch um uns besorgt: Wir sollten noch Kuchen essen und recht heiißen Kaffee trinken, um warm zu werden. Als wir beide und Oma auch uns beruhigt hatten, gingen wir beide in die große Stube, um zu sehen wie die Jugend polterte, Geschenke gab, und auch daran teilnehmen. Ich schenkte einen neuen Stubenbesen, ein Rollholz und ein Nudelbrett. Auch noch ein Gedicht, daß so begann:
Kann nicht schreiben, kann nicht lesen,
bringe schleppend einen Besen,
auch ein Rollholz schön und nett,
dazu auch ein Nudelbrett...
Es gab ein rechtes Lachen bei den Gästen. Einer sagte sogar: "O, der Junge macht noch Spaß, demnach ist er nicht ganz verfroren".
Es war auch wirklich so, ich war nicht besonders verfroren. Aber wie es immer war und ist, wenn das Abenteuer vorüber ist und jegliche Furcht überstanden ist, dann kann man nachher darüber herzlich lachen. Draußen war noch Unwetter, aber drinnen in den geräumigen, warmen Stuben, war alles voller Freude. Musik, Gesang und Spiel füllte die Zeit aus. Erst spät am Abend gingen alle Gäste nach Hause und der Polterabend war zu Ende.
Früh morgens des anderen Tages, am Hochzeitstag kamen zwei Schlitten auf den Hof von Oma gefahren. Die Pferde, die Schlitten mit den Insassen waren ganz weiß mit Schnee bedeckt. Es waren Papa und Mama, Onkel Abram und Tante Mariechen, sie kamen auch zur Hochzeit. Das Unwetter hatte sich noch nicht gelegt, durch das Tal waren sie wohl gekommen, wenn auch nur beschwerlich, aber solche Strapazen, wie wir beide, Sara und ich, durchgemacht hatten, waren ihnen erspart geblieben. Man pflegt oft zu sagen: "Wenn das Herz voll ist, geht der Mund über". Das erste und wichtigste Gespräch war, wie wir beide gestern gefahren sind.
Die Hochzeit war schön, trotzdem stürmte es draußen weiter. Die Hochzeit ging zu Ende, aber das Sturmwetter war doch so groß, daß unsere Eltern sich nicht wagten sich auf den Weg zu begeben und wir blieben noch alle über Nacht bei Oma.
Am Montag morgen des anderen Tages, gleich nach dem Frühstück, da das Unwetter sich gelegt hatte, begaben wir uns alle auf die Heimreise. Drei Schlitten, eine ganze Schlittenkaravane, fuhren dann über die großen weißen Schneefelder nach Hause.
Montag vormittag noch kamen wir nach Hause. Um nicht zu viel Schulzeit zu versäumen, mußte ich nach dem Mittagessen zur Schule gehen. Meine Mittschüler hatten am Samstag eine Hausaufgabe bekommen, ein Gedicht in russischer Sprache auswendig zu lernen, um es am Montag auswendig aufsagen zu können. Ich hatte ja Samstag und Montag vormittags die Schule versäumt. Darum konnte ich das Gedicht von Krylow nicht.

Kapitel 58

Ordnung

Über Ordnung konnte man viel sagen, auch viel schreiben. Sollte man fragen, wer liebt Ordnung? Die Antwort würde lauten: alle Menschen. Sollte man fragen, wer schafft, pflegt und hält Ordnung, dann würde wohl die Antwort sein: Ach, so wenig nur.
Über Ordnung hört man oft sagen: "Wo die Ordnung ist zu Haus, da sieht's immer freundlich aus". Oder: "Ordnung und Reinigkeit, jede Hausfrau erfreut". Oder: "Ordnung ziert, Unordnung blamiert den Menschen". Oder:" Ordnung regiert die Welt und der Knüppel den Menschen". Wenn man die Unordnung eines anderen Menschen Ordnung nennen will, dann wird gesagt: "Das ist eine Ordnung das selbst der Teufel sich die Beine bricht."
Zu meiner Schulzeit war die Ordnung auf einem höheren Standpunkt, als heute. Vor dem Lehrer hatte ein jeder Schüler voll Respekt. Ihm war die Erziehung der Kinder neben den Eltern im vollen Maße anvertraut. Aus den Schülern ehrliche, gehorsame, ordentliche, taktmäßige, sympathische, Menschen zumachen, war auch des Lehrers Pflicht. Für Ungehorsamkeit und Unfug u.a. hatte auch ein Recht sie zu Strafen. Daher hatte die Erwachsene Jugend einen viel größeren Abstand bei den Leuten und vor den Leuten, als in jetziger Zeit. Achtung und Ehrerbietung erwies man gegen jedermann, insbesondere vor den Alten. Das alles kann man im vollen Sinne dieses Wortes Ordnung nennen.

Kapitel 59

Ungehorsam und Unfug

Wenn die Kinder erst anfingen zur Schule zu gehen, der Lehrer sich mit allen bekanntgemacht und befreundet hatte, dann war es dem Lehrer in erster Linie darum zu tun, den Schülern von der Ordnung zu erzählen, wie man sich in der Schule und auf der Straße aufführen muß. In der Schule während des Unterrichts still und aufmerksam sein, auf der Straße ordentlich sein und anständig gehen, allen Leuten die Zeit bieten, d.h. grüßen und verschiedenes mehr. Diese Ordnung wurde von ihm auch kontrolliert. Wenn der Unterricht in der Schule zu Ende war, die Schüler alle nach hause gingen, begleitete der Lehrer bis zur Straße. Hier blieb er stehen und schaute dann eine Weile den Schülern nach, wie sie sich auf dem Heimweg vertragen würden. Laufen, Spielen oder mit der Schultasche schleudern wurde nicht erlaubt, ausschließlich, wenn es im Winter sehr kalt war, oder wir hatten einen Auftrag schnell zu erfüllen, dann war auch Laufen erlaubt. Hatte er manchmal keine Zeit uns nachzusehen, fragte er am nächsten Schultag, ob wir auf der Straße brav gewesen waren. Wenn dann von den Schülern jemand klagte, dann wurde der straffällige Schüler beschämt oder erhielt eine Rüge, ein Verweis. Die Straffen waren verschieden, je nachdem wie sich der Schüler verschuldet hatte: beschämen, schelten, in der Ecke stehen, für nicht erfüllte Hausaufgaben - nachsitzen, oder wenn es schon zu grob wurde, dann gab es auch Schläge, d.h. tüchtig Prügel. In der Klasse vorne stand ein Katheder, etwa 30 cm hoch. Auf dem Katheder stand der Lehrertisch, daneben der Stuhl. Und der Stock, der Züchter, hatte auch seinen beständigen Platz. Vor dem Lehrer, unter der Tischplatte, auf der nicht ganz zugeschobenen Schublade lag dieser Stock. Aus hartem Holz, weiß und glatt, etwa 70 cm lang, an einem Ende etwa spitz. Er diente dem Lehrer als Zeiger an der Landkarte. War aber auch sehr passend den unartigen Jungs die Unart zu vertreiben, das Leder zu gerben oder die Hosen auszustauben. Wie viele Jahre der Stock in der Schule gedient hat, weiß ich nicht, aber meine ganze Schulzeit, sechs Jahre, war nur dieser ein Stock.

Kapitel 60.

Die Feldflasche

Der Unterricht in der Schule dauerte den ganzen Tag, wie Vormittag, so auch Nachmittag, auch am Samstag bis Mittag. Zum Mittagessen gingen alle Schüler nach hause. Die Mittagspause dauerte gewöhnlich anderthalb Stunden. Bei Sturmwetter oder großen Frost nahmen die Schüler, die weit von der Schule wohnten, ihr Mittagessen mit zur Schule. Es bestand meistens aus einem Stück Brot, Syrop oder Konfitüre bestrichen und einer Flasche weißer Kaffee oder Milch, wenn die Kühe noch Milch gaben, sonst aber nur schwarzen Kaffee. In der letzten Vormittagspause stellte jeder Schüler seine Flasche in die Ofenröhre, um in der Pause warmes trinken zu können.
Nach dem Unterricht gingen wir Schüler alle nach hause. Es war ein frostiger Tag und ein starker Wind. Ich hatte beim nach hause gehen den Wind im Rücken. Als ich vom Schulhof ging, stieß der Wind mich mit einem Ruck, meine Schloren glitschten aus, ich fiel hin. Meine Feldflasche, die Aluminiumflasche flog mir aus der Schultasche raus und glitschte mit Wind eine ziemliche Strecke. Das gefiel mir gut. Ich stand auf, ging bis zur Flasche, nahm sie und warf sie den glatten Schneeweg entlang. So machte ich bis zu hause. In so einem Frost würde der Lehrer ja nicht an der Straße stehen und aufpassen, wer was auf der Straße macht. Von den Schülern hatte es aber doch jemand gesehen und dem Lehrer geklagt. Des anderen Tages wurde ich von dem Lehrer vorgenommen, ausgeschämt und gewarnt, weiterhin auf der Straße ordentlich zu gehen.

Kapitel 61

Purzelbaumschlagen.

Ein anderer Fall. Es war an einem schönen Wintertag. Am vorherigen Tag war recht viel Schnee gefallen, fast bis an die Knie. In der Schule war wie gewöhnlich Unterricht. Es war in der Mittagspause. Ich war schon von zu Hause in die Schule gekommen, da kam der Lehrer in die Klasse und gab mir einen Auftrag, ich solle noch schnell nach hause laufen und unserem Papa einen Zettel geben. Ich zog mich an. Diesmal hatte ich Filzstiefeln an und lief rasch vom Schulhof in den lockeren Schnee. Ich meinte, die Schüler seien jetzt schon alle in der Schule, und machte in den weichen Schnee einen Purzelbaum. Dabei wurde ich natürlich ganz weiß voll Schnee. Im dem Moment, als ich aus dem Schnee aufstand, kam gerade noch ein Schüler aus dem Haus gegenüber. Er sah, wie weiß vom Schnee ich war. In aller Eile lief ich nach hause, auch wieder zur Schule. Noch vor dem Unterricht fragte der Lehrer: Johann Walde, wie hast du dich auf der Straße aufgeführt? Ich wußte ganz genau, wer mich angeklagt hatte: zur Strafe mußte ich eine ganze Stunde hinter der Tafel in der Ecke stehen.

Kapitel 62

Nachsitzen

Für nicht erfüllten Hausaufgaben mußten die Schüler in der Schule nach dem Unterricht nachsitzen, d.h. das Versäumte nachholen und lernen. Eine Mathematikaufgabe rechnen, ein Gedicht auswendig lernen, einen Hausaufsatz schreiben und verschiedenes anderes kam da vor.
Der nachsitzende Schüler saß dann in der Klasse alleine und lernte. Der Lehrer besorgte seine eigene Wirtschaft, zwischendurch kam er aber in die Klasse, um zu sehen, ob der Schüler schon fertig war. Dann durfte der Schüler nach hause gehen. In meinen sechs Dorfschuljahren mußte ich dreimal nachsitzen. Wie es bei den anderen Schülern war, weiß ich nicht, aber ich bekam für jedes mal Nachsitzen Prügel von Papa.

Kapitel 63

Geröstete Erbsen.

Im Jahre 1923 wurde der Religionsunterricht in den Schulen gänzlich verboten. Der Dorfschullehrer durfte mit der Religion nichts zu tun haben. Darum wurde von den Dorfeinwohnern, von den Schülereltern ein Privathaus gesucht, gemietet um dann den Religionsunterricht durchzuführen. Dazu wurde auch ein Prediger gewählt, der den Unterricht führte. Bei uns in Klinok war es Onkel Wilhelm Sawadsky. Zweimal in der Woche gingen die Schüler alle zusammen aus der Schule in das Haus, um dort die biblischen Geschichten kennen zu lernen. Nur die erste Klasse beteiligte sich an dem Religionsunterricht nicht. Die Schüler der zweiten und dritten Klasse lernten die Bibel in der großen Stube bei Peter Becker. Hier standen nur Bänke, keine Tische, daher hatten wir auch keine schriftlichen Arbeiten zu erfüllen. Onkel Wilhelm Sawadsky las uns die Geschichten vor. Wir mußten aufmerksam zuhören und dann wurden wir auch gefragt. Gewöhnlich wurde eine Stunde gelesen, dann gab es eine Pause und nach der Pause kam Verhör, wer was behalten hatte. Während des Unterrichts verhielten wir uns recht ordentlich, denn Onkel Sawadsky war streng. Aber wenn erst die Pause kam, ging er gewöhnlich in die Nebenstube bei Beckers rein, wir waren dann recht laut und unsässig. David und Lena Becker waren auch Schüler, aber in der Pause gingen sie oft zu sich in die anderen Stuben, weil sie ja zu Hause waren. Eines Tages brachte Lena Becker in der Pause geröstete Erbsen und knusperten. Das war aber zu verlockend für uns! Die Jungen umringten sie. Jeder wollte von ihr ein paar Erbsen haben. Sie gab, ob sie wollte oder nicht, jedem etliche Erbsen, bis die alle waren. Nur fünf - sechs Stück hatte jeder erhalten. Dann fing die Dummheit, die Unart an. Man warf die Erbsen einer dem anderen ins Gesicht, man schoß sogar aus dem Mund die Mädchen ins Gesicht. Eine Erbse traf Lena ins Auge. Weinend ging sie es klagen. Sofort kam Onkel Sawadsky an, begann Ordnung zu schaffen, obzwar wir schon alle mäuschenstill waren. Die Mädchen hatten recht viel Erbsen ins Gesicht bekommen, das zeigten die verweinten Gesichter. "Wer hatte denn eigentlich geworfen?"- fragte Onkel Sawadsky. "Alle"- antworteten die Mädchen. Dann müssen auch alle Jungen bestraft werden. Er fing an die verschuldeten nach vorne zu rufen. Inzwischen fragte er dann: " Wer hat noch mit Erbsen geworfen?" " Ich nicht, ich auch nicht,"- antworteten einige. Aber diejenigen, die schon vorne standen sagten natürlich: "Der hat geworfen, auch der hat geworfen!" Bis endlich alle Jungen vorne standen. Jetzt fing das Gericht an. Die Mädchen mußten etwas zurück rücken, damit es vorne mehr Platz gab. Den David Becker schickte Onkel Sawadsky in den Stall einen langen Strick holen. Das Lachen war bei allen jetzt schon verrutscht. Einige Mädchen fingen schon an zu weinen. Aber die Geschichte ging vorwärts. David brachte wirklich einen langen Strick, wie eine Leine herein. "So"- sagte Onkel Sawadsky zu den Jungen, - "jetzt wird einer nach dem anderen den Strick halten bis ich für jeden ungefähr sechzig cm. gedreht habe, und dann stellen wir hier vorne eine lange Bank hin, ihr legt euch alle über die Bank ganz dicht zusammen, dann soll es Klopp geben mit diesem zusammengedrehten Strick. Mal sehen, ob ihr dann noch mit Erbsen schießen wollt." Die Mädchen heulten schon alle, einige von den Jungen auch. Aber die Sache ging vorwärts. Endlich war der Strick zusammengedreht, eine Bank vorgerückt. Jetzt kam das Schrecklichste. Onkel Sawadsky hielt den langen Strick in der Hand und sagte: " So Jungs, jetzt legt euch alle über die Bank!"----Ach, ich höre es heute noch, wie die Mädchen jammerten auch die Jungen heulten schon alle. Aber Onkel Sawadsky gab nicht nach, bis die Jungs alle über der Bank lagen. Dann fragte er: "Wollt ihr Klopp haben, oder werdet ihr ordentlich sein?" Selbstverständlich wollten wir alle gehorsam sein. Dann durften wir uns ohne Klopp auf unsere Plätze setzen. Der Unterricht ging in Zukunft ohne je zu schelten weiter. Das blieb uns ein Denkzettel für das ganze Leben.

Kapitel 64

Die Schultoilette

Es war wohl mein letztes Schuljahr. Im Winter war Unterricht wie gewöhnlich in der Schule. Bei gutem Wetter spielten wir in den Pausen einige Minuten in dem Freien. Diesmal war es zu stürmisch, so daß die Schüler nur zur Toilette liefen und hurtig zurück in die Klasse kamen. Wie es den eben bei den Kindern war, so war es auch in diesem Fall, ein jeder drängte vor, um schneller zurücklaufen zu können: die Mädchen bei ihrer Abteilung, die Jungen bei seiner Abteilung. Die kleineren und schwächeren Schüler mußten gewöhnlich draußen etwas warten. Die Toiletten waren durch eine Bretterwand getrennt. In einem Brett, das gerade über dem Sitzbrett stand, befand sich ungefähr sechzig cm. von unten ein Astloch. Das war sehr passend zum durchpinkeln. Da die Mädchen gerade an der anderen Seite waren, so wurde dieses Astloch von den Jungens ausgenutzt. Jeder, wer nur konnte, drängte sich bei, um durch dieses Loch zu pinkeln. Der "Regen" hatte Agnes Friesen getroffen. Ihr Kleid wurde naß. Weinend ging sie nach Hause und klagte es ihrem Papa, unserem Lehrer. Die Pause war noch nicht zu Ende. Agnes Friesen hatte sich ein anderes Kleid angezogen, weil sie ja zu hause war, denn der Lehrer wohnte doch im Schulgebäude. Als Agnes in die Klasse kam, sagte sie zu den Jungens: "Der Lehrer wird euch dafür zeigen!" Darauf antwortete einer von den Jungen, Kornelius Fot, - "Der Lehrer kann sich ausscheißen gehen!" Sie lief zurück, berichtete auch dies ihren Vater. Dann kam sie wieder in die Klasse. Bißchen später kam auch der Lehrer in die Klasse. Wir Jungen fühlten uns nicht wohl. Ich persönlich hatte an diesem Unfug nicht teilgenommen, aber manchmal muß auch der unschuldige mit den schuldigen leiden. Nun fing der Verhör an: "Wer hat durch das Loch gepinkelt?" Alle waren still. Dann fragte er einen kleineren Schüler, ob er es getan habe. Dieser sagte ganz frei, er habe draußen gestanden, weil die größeren sich vorgedrängt hatten. Jetzt wurde die Schuld bei den größeren gesucht. Da fragte der Lehrer schon ganz ernst. Es durfte keine undeutliche Antwort gegeben werden. Der erste Schüler, den der Lehrer fragte, gab zur Antwort, er habe es nicht alleine getan, Peter und David waren auch dabei. Diese beiden wollten ihre Schuld auch erleichtern und gaben dann noch andere Schüler raus. Obzwar ich sagte, daß ich nicht dabei war, sagten die Jungens doch: "Ja, ja, er war auch dabei". Der Verhör war zu Ende. Nun zog der Lehrer die lange Bank, die an der Wand neben der Tafel stand, vor und nahm einen Stock aus der Tischschublade. Alle Jungen der dritten Klasse, ich auch natürlich, mußten nach vorne kommen und sich über die Bank legen. Die Bank war gerade lang genug für alle sieben Jungen. Jeder bekam zwei Hiebe, Schläge, aber Kornelius Fot drei, weil er noch gesagt hatte: "Der Lehrer kann sich ausscheißen gehen". Alle Schüler weinten, die Mädchen auch. So eine Unart gab es nicht mehr in der Schule

Kapitel 65

Der Gummiball

Die Bauern waren immer im Aufschwung, Aufbau ihrer eigenen Haus- und Landwirtschaft. Alle Mittel und Kräfte wurden angewendet, nur um die eigene Wirtschaft zu vervollständigen und zu verbessern. Das Geldeinkommen hing ganz allein von der Getreideernte ab. Wenn Mißernten eintrafen, war die Lage besonders kritisch. An viel Luxus, oder an Sachen, ohne welche man sich in der Familie oder Wirtschaft helfen konnte, wurde nicht gedacht. Es kam zu teuer, dazu war kein Geld. Darum waren die Geschenke für die Kinder oft ganz billig, und wenn es ginge, selbst gebasteltes Spielzeug, z. B. Domino, Penal, Hampelmann. Im Volke sagt man: "Die Kinderhand ist bald gefüllt". Ohne ein Tütchen mit Süßigkeiten, billiger Bonbons, blieben wir niemals. Wenn es noch etwas von Spielsachen gab, war die Freude natürlich größer. Von den Eltern meiner Stiefmutter bekamen wir, ich und Heina, an einem Weihnachtsfest außer den Weihnachtsplätzchen jeder ein gekauftes kleines Pferdchen nur zum auf dem Tisch spielen, dazu sehr behutsam, denn es war ein Lehmpferdchen. Sie waren so bald kaputt. Ein andermal, als die Familie schon größer war und mit zwei Schlitten zu den Großeltern kam, bekam noch jeder von uns Kindern eine vom Großvater gebastelte Glasdose, ein kleines Kästchen, wo ungefähr zehn Streichholzschachteln Platz hatten. Abfälle vom Fensterglas waren zurechtgeschnitten, mit papierstreifchen zusammengeklebt. Aber "Glück und Glas, wie leicht bricht das". In einigen Tagen waren diese Geschenke bei uns auch kaputt.
Von meiner Oma aus Kuterlja bekam ich auch Geschenke. Einmal war es eine weiße Pelzmütze aus einem Schafsfell. Die habe ich vier Jahre getragen, bis sie ganz veraltet waren. Ein anderes Mal bekam ich zwei kleine Porzelanpferdchen. Die hielten natürlich bißchen länger, als die Lehmpferdchen. Einmal aber freute ich mich ganz besonders über das Geschenk. Das war ein schwarzer, nicht sehr großer Gummiball. Ach, wie passend war der zum spielen, und wie oft habe ich Ball gespielt! Der Ball war zu jener Zeit eine Seltenheit und niemand hatte so einen passenden Ball. Daher kamen nun die Jungen zu uns Ball spielen. Den Ball durfte ich aber nirgendwohin mitnehmen. An den Werktagen spielen oder spazierengehen, so was gab´s nicht. Alle Kinder mußten zu Hause in der Wirtschaft helfen. In den Pausen in der Schule durfte man spielen, aber da fehlte der Ball. Die Jungen umringten mich oft und bettelten, den Ball doch zur Schule mitzubringen. Die brauchten auch gar nicht so viel Mühe, mich dazu zu überreden, denn gerne genug wollte auch ich hier auf dem Schulhof Ball spielen. Eines Tages übertrat ich das Verbot der Eltern, nahm den Ball mit zur Schule. Das Vergnügen aller Jungen war groß. Leider war es eine wehmütige Freude für mich. Das Gewissen war unruhig in mir, weil ich ungehorsam war. Eine Zeit ging es. Aber eines Tages bekam der Ball beim Spielen einen zu harten Schlag mit dem Stock und platzte. O weh! O weh! Das war die Strafe! Aber noch eine wird bestimmt folgen. O wie war es mir so weh ums Herz! Was sollte ich jetzt sagen, wenn Papa oder Mama mit einmal fragen werden: "Wanja, wo ist der Ball?" Über kurz oder lang kam auch diese meine Übeltat ans Licht. Ich gestand, wie es war, denn hier noch die Unwahrheit sagen wagte ich nicht. Von den Schülern könnte es doch rauskommen, wo der Ball geblieben war. Zu hause gab es eine laute, scharfe Unterhaltung darüber, aber Prügel gab es nicht. Papa sagte: " Ein Kind kann man nicht schwer straffen, als ihm den Willen lassen". Das war das Ende vom Gummiball.

Kapitel 66

Das letzte Geschenk von meiner Oma

Es war im März 1927. Ich war 15 Jahre alt. Eines Tages sagte Papa: "Wanja, Oma in Kuterlja ist sehr krank. Spann ein Pferd vor den Schlitten an und fahre Oma besuchen. Sie wird vielleicht nicht sehr lange leben." Das war für mich als junger Junge eine Freude. Erstens konnte ich noch einmal einen Tag in dem Heim, das mir so lieb und teuer war, verbleiben. Zweitens durfte ich alleine fahren. Meine Stimmung war gehoben. Ich hatte das Gefühl - ich werde größer. Drittens, während der Fahrt durch die weiten weißen Schneesteppen atmete ich frei und freudig, weil ich auch dem alltäglichen, häuslichen Geräusch rausgekommen war. Oh, diese Fahrt vergesse ich nie! Und nun war ich bei Oma. Ja, Oma war schwer krank. Sie lag im Bett. Sitzen konnte sie nicht. Ich begrüßte sie. Bleich und schwach, mit trüben Augen sah sie mich dann ein Weilchen an. Ich sah, daß es nicht mehr die frühere Oma war, die mich so oft geherzt hatte. Sie sprach nicht viel. Ich sprach mehr mit Tante Anna, welche die Oma pflegte und besorgte. Sah zu wie T. Anna Flaschen mit warmen Wasser der Oma an den Füßen legte, denn sie wärmte sich schon nicht mehr selber. - Gummiflaschen wie es heute gibt, waren damals nicht. - Nun aber, inzwischen sprach die Oma doch etwas. Und dann mit einmal sagte sie zu T. Anna: "Geh hol mal das Geschenk, was ich für den Wanja in der Komode noch liegen hab." Sie ging und brachte mir auf einer Kartonplatte Akwarelfarbe mit 18 Sorten Farben. Das Geschenk war ja nicht groß, weil ich schon ein Alter erreicht hatte, dass schon nicht mehr für solche Tusche interessiert war. Aber jetzt nach vielen Jahren denke ich das, was ich hätte damals denken sollen.
"Das Geschenk ist zwar klein, aber wichtig ist wer es gegeben hat" Das war die letzte Liebestat die meine liebe Oma an mir getan hat. Inzwischen aßen wir zu Mittag und Tante Anna und nach etlicher Zeit rückte auch die Zeit näher wo ich wieder nach Hause fahren musste. Beim Abschiednehmen fasste Oma noch mit ihrer schwachen Hand die meine, hielt sie noch ein wenig und sagte dann leise: Auf-wie-der-sehn.
Das war das letzte Zusammensein mit meiner lieben Oma.
Desselbigen Jahres am 30 April sagte Papa zu mir: "Wanja, Oma ist gestorben, morgen den 1 Mai ist Begräbnis, du darfst auch zum Begräbnis fahren." Es war ja Frühling, die Aussaat wurde gemacht, und Papa hatte für diesen Tag auch schon einen Plan fertig. Ich sollte auf einem Pferd nach Kuterlja zum Begräbnis reiten. Er und Mama wollten auf den Wagen mit zwei Pferde nach Podolsk nach Saatgetreide fahren zum säen. Der Befehl von Papa war folgend: "Wenn die Beerdigung zu Ende sei und die Leute alle werden gegessen haben, dann solle ich mich wieder aufs Pferd setzen und von Kuterlja nach Podolsk kommen um mein Pferd dann als drittes an Papas Wagen beispannen zu können, weil der Wagen hoch mit Getreide sollte beladen werden." Von Podolsk fuhren wir, Papa, Mama und ich auf der Weizenfuhre mit 3 Pferde nach Hause. Solche Erinnerung ist von Omas Begräbnis und ihrem letzten Geschenk zurück geblieben.
Weil uns jetzt das Dorf Kuterlja schon so bekannt ist, so will ich hier gleich anschließend noch eine Begebenheit beifügen. Dazu rücken wir auf 50 Jahre weiter. O wie viel Wohnorte habe ich in dieser langen Zeit gewächselt. Gegenwärtig bin ich mit meiner Familie ansässig in der Stadt Karatau, Dschambuler Gebiet. Es war im Jahre 1977 Juli Monat als ich eines Tages ein Telegramm erhielt, das Tante Anna in Kuterlja gestorben sei. Ich hatte die Möglichkeit zum Begräbnis zu fahren. Mit der Beerdigung verzog man etwas, man hatte auch bekannt gemacht, nicht eilig zu sein, denn man habe 13 Telegramme ausgeschickt und nur eine einzige Antwort zurück erhalten: "Walde Johann kommt."
Ich kamm, obzwar mit Verspätung, aber ich habe Tante Anna begraben. Das war die Tante aus dieser Familie, - die Letzte. Auf dem Hofe des ersten Ansiedlers in Kuterlja war ich auf drei Begräbnisse. Abram Klassen mein Opa, ano 1916, Oma ano 1927 und Tante Anna ano 1977.

Kapitel 67

Johannesbeeren

Mein Großvater Abram Klassen hatte eine Familie von 6 Kindern. Abram, Sara, Helena, Jakob, Aron, Anna. Onkel Abram wohnte mit seiner Familie wie wir schon wissen in Klinok, von uns über ein Haus. Tante Sara mit ihrem Mann wohnte in einem anderen Dorf. Nach Opas Tod fuhren Onkel Jakob und Onkel Aron in die Fremde und gründeten dort ihre Familien. Helena, wie wir schon auf den ersten Blättern lesen. War meine Mama. Tante Sara hatte einen Gustav Rempel zum Mann, wenn ich nicht irre, dann ist er 1919 - 20 gestorben. Ich kann mich erinnern das wir auf den Wagen am warmen Sommertage, Papa, Mama und ich zu ihm gefahren sind, als er schon sehr krank war. Er starb und hinterlies zwei Mädchen, Sara und Justina. Sara war so alt wie ich, Justina etwas jünger. Jetzt sehen wir. Sara Klassen mit welcher ich später zu Tante Anna ihre Hochzeit fuhr, war die Mama gestorben. Sara und Justina Rempel war der Papa gestorben. Mit war die Mama gestorben. Also sehen wir vier Kinder-Halbweisen. Als Opa gestorben war und Oma mit ihren noch nicht erwachsene Anna allein geblieben war, zog sie wieder nach Hause und wohnte bei meiner Oma in Kuterlja. Wie Oma mit ihren zwei Töchtern gewirtschaftet hat, das weiß ich nicht, aber ich als Kind, wenn wir dann manchmal sind zur Oma spazieren gefahren, habe nie fremde Leute bei ihnen gesehen. Oma ihr Lebensschicksal, für mich heute zu betrachten, war auch nicht zu beneiden, denn Opa hätte ja noch lange leben können. Daher fanden wir vier Halbweisen bei der Oma so einen warmen Schoß. Das ist ja so ganz selbstverständlich, nicht wahr? Daher haben wir, wenn wir dann mal alle zusammen waren bei der Oma, so recht viel mit Tante Anna gespielt und rumgetobt. O diese Zeit vergeß´ ich nimmer. Wenn wir von zu Hause dann mal im Sommer wollten nach Kuterlja spazieren fahren, dann sah ich es sehr gern, wenn es in der Zeit war, wo die Johannesbeeren reif waren, denn Oma hatte eine ganz besonders große Sorte dieser Beeren. Welche ich niemals bei niemanden gesehen hatte, auch bis zum heutigen Tag nicht gesehen habe. Das Spazierenfahren zu dieser Zeit geschah aber nicht alle Jahre. Nun geschah es einmal, das in dieser Zeit Oma, Tante Anna auch Tante Sara mit Sara und Justina auf die Droschke (Federwagen) nach Klinok spazieren kamen. Sie hatten zu Hause doch wohl recht viel Johannesbeeren gepflückt und mitgebracht. Sie fuhren nach Onkel Abram und wir würden d.h. Papa und Mama natürlich auf ich dann schon hinkommen. Leider an diesem Tage waren auch Papa und Mama weggefahren, wohin, weiß ich heute schon nicht, aber ich musste zu Hause einwarten, Kinder hüten, nach den Klucken sehen, Kücklein füttern u.a. Mit einmal unerwartet hatte auch ich Gäste, Tante Anna Sara und Justina Rempel und auch Sara Klassen kamen zu uns. Sie hatten zwei Suppenschüsseln voll Johannesbeeren. Sie reifen uns Kinder zusammen, Tante Anna stellte mir eine Schussel voll hin und Heina, Jakob und Neta stellten sie die andere Schüssel vor und sagten. So jetzt esst nur alle schön, die hat Oma euch gegeben zum aufessen. Ich sagte: "Wir müssen die wegstellen, Mama wird kommen die wird uns die einteilen , oder Moos kochen." Aber Tante Anna war zudringlich, sie sagte: "Oma hat gesagt, ich solle mich ganz satt essen." Ich aß wohl, aber mit einem kleinen Nachgedanken,- ei was wird Mama hierzu sagen, mal eine ganze Schüssel voll Johannesbeeren aufgegessen zu haben. Es waren schon nicht viel geblieben, ich hörte auf mit essen, denn mir war unheimlich zu Mute, weil es am Abend könnte Unangenehmlichkeiten geben. Ich hätte sie am liebsten noch alle aufgegessen, aber ich sagte zu Tante Anna das ich satt sei. Jetzt nahm ich einen Teller aus der Schüsselbank, schüttete die übergebliebenen Johannesbeeren in den Teller und trug sie in den Keller, die sollten für Mama bleiben. Nun nahmen mein Gäste ihre Schüsseln und gingen nach Hause. Tante Anna konnte zur Oma sagen: ja der Wanja hat sich satt gegessen. So besorgt war die Oma um mich. Der Abend kam, auch Papa und Mama kamen nach Hause und wie es dann bei den Kindern ist, die allergrößten Neuigkeiten werden zuerst erzählt. Jetzt ging es wie aus einem Mund: " Wir haben große Johannesbeeren gegessen". Hierauf holte ich auch schon den Teller aus dem Keller und sagte: "Dies haben wir noch für euch gelassen". Die Kinder zeigten natürlich noch wie hoch voll die Schüsseln gewesen seien. Das alles brachte die Mama doch in staunen. Sie sagte: "Und das habt ihr alles aufgegessen?" Und du Wanja, konntest es nicht in den Keller tragen, dann hätten wir davon Piroschki gebacken und Moos gekocht. Sie war doch ziemlich unzufrieden, hat mich auch noch gescholten, aber ich sagte. Tante Anna habe neben uns gesessen und darauf gedrungen, das wir essen sollten. Nun der Mama war nur geblieben, sich zu beruhigen. Hier war das Rätsel nicht schwer zu lösen. Der Oma war es nicht zu tun um die Piroschki, sondern um den Wanja.
17.12.83

Kapitel 68

Mist holen zum Feuer machen

Diese Worte klingen mir heute noch in den Ohren. Wenn Anfangs Winter der Ofen auch mit Burjan, Strauch oder Stroh gefeuert wurde, so wurde doch, sobald die Kälte kam, der Ofen mit Mist geheizt. Der Mist lag aber alle, wie wir schon wissen im Nebenhäuschen, ebenfalls auch der feine Mist, der auch als Brand verwertet wurde. In den letzten zwei Schuljahren auch später noch, musste ich immer Mist holen zum Feuer machen. Ich war ja auch noch nicht groß und stark, das ich schon große Körbe voll Mist tragen konnte, daher wurde meine Arbeit anfangs immer kontrolliert auch recht oft, damit ich nicht zuviel Mistziegeln in den Mistkorb lege und in die Küche tragen und mich damit die Glieder überanstrengen und zunichte reißen. Es war ja auch recht weit zu tragen, aus dem Nebenhäuschen über den breiten Hof bis in die Küche. Es war auch manchmal recht beschwerlich, warum? Weil diese Arbeit nur im Winter gemacht wurde und kein Vergnügen dabei war, wie zum Beispiel die Aluminiumflasche, von der Schule bis zu Hause auf dem harten Weg fahren lassen. Wenn wir dann aus der Schule kamen. Heina und ich ins Zimmer traten, schön Guten Tag gesagt hätten, und wie es gewöhnlich war, das Mama am Spinnrad saß, die Kinder die kleineren am Tisch saßen und schon nicht mehr sehr spiellustig waren, manchmal auch schon recht schlimm waren, dann sagte Mama, ohne sich vom spinnen abreißen zu lassen. So, jetzt zieht euch nur rasch die Schulkleider aus, Heina wird noch ein bisschen mit den Kindern spielen, das ich noch ehe es finster wird, sie Spule voll spinnen kann und Wanja geht wieder Mist holen zum Feuer machen, - "heida vorwärts." Bei den kalten Wintertagen wurde Morgens auch Abends im Ofen Feuer gemacht. Jedes mal Feuer machen brauchte einen Korb feiner Mist und zehn Mistziegeln, das war die Norm. Also 20 Mistziegel und zwei Körbe feiner Mist musste täglich in die Küche geschleppt werden. Für mich hatte Mama auch eine Norm ausgerechnet. Fünf Mistziegeln auf einmal, das sei für mich schwer genug. Die Rechnung war kurz und klar, sechsmal gehen, kam schön aus, dann musste aber jedes Mal gehen ein Mistziegel mehr genommen werden. So tat ich es auch leider bei solcher Rechnung wurde ich bald gefangen. Mama kam dann inzwischen und zählte die Ziegel ertappte, owe, dann wurden meine blauen Flecken am Arm aufgefrischt. Mama hat mich im Leben oft gescholten auch oft gesagt: "Find nicht immer so viel aus." aber mein Leben und meine Tage gestaltete sich manchmal so, das ich musste etwas ausfinden, um es mir leichter zu machen oder es früher zu machen. Ich fand aber auch hier wieder einen Ausweg, das ich trotz alledem doch bei meinen sechs Ziegeln blieb. Wenn ich dann mit einem Korb voll kam, dann legte ich still ein Ziegel unter den Herd oder in den Ofen. Holte ich aber feinen Mist, dann legte ich erst einen Ziegel in den Korb und dann das feine oben drauf. Dann kam ich doch mit fünfmal gehen davon. Leicht war das Mist holen nicht, wie oft war tiefer loser Schnee, wie oft stürmte es draußen, oder es war eisig kalter Wind, das nur manchmal die Hände sehr froren. Dazu mit dem vollen Korb Mist noch immer die Türen alle auf und zu machen, die Kälte sollte ja doch nicht ins Haus dringen. Wenn ich den Korb mit Mist trug und bis zur Tür kam, drückte ich den Korb mit dem Bauch gegen die Wand und machte dann mit einer Hand die Tür auf, ging dann ins Haus und dabei stieß ich mit dem Fuß die Tür zu und weiter bis zur anderen Tür. Bei den kurzen Wintertagen wurde es indes auch dunkel. Elektrisches Licht war nicht, so das diese Arbeit auch oft im dunkeln gemacht werden musste. Weiter - fünf sechsmal täglich mit dem vollem Mistkorb am Bauch den Hof durchqueren (überlaufen) da konnte ja auch unmöglich eine starke Wattenjacke aushalten und wie bald war sie manchmal vorne am Bauch verrissen und Mama musste sie dann flicken. Auch so was musste ich oft hören: Bei dem Wanja brennen die Kleider vom Leib, der kann auch gar nicht bisschen aufpassen. Ein Überzug (Kittel) gab es damals nicht, nur selten eine Schürze für die Arbeit draußen. Wenn die Strümpfe oder Handschuh verrissen waren, die musste ich mir dann am Abend selber stopfen.
18.12.83

Kapitel 69

Landmesser Zöglinge

Noch eine Erinnerung aus der letzten Schulzeit. In meiner ganzen Schulzeit, sechs Jahre habe ich nur einen Lehrer gehabt namens Johann Julius Friesen. Er war so alt wie mein Papa. Seine Familie war und wuchs ebenso wie auch die unsrige. Er war in unserem Dorf ziemlich fest ansässig. Heut zu Tage wechseln die Lehrer ihren Arbeitsplatz doch manchmal recht oft. So was war zu meiner Zeit weniger bemerkbar. Doch als unser Lehrer Johann Friesen doch eines Tages gedachte den Wohnort zu wechseln, dann war auch kein Aufhalten mehr. Er zog an der 1924 im Sommer über nach Amerika. - Nun gut. Zu der Ordnung des Schullebens, wovon wir schon etwas wissen, gehörte auch folgendes. Zur Schule durften nur Schulsachen gebracht werden, - wie Schulbücher, Hefte, Bleistifte, Radiergummi usw. Verboten war: verschiedene Bilder oder kleine Spielsachen, welche die Jungs oft in der Hosentasche trugen. Solches wurde zuweilen während des Unterrichts heimlich vorgeholt und gezeigt und solches hinderte ja doch beim Unterricht. Solche Übertretung machte auch ich einmal. Heimlich hatte ich zu Hause von Papa seine Bücher mir eins in die Schultasche gelegt. Ein Buch, Landmesser Zöglinge, wo recht viele verschiedene Bilder drinnen waren, welche ich dann in der Schule den Jungs zeigen wollte. Unsere Schule die groß und räumig war, hatte ein großes Schulzimmer in welchem der Lehrer drei Klassen betreute, unterrichtete, die erste, zweite und die dritte Klassen, welche er dann abwechselnd lehrte, zeigte oder kontrollierte. Nun war er gerade mit der ersten Klasse beschäftigt. Ich hatte meine Aufgabe schon getan und wollte nun meinen neben mir sitzenden Schüler dieses Buch zeigen und beschauen. So still ich auch dieses machte der Lehrer hatte es aber doch bemerkt, er kam zu mir nahm das Buch, schaute ein bisschen hinein, machte es zu und sagte: "Dies Buch werde ich bisschen lesen und dann gebe ich es wieder." Er legte es bei sich auf dem Tisch und der Unterricht ging weiter. Mir war es aber weit nicht getroffen, denn so was hatte ich nicht erwartet. Zudem, wie unheimlich war mir zumute, bis das Buch wieder zu Hause war. Ich wartete einen Tag, ich wartete den anderen Tag und der Lehrer gab mir das Buch nicht. Wie viel Tage vergangen waren, das weiß ich schon nicht mehr. Aber eines Abends wo wir alle zu Hause wie gewöhnlich, ein jeder bei seiner Arbeit beschäftigt waren, alle in einer Stube, trat der Lehrer ins Zimmer. Er grüßte höflich, sagte: "Guten Abend und befragte sich über unser Befinden. Papa zündete sofort eine andere Lampe an und ging mit dem Lehrer in die große Stube um dann dort sich mit so einem seltenen Gast sich zu unterhalten. Ich konnte mich zu diesem Gast aber gar nicht freuen, hauptsächlich dieses mal nicht. Ich ahnte schon was es geben konnte. Nun, der Abend verging, auch der Lehrer ging nach Hause. Als Papa den Lehrer begleitet hatte und wieder ins Zimmer kam, dann musste die aller wichtigsten Sache verhandelt werden. Der Lehrer hatte das Buch gebracht. Hier gab es jetzt eine sehr ernste Unterhaltung. Ob ich hab Schläge gekriegt dafür, das weiß ich heute schon nicht mehr.

Kapitel 70

Ein Abschied.

Peter Ridigers wohnten bei uns schräg über die Straße, sie waren eine große Familie von elf Kindern. Trotzdem lebten sie aber doch wohlhabend. Sie hatten ein Haus das übertraff an Schönheit alle Häuser im ganzen Dorf, neben ihrem Haus stand auch noch eine große von Holz gebaute Querscheune. In dieser Scheune wurde sehr oft zu Ostern eine große Schaukel aufgebunden, wo dann recht viel Kinder, groß und klein in den Osterfeiertagen schaukeln kamen. Das war eine Freude. An die 1924 waren aber auch Peter Ridigers eine von denen die nach Amerika ziehen wollten. Ich glaub es war noch im Frühling, die Natur war sehr schön, alles war grün und duftend als eines Tages vom frühen Abend die Ridigers auf dem Hof, die ältere und die jüngere Jugend, auch viel andere Kinder den Abschied feierten. Ich wusste von diesem Abschied. Lena Ridiger, war ja ein Mädchen, daher scheute ich mich zu Hause zu fragen ob ich auch durfte zum Abschied gehen. Neta, meine kleine Schwester die damals noch nicht zur Schule ging, hatte aber von den Ridigers Mädchen ihres gleichen, mit welcher sie gewöhnlich an den Sonntagen gespielt hatte, daher hatte Neta dochwohl von Mama die Erlaubnis bekommen, noch einmal etwas spielen zu gehen. Ich musste von diesem gar nichts. Die Sonne war nahe zum untergehen als Mama mich rief und sagte: "Wanja, Neta ist bei Ridigers geh ruf sie, sag sie soll nach Hause kommen, es ist höchste Zeit". Ich ging nach Ridigers. Als ich auf den Hof kam, sah ich aber soviel Jugend, ältere auch jüngere, wie sie alle so lustig waren und die verschiedensten Spiele spielten, so dass ich in den ersten Augenblicken vergessen hatte, was ich sollte. Als ich näher kam bis zur Veranda, saßen Onkel und Tante Ridiger draußen bei der Veranda auf einer Bank und schauten zu, wie die Kinder alle so recht laut auf dem Hof spielten. Als ich zu Onkel und Tante Ridiger schön Guten Abend gesagt hatte, fragte ich auch ob unsere Neta hier sei. "Ja, sagte Tante Ridiger, die spielen hier in der Veranda." Ich schaute zur Tür hinein und richtig, hier spielten vier kleine Mädchen. Dann sagte ich: "Neta, du sollst gleich nach Hause kommen." Dann schaute ich mich um und schaute wieder wie sie alle spielten, blieb aber hier an der Tür stehen um nicht zu verpassen, wenn Neta rauskommen würde um nach Hause zu gehen. Hier schaute ich und war so vernommen, das ich nicht merkte das es schon dunkel wurde, da mit einmal viel mir bei, wo bleibt denn Neta so lange, sie war ja doch noch gar nicht bei mir vorbeigegangen. Ich rief wieder in die Veranda hinein, wo ist Neta? Dann sagten die Mädchen die hier noch waren, die sei schon lange zur Hintertür nach Hause gegangen. Ach war das ein Schreck für mich. Ohne etwas zu sagen, lief ich aber so rasch ich konnte, nach Hause. Zu Hause ehe ich die Verandatür aufmachte, machte Papa die Tür auf, denn das hatte er schön abgepasst und versetzte mir so einen harten Schlag an das Ohr, richtig am Kopf, das ich unwillkürlich mit beiden Händen auf die Zaunbank fiel, die sich hier befand. Als ich ausgeweint und ausgeschnukt hatte, ging ich hinein, hinein um schlafen zu gehen. Papa und Mama lagen schon im Bett. Hier sagte Mama noch zu mir. Jetzt musst du das nächst mal wissen, das du musst gleich nach Hause kommen, wenn du wohin geschickt wirst. Dies war auch so eine Ohrfeige, wie damals auf der Dreschdiele, als ich sollte den Besen holen. So einen Abschied vergisst man im Leben nicht.

Kapitel 71

Stunden geben - Stunden nehmen.

So einen Ausdruck gab es zu früheren Zeiten oft. Denn ein Spezialist gab und ein Lehrling nahm Stunden, oder ein Lehrer der einen Schüler eine bestimmte Zeit unterrichtete, der gab Stunden der Schüler dagegen nahm Stunden. Im Frühling 1923 endigte ich die Dorfschule und hatte nur Dorfschulausbildung für drei Klassen. Womöglich war das Schulprogramm ein erweitertes, denn in jeder Klasse lernten wir zwei Jahre. Es war damals auch eine Zentralschule vorhanden sie war in einem Dorf zehn km entfernt, hier waren vier Klassen, die vierte, fünfte, sechste und siebente. Das lernen in der Z-schule war nicht unbedingt nur ein freiwilliges. Diejenigen Eltern die geschulte Kinder haben wollten, die schickten dann ihre Kinder in die Z-schule. Die Bauern die ihre Kinder notwendig in der eigenen Wirtschaft als Arbeitskraft brauchten hielten ihre Kinder zu Hause. Mamas Bruder, für mich Onkel Johann, der in Kamenetz wohnte, hatte schon die Z-schule geendigt und sollte nun um ein Jahr als Lehrer arbeiten, in Kamenetz, das Passte für ihn schon besser als in Kuterlja, wo er schon paar Jahre gearbeitet hatte, denn hier war er ja zu Hause. Wie meine Eltern diese Frage können übers Herz bringen, das ich sollte in Kamenetz bei den Großeltern sein und hier bei Onkel Johann Stunden nehmen sollte das weiß ich aber gar nicht, weil ich doch zu Hause in der Wirtschaft so ein notwendiger Laufbursche war. Aber es war. - Eines Tages im Herbst wo die gröbste Landarbeit gemacht war sagten meine Eltern zu mir: "Wanja in diesem Winter wirst du, oder sollst du in Kamenetz bei Onkel Johann Stunden nehmen, der wird dich unterrichten und vorbereiten für die Z-schule." Ich horchte diese Geschichte an, weil darüber noch viel gesprochen wurde und was noch alles befohlen wurde, wie ich mich verhalten sollte, das ich aber auch fleißig lernen sollte, das ich der Großmutter auch helfen würde und eine ganze Reihe Bestellungen gab es Ich horchte, aber nur halb, denn meine Gedanken liefen vor und ich dachte bei alle diesem schon eine ganze Reihe ganz anderes. Innerlich war ich in diesem Augenblick überfroh, äußerlich aber enthielt ich mich doch etwas und tat so, als sei die Sache auch wirklich ernst so Klug war ich doch schon. Es war viel was ich damals entlang dachte. Zu aller erst bin ich dann frei von dem "Vorwärts" vom Mist holen zum Feuer machen, vom Geschirr waschen , und Diele waschen und so viel anderes, ja ich wäre am liebsten schon gleich gefahren. Doch nur Geduld. Und richtig eines Tages wurden Vorbereitungen gemacht. Mama suchte für mich noch Unterkleider, Unterwäsche, die Sonntagskleider, ich fand noch aus der Schule übergebliebenes leeres Schreibpapier und Bleistift, meine Holzschlorren, alles wurde eingepackt und in ein Sack gesteckt und somit war ich dann fertig für die morgende Fahrt. Am andere Morgen spannte Papa vor den Schlitten und wir fuhren wieder über weite weiße Schneefelder im Freien, wie damals als Sara Klassen und ich zur Hochzeit fuhren. Auch dieser Weg war weit, etwa 15 Kilometer. Ich hab Papa nicht viel gefragt, denn mein Kopf hatte eigene Gedanken. Ich konnte es immer noch nicht glauben, auf ein halbes Jahr und ganz fort von zu Hause. Ich weiß es schon nicht mehr, aber ich glaube, ich habe nicht geweint beim Abschied nehmen. An demselben Tag fuhr Papa auch noch nach Hause und für mich fing jetzt ein ganz anderes Leben an, in Verhältnissen die mir ganz unbekannt auch ungewohnt waren. Hier war es lange nicht so laut wie zu Hause. Die Großeltern, Onkel Johann und ich, mehr waren nicht. Keiner schrie auf den andern. Diese Großmutter war nur ganz Klein von Gewuchs zudem hatte sie nur eine ganz weiche Stimme und wenn sie mir dann was sagen wollte kam sie ganz nahe zu mir, hielt dabei ihre Hände zusammen vor sich und mir freundlichen Miene, und gar nicht laut als sie es sogar ein Geheimnis sagte sie mir dann was sie sagen wollte. Das war ein Unterschied zwischen Mama und Großmutter wie Tag und Nacht. So klein, oder so groß wie ich nicht war, aber ich merkte sehr bald, das die Großmutter in mir eine Person gefunden hatte, der sie sich anvertrauen konnte, sie erzählte mir manchmal so was das ich denken musste, was ich zu Hause nicht wissen durfte, das bekam ich hier nachträglich. Mit dem Großvater hatte die Großmutter wenig oder richtiger gesagt keine Unterhaltungen. Er war ziehmlich grob zu ihr und zuweilen so laut. So vergingen etliche Tage, mir kam es so vor als sie ich auf einen Kurort. Dann fing für mich auch der Unterricht an. Ich sollte mir den Unterricht vor wie in der Schule. Onkel Johann würde sich Bücher auf den Tisch legen, Papier, Halter und Tinte, vielleicht noch was anderes, ich würde mich müssen neben ihm am Tisch setzten und er würde mich dann unterrichten, Aufgaben zu geben, etwas auswendig zu lernen, Rechnungen zu erklären und so weiter. Doch das käm ganz anders. Eines Tages kam e in die warme Stube, brachte sich vom Boden eine Papierschachtel und ein Brettchen auch noch ein Arm voll trockene Tabaksblätter und dann sagte er zu mir. "Wanja, du hol dir jetzt Papier, Halter und Tinte und dann werden wir ein Diktat schreiben." Ich holte alles bei und setzte mich an den Tisch, er setzte sich auf eine Bank neben dem Tisch und fing an Tabak zu schneiden zum rauchen. Dann sagte er zu mir: "Schreib die Überschrift" "Der Hahn und die Hühner." Fertig. so dann schreib weiter. "Jeder Bauer hält in seiner Wirtschaft, außer Pferde, Kühe, Schafe, Schweine auch noch Hühner. Die Hühner legen Eier und geben Fleisch. Der Hahn stolziert alle Tage mit seinen Hühnern auf dem Hof umher. Er gibt immer acht auf seine Hühner und sofern er einen Habicht bemerkt, dann macht er großen Lärm usw. Und so erdachte er sich beim Tabak schneiden ein ganzes Diktat. Als er fertig war, nahm er das Heft und kontrolliert meine Arbeit, ob ich auch Fehler gemacht hatte. Ob Fehler waren das weiß ich heute schon nicht mehr, aber eine Tagesarbeit war gemacht. Ich legte mein Heft weg und durfte draußen spielen gehen. Draußen war der große schwarze Hund "Karo" mit welchem ich mich schon befreundet hatte, der wartete schon auf mich. Mit Karo ging ich dann bis hinter den Garten wo der Wald anfing um dort Hasen zu suchen.
Der Großvater hatte in seinem Wohnhaus nur zwei große Stuben die im Winter wohnbar waren, die da warm geheizt waren. Das eine Zimmer war die Große Stube, der Gastsaal, die andere Stube die auch recht räumig war, da stand Großvaters Hobelbank drinnen an der er beständig arbeitete, aber dieser Raum wurde auch als Küche und Speisesaal und auch noch als Schlafstube genutzt.
Ein anderes mal brachte Onkel Johann sich wildes Akazienstrauch in die Stube um die Besen zu binden für den Viehstahl. Mir gab er ein Buch und während der Großvater an der Hobelbank arbeitete und Onkel Johann Stallbesen band, musste ich ein von ihm angewiesenes Kapitel irgend einer Geschichte vorlesen, damit ich mich lesen lerne, fließend, recht und mit Betonung und dann noch wiedergeben, das heißt erzählen wovon ich gelesen hatte. Auch dieses dauerte nicht viele Stunden, dann langte es wieder. War das Wetter schön, dann war meine weitere Aufenthalt wieder draußen. Gerechnet musste ja auch werden, dann gab es Stunden wo er sich dann an den Tisch setzte, eine recht schöne Tabakzigarette drehte, sie dann anzündete und die Stube mit dem Großvater zusammen voll rauchte, mir dabei aus dem freien Kopf eine Rechnungsaufgabe nach der anderen sagte, die ich dann hier am Tisch schriftlich machen musste.
Dies waren so hin und wieder meine Schularbeiten die ich hier bei Onkel Johann den Winter über leistete. Dies alles war Kinderspiel, aber nicht ein Vorbereitungsunterricht für die Zentralschule. Für mich war es wahrhaftig keine Schule - ein Kurort war es für mich, im wahren Sinne dieses Wortes. Weiter braucht ich natürlich nichts, ich bummelte ja nur rum. Ein par Filzstiefeln hatte ich in diesem Winter gänzlich zerrissen, meistens nur mit dem Karo getobt. Am Sonntag spielte ich auch mit den Kameraden meines Gleichens, wo ich dann auch verschiedene Geheimnisse entdeckte, von welchen ich zu Hause fern gehalten wurde.
Einmal in dieser ganzen Zeit fuhr der Großvater mit mir nach Hause, wo Papa dann an diesem Tag noch eilig mir die Filzstiefeln flickte, denn sie waren zerrissen. Eines besprach der Großvater mit meinem Papa. Dafür das ich den Winter über bei im sei, sollte ich dann Großvater helfen die Aussaat im Frühling machen und dann würde er mich nach Hause bringen. Die Zeit kam,. er brachte mich nach Hause, für mich fingen wieder die grauen Tage meines vorigen Lebens an, die Schlendertage waren rum. - Heute füge ich noch hinzu. So klug oder so dumm wie ich war ehe ich nach Onkel Johann fuhr, so dumm war ich auch geblieben. Ein verfehltes Jahr.

Kapitel 72

Die Zentralschule

In der vorigen Geschichte ist, oder lautet der Schluß, ein verfehltes Jahr. Richtiger wäre ein verlorenes Jahr, denn die Vorbereitungsarbeit an mich zur Zentralschule, die Onkel Johann gemacht hatte, war aber mal richtig gar nichts. Das wusste ich, aber Onkel Johann noch vielmehr, und was hatte er auch davon, sich mit mir so fleißig zu beschäftigen und zudem noch umsonst. Er war ja noch ledig und liebte auch noch die Abendstraßen zu besuchen.
Ich war nun wieder zu Hause, aber eine Veränderung in meinem Leben hatte es doch gegeben. Wir alle waren größer geworden. Ich war schon nicht mehr ein Dorfschüler. Jetzt war schon Heinz der älteste Schüler bei uns im Hause. Die Veränderung war für mich eine Freude und das war folgendes. Die ganze Hausarbeit wurde nun frisch verteilt. Die Haus- und Küchenarbeit, die ich so lange verrichtet hatte, wurde nun dem Heinz übergeben, zum Teil auch Neta und Jakob die dem Alter nach die nächstfolgende Kinder warend. Den Koch spielen war für Heinz viel leichter als für mich, denn Neta war ihm immer zur Seite und mit der Zeit nahm sie ganz Stellung zur Küche, am Herd. Ich wurde in den Stall gestellt, das Vieh zu besorgen, damit Papa mehr frei wurde für die Hobelbank, denn in der Landwirtschaft, hat ein Tischler immer viel Arbeit, wie für sich so auch für die andere. Leicht war meine Arbeit nicht, aber ich schafte mit Lust, es machte mir Vergnügen. Trotzdem war ich aber doch nicht ohne Aufsicht. Papa gab Anstellungen und Mama kontrollierte, denn dazu ging Mama das kommandieren viel zu schön. Häufig genug traf es sich aber auch, das ich es nicht so befolgt hatte wie es mir war gesagt worden, dann gab es wohl Scheltworte genug, aber meine Arme wurden nicht so oft befühlt wie drinnen in der Küche, hier konnte ich vielleicht auch ausweichen. Hin und wieder kam auch so ein Wort zum Vorschein: "Will schon Zentral-Schüler werden und du machst es noch immer so schlecht." O dachte ich dann, wenn ich irgendwo allein arbeitete, womöglich kann ich doch noch in die Zentral-Schule gehen. Nun die ganze Sommerarbeit die in der Wirtschaft vorkommt ist uns schon aus den ersten Blättern bekannt. Jetzt war nur der Unterschied, stat Mama, fuhr ich mit Papa auf das Feld mähen Heu oder Getreide zusammenlegen usw. so langsam stellte ich mich als voller Arbeiter in den Riß. Der mühevolle Sommer ging auch langsam zu Ende, und wenn auch in den Herbstagen noch Arbeit über Arbeit war, so sprach auch Papa schon von der Z-schule das es ihm im Winter nicht leicht würde sein, alles allein besorgen, wie das Vieh, so auch die notwendigste Tischlerarbeit. Auch das es mit große Unkosten verbunden sei mich lernen zu lassen, weil die Familie schon so groß sei und ich allein noch nur helfen konnte, die Familie zu versorgen. Das alles war ja wahr, doch ich, weil ich doch noch jung war, konnte mir noch keine Sorge darüber machen. Ich freute mich nur lernen zu können. Nicht das ich wollte ein gelehrter Mann werden, nein, vielmehr endlich aus der Hausklemme zu kommen. Die Z-schule war zehn Kilometer. entfernt in einem anderen Dorf. Eines Tages fuhr Papa nach Lugowsk da wo die Z-schule war, nur für mich Quartier zu mieten, erkundigte sich wie viel Lehrgeld, Quartiergeld gezahlt werden musste, wie viel Mißtziegeln für Schule und Quartier, wie viel Produkte, Essware, Kartoffeln, Mehl, Gritze, Bohnen, Fett, Fleisch gebracht werden sollte. Und richtig es waren große Unkosten. Bemerkenswert ist noch. Ich allein aus unseren Dorf aus meiner ganzen Klasse durfte in die Z-schule gehen.
Der 1.September kam, der Unterricht begann in den Schulen, ich aber musste noch einen ganzen Monat zu Hause helfen, war ich ja doch von O. Johann vorbereitet für die Z-schule, so das ich ja doch alles bald nachholen würde, wenn ich auch einen Monat später kommen würde. So dachten doch wohl meine Eltern. Weil ich aber leichtlernig war, so machte mir die monatliche Verspätung nicht große Mühe. Zu kurzen Zeit war ich mit den anderen Schülern gleich und hatte alles nachgeholt. Das lernen war hier genau so wie in der Dorfschule, nur der Unterschied, für jedes Schulfach war ein anderer Lehrer. Am Sonnabend war der Schulunterricht nur bis Mittag, damit die Schüler aus den anderen Dörfern konnten noch nach Hause fahren oder gehen, um sich zu waschen, reine Unterwäsche anziehen, zerrissene Kleider zu flicken usw. Im Winter traf das nach Hause fahren seltener, denn oft war Unwetter und außer Pferde war kein Transport, das wir konnten nach Hause geholt werden. Den Befehl bekam ich von zu Hause immer mit, sofern von den Lehrern jemand klagen würde, das ich nur schwach lerne, dann sei für mich die Z-schule aus. Über das ganze lernen weiß ich weiter nichts zu erzählen. Eine Begebenheit aus dem Quartier. Ganz passend, nur über ein Haus von der Z-schule war mein Quartier. Hier wohnten nur ein alter Vater eine alte Mutter und eine ledige Tochter, Maria. Ich war bei ihnen ganz in der Kost, d.h. ich aß bei ihnen am Tisch genau so wie zu Hause, denn die Produkte hatten wir ja alle gebracht. Wir vier Mann saßen am Tisch ein jeder an einer Seite. Es war eines Tages am Frühstückstisch. Zu Frühstück gab es Kaffee mit Warenjebrot. Die Mutter hatte das Brot geschnitten und in den Teller gelegt. Der Teller war hoch voll Brotstücke, ein Stück jedoch war hart betrocknet und das hatte die Mutter noch meine Seite gedreht und damit ich das sollte nehmen. Als wir nun aßen und ich mir aber ein anderes Stück Brot nahm dann fasste sie dieses Stück riß es mir aus der Hand, legte mir das trockene hin und sagte aber sehr laut: "Diese hast du zu nehmen, denn es liegt an deiner Seite, ich werde dir Ordnung lehren. "Da mischte die Maria sich drein und sagte: "Mutter, du musst wohl so schreien, du konntest wohl nicht vernümpftig sagen? Ich stand auf und ging vom Tisch in die andere Stube und weinte. Seit der Zeit hatte ich die Maria lieb und half ihr manchmal bei der Arbeit. Noch ein anderer Fall. Dem Nachbar der auch eine große Familie hatte, dem war ich recht oft behilflich bei seiner Arbeit. Dafür gab er mir einmal ein Pferd damit ich konnte am Sonnabend nach Hause reiten. Ich brauchte nicht zu Fuß gehen. Am Sonntag Abend kam ich wieder zurück.
21.12.83

Kapitel 73

Unglück

Glück und Unglück sind zwei grundverschiedene Dinge, nur in einem haben sie Ähnlichkeit, sie sind unsichtbar und befinden sich im ganzen Weltenraum. Sofern sie sich aber irgendwo setzen, dann bringt das Glück Gewinn und Freude, das Unglück aber Verlust und Schmerzen und Sorgen. Ich glaube, alle Menschen, ohne Ausnahmen haben dieses schon erfahren, der eine mehr, der andere weniger. Nur der eine Unterschied ist dabei, der eine hat mehr Glück, der andere dagegen hat mehr Unglück. Bei uns in Papas Wirtschaft setzte sich das Unglück gewöhnlich bei den Pferden, nachdem es das ganze Haus im Feuer verzehrt hatte. In all den Jahren wo Papa Pferde hatte, kann ich folgende Fälle beschreiben. In welchen Jahren es eigentlich war, weiß ich nicht, aber wie es war, das habe ich behalten. In der Geschichte "Rote und Weiße" da haben wir gelesen, daß man uns das beste Pferde, den Grischka, wegnahm und ein recht schlechtes dagegen gab. Ein anderer Fall: Eine große schwarze Stute (Pferd) kam eines Tages aus der Vieherde am Abend sehr lahm nach Hause. Körperlich war sie gut gestellt, man sagte, sie war fett. Sie konnte den einen Hinterfuß gar nicht aufstellen. Papa sah den Fuß nach, konnte aber gar nichts sehen. Am anderen Tag rief er sich noch Leute, die vielleicht Kenntnis hatten, es wurde ärztlich behandelt, aber keine Erfolge waren zu bemerken. Es fraß gar nichts, hatte dochwohl große Schmerzen. Papa wurde jetzt nur noch der Rat gegeben, es so schnell wie möglich zu verkaufen, um damit es nicht ganz verloren gehe, denn hier sah man keine Ausweg mehr. Wunderbar - es kamen auch Baschkiren zu uns, als ob sie es rochen, da? es hier könnte frisches Pferdefleisch geben. Papa verkaufte das kranke, aber doch fette Pferd, für eine billigen Preis. Als die Baschkiren es geschlachtet hatten, dann wurde der kranke Fuß gründlich untersucht und man fand einen langen Nagel, der tief im Fuß war. Ob es nun wirklich wahr war, weiß ich nicht. Man sagte später, das habe der Hirte mit den Baschkiren auf dem Felde geschafft um billig gutes Fleisch zu bekommen, denn wie konnten sie es wissen, daß hier Fleisch in Aussicht sei. - Noch eine andere Geschichte.
In der vorhergegangenen Geschichte lesen wir, daß ich Z.-schüler war. Nur einen Winter ging ich in die Schule und als der Frühling kam, erkrankte Papa. Die Krankheit legte ihn ganz ins Bett, so daß er nicht mehr arbeiten konnte, auch nicht mehr das Vieh im Stall besorgen konnte. Ich mußte die Schule aufgeben, um dann wieder ganz zu Hause zu sein, denn das Vieh mußte besorgt werden und alles was in der Wirtschaft vorkam, soweit, wie es meine Kräfte erlaubten. Wir hatten damals drei Pferde, zwei Kühe und anderes Jungvieh. Zuweilen mußte ich für Papa von den Ärzten auch Arznei holen, doch da wollte gar nichts helfen, die Krankheit hielt dauernd an. Der Schnee schwand, die Aussaat begann und Papa lag im Bett. Da erbarmte sich Papas Bruder, Onkel Heinrich, der auch hier im Dorfe wohnte, er würde mit uns zusammen die Aussaat machen. Die Pferde fütterte ein jeder bei sich zu Hause. Die Arbeit auf dem Felde wurde zusammen gemacht, denn die Sämaschine einstellen verstand ich ja noch nicht. Und so säten wir das Getreide, ein einen Tag bei ihm, der andern Tag dann bei uns.
Eines Tages jedoch, als wir des Morgens die Pferde vor den Wagen spannten, kam ein älterer Baschkir bei uns auf Hof gegangen. Er grüßte und schaute dann zu, wie wir die Pferde einspannten. Was er eigentlich wollte, weiß ich nicht. Er fragte dann auch noch, wo Papa sei. Wir sagten, daß er im Bett krank liegt. Dann ging er in den Stall. Wir dachten, er sei nach Papa gegangen. Jetzt wollten wir schon fahren, doch da fehlte noch etwas und ich lief noch schnell in den Stall um es zu holen. Ich sah, daß der Baschkir nicht ins Haus zu Papa gegangen war, sondern er beschaute die Krippe bei den Pferden, der Pferderaum, richtig gesagt, den ganzen Stall. Ich natürlich lief wieder hinaus zu meinen Pferden und fuhr dann aufs Feld, mit den Gedanken: Mama ist ja zu Hause, die wird den Baschkir schon abfertigen. Weiter hab ich nach dem Baschkir nie gefragt. Am folgenden Morgen weckte Mama mich recht früh, wieder die Pferde füttern und dann wieder aufs Feld zu fahren die Aussaht machen. Als ich nun in den Stall kam, standen die Stalltüren offen und keine Pferde waren im Stall. Als ich aber zur Tür hinaus schaute, stand das jüngste Pferd draußen mit abgeschnittenen Zügeln und wieherte. Über so ein Bild war ich erschrocken, ich lief ins Haus und sagte es Mama. Zitternd kamen wir beide in den Stall und überzeugten uns, daß die Pferde gestohlen seien. Alle drei Zügel, womit die Pferde an der Krippe gebunden waren, waren abgeschnitten. Die Pferdespuren führten den Garten entlang, welches schön zu sehen war, bis hinter den Garten, bis in den kleine Wald hinein, der am Ende des Gartens war. Hier aber hatten noch zwei Pferde gestanden, an einem Baum angebunden, das zeigten die frischen Spuren, das zertretene Gras und der frische Pferdemist. Hier haben womöglich die Pferde der Diebe gestanden, auf welche die Diebe waren hergeritten. Von hier aus dem Wald, gingen dann alle Spuren durch das Flüßchen und dann nach links am Ufer entlang, nach der Richtung wo die Baschkiren wohnte. Das aber das dritte Pferd zurück geblieben war, deuteten wir so: Es war jung und schüchtern und von Fremde wollte es sich ungern führen lassen. Es war wohl losgeritten, aber draußen im Freien hat es sich ohne besondere Mühe, für den Dieben unerwartet, dochwohl aus den Händen gerissen und fort gelaufen. Das war ein Schreck, zwei Pferde gestohlen und Papa schwer krank. - Ein doppeltes Unglück.
Wer könnte solches getan haben? Ich glaube es zu raten. - Kein anderer als der gestrige Baschkir der sich den Stall beschaute. Er wußte, der Vater ist krank im Bett und sollte uns jemand verscheuchen wollen, dann sind Frau und der Sohn bald ins Loch getrieben, daher werden sie ganz furchtlos geschafft haben. - Wie hatten sie es gemacht? Das Fenster in der Scheune mit Fenstergerüst aus der Lehmwand gerissen. Die Tür aus der Scheune hinein hatte inwendig oben und unten Haken (Krampen) um zu machen. Gegen jeden Haken, wie oben so auch unten, war in der Lehmwand ein Loch gemacht, da konnte man durchfassen und die Haken aufmachen und somit war dann die Tür aufgemacht. Von innen in Stall konnte man den Riegel von der Stalltür leicht fort nehmen und alle Türen waren geöffnet. Und alles ganz geräuschlos gemacht.
Onkel Heinrich war jetzt gezwungen, allein mit seinen Pferden die Aussaat weiter zu machen. Unser Pferd blieb allein zurück, es wurde uns geraten, jemanden von den jungen Leuten aus dem Dorf zu bitten, auf unserem Pferd die Spuren nachzufolgen, um vielleicht ausfindig zu machen, wo unsere Pferde könnten zu finden sein. Ein Voth Franz meldete sich, diese Jagt zu übernehmen. Das Pferd wurde gesattelt und mit Eßware auf etliche Zeit versehen, ritt Voth Franz auf die Suche nach den gestohlenen Pferden. Franz war weit geritten, erst am dritten Tage kehrte er heim. Durch suchen, forschen und nachfragen hatte es ihm gelungen, ein Pferd zu finden. Es war das schlechtere, aber ein Pferd war. Er sei, so erzählte er, in ein weit entlegenes Dorf gekommen und mit einmal hört er ein Pferd wiehern und gleich habe auch sein Pferd gewiehert und ist rascher gelaufen in die Richtung hinein, wo das Pferd gewiehert habe, das Wiehern hatte sich wiederholt und so sei er zu einer russischen Kirche gekommen, wo auf dem Hof eines Papstes unser Pferd auf grüner Weide angebunden stand. Diese beide Pferde hatten sich als verlorene und dann wiedergefundene Schwestern gleich befreundet, als man sie habe zusammen gelassen. Hier wurde mit dem Papst dann alles im ruhigen Zustand durch gesprochen. Der Papst erklärte sich willig, das Pferd zurück zu geben, wenn er den gezahlten Preis wieder bekäme. Für das Pferd war nicht besonders teuer gezahlt worden, denn gestohlene Ware muß gewöhnlich rasch verhandelt werden. Und so habe er versprochen, sofern die Bezahlung kommt, sei das Pferd wieder unser. Wer dann eigentlich das Pferd geholt hat, hab ich schon vergessen, aber um paar Tage hatten wir eines von unseren gestohlenen Pferden wieder zurück. Das andere aber war fort. Das nächstfolgende Unglück soll auch beschrieben werden. Das losgeschnittene Pferd welches zurück blieb, brachte uns im folgenden Frühling ein füllen. Ach war das ein schönes Bild. Auf der Stirn hatte es ein weißen Stern mit einem weißen Schleifchen wie ein Ausrufezeichen, die Farbe etwas fuchsig (?) alle vier Füße mit weißen Haaren bedeckt, als habe es weiße Strümpfe an. Ich persönlich hatte großes Wohlgefallen an diesem Pferdchen. Sogar die Jungs im Dorf sagten, es sei das schönste Füllen im ganzen Dorf. Jeder Bauer im Dorf freute sich, wenn er ein Füllen hatte, das dann um zwei Jahre ein Pferd mehr im Stall habe, so natürlich auch Vieh. Als dieses, unser Pferdchen beinahe ausgewachsen war, lechzte das Unglück schon wieder nach einer Beute. Die Jährlinge, die jungen Pferde waren Tag und Nacht in der Viehherde, waren fett und gut gestellt. Jemand hatte im Dorf bei einem Bauer den Zaun zerbrochen. Ein abgebrochenes Brett hatte sich sehr unpassend nach der Straße zu gedreht und stand nicht hoch von der Erde mit der Spitze über den Trottoir, Fußsteg. Es war wirklich gefährlich dagegen zu stoßen, man könnte sich spicken. Wenn sich bis dahin noch keiner gespickt hatte, so glückte es unserem Pferdchen. Abends als das Vieh von der Steppe kam und gerade hier ein Hund die jungen Pferde verscheucht hatte, so sprangen die Pferde nach allen Seiten und im vollen Galopp lief unser Pferd gegen diese Spitze und tödlich in die Brust gestochen kam es nach Hause gelaufen. Das Blut lief aus dieser Wunde wie bei einem gestochenem Schwein. Mit den Fingern zogen wir aus dieser Wunde noch etliche Splitter, aber unsere Mühe war umsonst, am nächsten Tag starb es. Als wir es dann abgeledert hatten, schnitten wir die verwundete Stelle noch weiter auf und fanden noch Holzstücke wie Zündholzschachteln groß. - Das rechneten wir als Unglück.
Papa war ja nach langem Leiden wieder gesund geworden und konnte wie alle andere Bauern seine Wirtschaft besorgen. Es wurde wieder soviel wie möglich zusammen gespart auch zusammen geschart um wieder noch ein Pferd zu kaufen, dann ging die Arbeit leichter. Unser Geldsack war aber nie zum zerreißen voll, daß wir dem gemäß dann hätten ein großes starkes Pferd kaufen, daher kaufte Papa nach Vermögen ein Pferd, es war ein mageres und hatte keinen besonderen Schein. Wir sagten später immer - ein verkommenes Russenpferd, glaubten aber doch, daß wir es mit der Zeit würden in die Reihe bringen. Aber es gelang nicht, statt besser wurde es schlechter. Die anderen zwei Pferde, welche wir hatten, brachten uns im nächsten Frühjahr zwei Füllen. Papa war wieder mutiger, denn in baldiger Zukunft gab es dann wieder in der Wirtschaft einen Zustoß von zwei Pferdekräfte. Was eigentlich passiert war, wußte niemand, aber um zwei Monate starben beide Füllen.
Wenn so ein Glück mit all den Pferden,
dann muß man endlich mutlos werden.
So ging es aber auch unsrem Papa, und doch, die Hände in den Schoß fallen lassen, ging aber auch nicht, denn dazu war die Familie zu groß, daher mußte wieder frisch Mut gefasst werden und wie man zu sagen pflegt, in die Hände gespuckt und nur vorwärts, vorwärts. Alle, alle mußten wir schaffen um die ganze Wirtschaft zu unterhalten und trotz allen Beschwerden und Widerwärtigkeiten hielten wir die Wirtschaft doch aufrecht. Wir hielten mit allen Bauern gleichen Schritt.
Nun wollen wir uns noch einmal das magere Pferd, von dem wir schon wissen, ansehen. Es war in der Heuernte, schon fast ein Jahr hatten wir dieses Pferd und statt besser wurde es immer schlechter. Die Aussicht war schwach, es könnte auch mit einmal fallen oder krepieren, daher war Papa gezwungen es wieder zu verkaufen, damit wenigstens etwas raus käme, statt zu krepieren zu lassen. In einem abgelegenen Dorf wohnte ein Pferdehändler, der kaufte dann dies Pferd für eine billigen Preis. Und wieder mußte Geld gesammelt werden, ein Pferd zu kaufen. Die Ernte nahte und mit zwei Pferde nur das Getreide abmähen, das war doch wirklich zu schwer für die armen Tiere, daher fuhr Papa zur Stadt zum Pferdemarkt und kaufte wieder ein Pferd. Das frisch gekaufte Pferd war so einigermaßen groß und stark, doch hatte es einen Fehler, der auf dem Markt nicht war, auch der Händler wahrscheinlich davon nicht wußte und wenn er es auch gewußt hatte, so hätte er doch davon geschwiegen. Mit fremden Pferden umgehen, dann hütet man sich, um nicht geschlagen zu werden. Auch wir waren anfänglich vorsichtig und glaubten mit der Zeit würde es sich schon zu uns gewöhnen. Aber nein, es hatte eine schlechte Eigenschaft an sich, was bei allen anderen nicht war. Sofern es losgelassen wurde um in die Herde zu treiben, dann durfte niemand mit der Peitsche es treiben wollen, sofort blieb es stehen und wartete bis derjenige in die Nähe kam und dann mit beiden Hinterfüßen schlug es nach dem Treiber. Besonders die Kinder, die durften nicht nahe kommen. Wir Große hatten es aber recht bald verstanden, wir machten uns eine recht lange Peitsche, die länger war als dem Gaul seine Hinterfüße und wenn er dann auch ein - zweimal ausschlug, wenn er aber Schritt für Schritt bekam, dann parierte er doch und lief vorwärts. Wir alle mußten beständig auf der Hut sein, es war gefährlich - ungemütlich so ein Pferd auf dem Hof haben, wo doch so viele Kinder waren. Das Pferd hatten wir nicht lange, vielleicht zwei Jahre. Es gab aus 1926 eine reiche Getreideernte, die Geldeinnahme waren dem gemäß auch groß und im Herbst verkaufte Papa den Baschkiren zum schlachten. Papa wollte keinen Menschen mit diesem Pferd nicht anführen (?), damit es noch könnte jemand tot schlagen, deshalb mußte der Käufer das Pferd bei uns auf dem Hof schlachten. Als Gegensatz für dieses Pferd kaufte Papa dieses Pferd im Spätherbst zwei junge Pferde, die dann für den nächsten Sommer groß genug waren zur Arbeit.
Hiermit schließen wir mit den Pferden, denn um paar Jahren fing der Kolchos an, die Pferde wurden alle kollektivisiert und Pferdeunglück war damit aufgehoben. Die Geschichte "Unglück" hat mit meinem persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen nichts zu tun. Ich will dem Leser nur bekannt machen mit den Lebensverhältnissen in welchen ich gelebt habe. Jetzt jedoch möchte ich noch von etlichen Unglücksfällen berichten, wo ich auch einen Teil davon tragen mußte. Es war schon in der Zeit, wo ich den Stall und das Vieh besorgen mußte. Ich glaube fest, daß solche Fälle auch bei anderen Leute vorgekommen sind. Am Brunnen, der im Stall war, stand ein Ständer, der immer voll Wasser sein mußte, ob Sommer oder Winter ganz egal, denn all das Vieh brauchte beständig Wasser. Auch die Hühner, die in diesem Stall waren, flogen dann auf diesen Ständer und tranken hier. War der Ständer inzwischen aber nicht voll und die Hühner aber trinken wollten, hat es sich getroffen, daß eine Henne ins Wasser fiel und versoff. Wenn dann noch zu so einem Unglück die Mama in den Stall kam, dann bekam ich auch zu hören auch zu fühlen, so groß wie ich auch nicht war. Obzwar ich das schon selber wußte, aber zum wiederholten Male sagte sie dann: "Weißt du nicht, daß der Ständer immer voll sein muß." - Ich will nicht sagen, daß so ein Unglück oft geschah. Aber wenn es manchmal doch wieder passiert war und niemand es sah, auch nicht gesehen hatte, dem weiterem Übel wußte ich dann schon zu entgehen, ich nahm dann schnell die versoffene Henne und verscharrte sie im Misthaufen. Natürlich hatte ich auch keinen Gefallen an so einem Unglück. Ein anderes: Es war in der heißen Sommerzeit, wir hatten zwei Schweine, schon recht große, und mit einmal fraßen die Schweinen nicht. Da fragte Mama mich, was ich die Schweine gefüttert habe. Meine Antwort war ja nur kurz, - was immer. Es wurde ja hin und her gebrummelt, aber die Schweine fraßen nicht. Weil ich denn scheinbar sollte hieran Schuld haben, so ging auch ich inzwischen zu den Schweinen, stieg ins Hock und wollte sie auftreiben, sie blieben aber liegen. Ich befühlte sie, sie hatten große Hitze, das konnte auch ich schon ohne Gradmesser feststellen, obzwar wir keinen Thermometer hatte. Zudem bemerkte ich auch noch, daß sie ziemlich braunfleckig wurden. Es half nichts, die Schweine waren krank, auch sehr krank. Auch ich war ich schon recht krank, denn Mama sagte wieder: "Was hast du nur mit den Schweinen gemacht?" Im Dorf war kein Vieharzt, der vielleicht hätte helfen können Am anderen Tag krepierte eins, das andere wurde mit der Zeit wieder gesund. Es wurde Seifsoda gekauft und das gefallene Schwein wurde zu Seife gekocht, so daß nicht alles verloren war. Anschließend noch eine kleinen Geschichte von Seifsoda. Mir scheint, Papa arbeitet mit den Pferden auf dem Felde und Mama war zu Fuß ins Nachbardorf gegangen, Seifsoda suchen und kaufen. Am Nachmittag mehr um die Abendzeit kam sie nach Hause, hatte natürlich auch Seifsoda gekauft. Das Seifsoda sah aus wie ein Salzstein, nur graulich. Sie tat es in eine Schüssel, stellte es im dunklen Hinterhaus auf eine Bank und wollte um ein wenig zu ruhen, sitzen, denn sie war müde. Die Kinder spielten alle draußen auf dem Hof, denn drinnen war es schwüle Luft, auch sie setzte sich vor der Tür draußen auf die Zaunbank. Die Türen standen alle weit offen, wie die Vordertür so auch die Hintertür. Unbemerkt war eines von den kleinen Kindern zur Hintertür ins Haus gelaufen. Und plötzlich mit einem großen Geschrei, die Zunge weit aus dem Maul rausgestreckt, ganz blutig, kam es nach der Mama gelaufen. Wir alle wußten gar nicht, was passiert sei, aber Mama wußte gleich, sie schrie recht laut, das Kind hat am Seifenstein geleckt, nahm es auf den Arm und lief nun selber eilig ins Haus und schaffte mit dem Kind. Was sie mit dem Kind gemacht hat, weiß ich nicht, weiß nur, daß sehr laut gesprochen wurde. Gescholten wurde nicht, denn da war niemand zum Schelten auch konnte diesmal auf keinen geschrien werden. Ich sollte nur die Schüssel hoch in die Schüsselbank stellen, damit nicht noch ein weiteres Unheil geschehen sollte. - Ja, hier hätte es Seife geben können andere als vom Schwein. Wie war ich doch so froh, daß ich nicht Schuld hatte. Am anderen Tag mußte ich das tote Schwein in Stücke hacken mit dem Beil und in den großen Mauerkessel tragen, dann schüttete Mama das Seifsoda auf das Fleisch im Kessel und ich mußte dann von Zeit zu Zeit das Fleisch umrühren mit einem Stock. Sonderbar, es wurde ohne Feuer, so nach und nach, zu einer fast flüssigen Masse. Die Masse wurde dann in flache Gefäße gestülpt, in Stücke verschnitten und auf dem Boden getrocknet. Und hiermit war die sogenannte Waschseife fertig.
Nach wieder ein anderes Unglück.- Jetzt aber traf es zur kalten Winterzeit. Eines Tages, da ich gewöhnlich früh geweckt wurde aufstehen und im Stall besorgen gehen, da hatte ich vor dem Wachwerden noch einen kurzen Traum. Mich träumte: "Am vorigen Tag sei dochwohl aus der Scheune in den warmen Stall ein Sperling geflogen um im Stall zu übernächtigen. Es hatte sich oben bei der zweiten Kuh auf dem Holzregel gesetzt und als ich morgens in den Stall kam, hatte es sich verschreck, fiel von oben runter auf die Nase der zweiten Kuh und schlug sich tot, nun lag es tot in der Krippe" Und somit erwachte ich, weil ich geweckt wurde. Als ich mich ankleidete, dachte ich über diesen Traum nach und sagte mir dann: "Hier kommt nichts Gutes raus." Ich ging in den Stall, wie gewöhnlich und fing an, das Vieh zu füttern. Und wie man sagt: "Wie ins Aug' getroffen." Die zweite Kuh stand nicht auf, als ich das Futter brachte, jedoch ich trieb sie auf, aber sie fraß nicht. Ach, ach, wieder was. Ich ging und sagte es den Eltern. - Sie kamen und schauten und was sollten sie sagen, sie wußten im ersten Augenblick auch nicht, was sie sagen sollten und was das zu bedeuten hatte. Jedoch das schauen nur half nichts und jeder ging dann seine Arbeit weiter machen. Die Kuh legte sich wieder. Wir gingen Frühstück essen, auch beim essen wurde meistens nur von der Kuh gesprochen. Als wir nun nach dem Frühstück in den Stall gingen, da war schon alles geschehen. Die Kuh hatte vorzeitig das Kalb geworfen, es war tot. Papa sagte nicht viel, aber Mama überschüttete mich mit sehr ernste Fragen: "Du hast die Kuh gewiß gefrorenes Futter gegeben?" - "Nein, wie immer," sagte ich. "na dann hast du sie auf die Nase geschlagen, anders kann es nicht sein, denn von nichts passiert so was nicht." Nein Mama, ich hab nicht, sagte ich schon voller Wehmut. Aber sie glaubte es mir nicht und voll Murren und Vorwürfe ging sie dann ins Haus. Papa sagte dann zu mir, daß ich solle die Kuh mit warmen Wasser, etwas Kleie beigemischt, tränken. Zum Glück, die Kuh wurde allmählich wieder gesund, nur Mama mußte fleißig melken, daß die Kuh nicht austrocknete.
Nun wollen wir von der Kuh wieder zu den Pferden gehen. Diesmal traf es in der schönen Herbstzeit. Wenn ich auch nicht sehr groß war, aber ich durfte schon allein mit den Pferden auf der Steppe pflügen. O wie groß und erhoben fühlte ich mich, wenn der Nachbar, der auf seinem Acker pflügte, mich beim Vorbeifahren ein "Guten Tag" zurief, der sogar fragte: "Wie geht's?" - "Gut" war natürlich die Antwort. Den Anfang mit dem Pflügen hatte Papa gemacht, daher wußte er auch, wieviel mal um den Acker bis Mittag fahren und wieviel mal Nachmittag bis Abend um den Acker fahren. Weil man keine Uhr hatte: Zehnmal Vormittag um den Acker fahren, dann ist Mittag und zehnmal Nachmittag. So ging die Arbeit schon etliche Tage. Froh und vergnügt war ich in meinem Sinn. Wenn ich dann hinter dem Pflug ging und sah, wie die Erdschollen sich vom Pflug drehen mußten und der gepflügte Landstreifen immer breiter wurde, dann hab ich zu weilen mit lauter Stimme die Welt voll gesungen. Eines Tages als alles so froh und flott ging und schon zehn Kreise gemacht waren, kam es mir vor, es sei noch nicht Mittag. Daher drehte auch ich noch einmal die Pferde in die Furchen und machte noch einen Kreis. Dann fuhr ich zu Mittag. Beim nach Hause fahren war ich überfroh. Jetzt würde ich sagen: "Ich habe statt zehn, elf Kreise gemacht" und dann würde ich ein Lob erhalten. Zu Hause spannten wir die Pferde aus, führten sie an die Krippe und ich erzählte vor Freude, daß ich heute sei fleißig gewesen, aber ein besonderes Lob kam nicht. Aber um ein Weilchen aber, o weh, ein Pferd hörte auf mit fressen, es fing an zu schwitzen, es wurde ganz naß, zitterte auch etwas. - Ach du ach. - Dann kam das Lob, obzwar Papa auch nicht viel sagte, dafür sagte Mama soviel mehr. - "Dem Bengel fehlt das Leder zu geben, dann würde er das nächste mal wissen, wann es Zeit ist nach Hausen zu fahren und würde dann nicht das Pferd überquälen." Na, zu großen Glück, ungefähr um einer Stunde, fing das Pferd auch wieder an zu Fressen. Die Mittagspause wurde heute ziemlich verlängert, damit das Pferd sich etwas erholen konnte. Daher gab es Nachmittag statt zehn, nur sieben Kreise um den Acker. Das war das Ende von dem heiteren Tag.

Kapitel 74

Brennholz, zum Feuer machen, anfertigen

Von dem kleinen Pappelwald, der am Ende unseres Gartens war, wo womöglich nicht einmal hundert Bäume waren, wissen wir schon und haben wir davon vergessen, so wollen wir uns erinnern an etliche Punkte, die wir schon gelesen haben. Erstens: In diesem Wald saß Mama einst, wo ich ihr als, wo ich ihr als keiner Junge behilflich war beim aufstehen. Zweitens: Hier im Wald an einem Baum hing der Tater, (?) den ich einst holen mußte. Drittens: Hier im Wal waren einst die Pferde der Diebe angebunden. - Dieser Wald, richtiger die Bäume dieses Waldes waren mit der Zeit groß und dick geworden. Für Brand zum Winter mußte auch immer gesorgt werden, daher ließ Papa diese Bäume alle ausgraben. Ein Onkel Jakob Unrau übernahm sich diese Arbeit, wofür er dann jeden dritten Baum bekam, weil ihm auch das Brennholz fehlte. Ich spannte dann die Pferde ein, unsere Bäume wurden dann auf den Hof geschleppt. Onkel Unrau seine wurden nach Unraus geschleppt. Unsere Bäume wälgerten und rollten wir dann alle auf einen Haufen. Es gab ein recht großer Haufen, der wirklich auf mehrere Jahre reichte, der dann so nach und nach in der Winterzeit verschnitten wurde. Der Wald ging aber weiter an, fing wieder frisch an zu wachsen und heut zu Tage stehen wieder große Bäume da.
Ein anderes mal war es. Es hatten sich im Dorf mehrere Bauern besprochen, in einen Wald zu fahren, der etwa dreißig Kilometer entfernt war, Brennholz zum Winter anzufertigen. Der Förster des Waldes hatte Erlaubnis gegeben, denn es standen dort recht viel alte, dicke Birkenstämme, die ungefähr 1 Meter, auch darüber waren, die sollten ganz unten abgeschnitten werden. Ich war damals noch nicht groß. Papa jedoch wollte etwas mehr Holz nach Hause fahren als nur einen Wagen voll, daher borgte er bei Onkel Heinrich einen Wagen und wir spannten dann vor zwei Wagen und ich durfte dann auch als ein Großer mit einem Wagen fahren. Also hatten wir eine Reise gemacht und zwei volle Wagen Birkenstämme gebracht.

Kapitel 75

Armut

Armut besitzen, oder richtiger gesagt, in einer Armut sitzen, das kann man ein großes Unglück nennen. Ein Dichter sagt: "Arm am Beutel, krank am Herzen, schleppt ich meine letzten Tage, Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das größte Glück." Ein anderes Sprichwort lautet: "Zank und Neid, Unfriede und Streit." Es hat in meinen jungen Jahren doch Zeiten gegeben, wo man wirklich arm war. Und worin bestand diese Armut, daß man nicht genug Kleider und Nahrung hatte. Die heutige Generation hat keine Vorstellung von so einer Armut, die wir ältere Menschen gesehen und durchgemacht haben, und wenn man heutigen Tages von so einer Armut erzählt, dann kommt es den Leuten unglaublich und fabelhaft vor. In gegenwärtiger Zeit sagen die jungen Leute, wenn sie nicht recht viel Kleider vorrätig haben, nicht einen Fernseher haben, nicht Garnituren und Teppiche verschiedener Art haben, nicht eine Automaschine besitzen, dann sind sie arm. O du armes Volk! - Wir fühlten uns so reich und so glücklich, als wir erst das tägliche Brot und die notwendige Kleider hatten.
Zu einem Glück gesellt sich sehr oft auch noch ein anderes Glück. Zu einer Armut aber, gesellt sich auch oft eine sehr üble Plage. Auch ich habe so eine Plage gesehen und auch durchgemacht. Diese Plage, das waren Läuse. Läuse finden sich bei Leuten da, wo die Kleider besonders die Unterkleider nicht sauber gewaschen werden und auch nicht regelmäßig gewechselt werden. Die Läuse sind kleine, winzige, grauliche, längliche, sechsfüßige Tierchen, die sich in den Unterkleidern befinden, vom Blut des Körpers nähren sie sich. Sie beißen und saugen das Blut der Menschen und somit fühlt man ein beständiges Jucken am ganzen Körper, so daß man sich recht oft kratzen und schrubben muß. Sie vermehren sich recht rasch. Ihre Eier legen sie im Hemd an den Nähten ab, gewöhnlich an der Stelle wo es wärmer ist, unter den Armen und anderswo. Von der Wärme des Körpers werden sie ausgebrütet. Ihre Vermehrung ist beständig wie im Sommer, so auch im Winter. Mit den Läusen wurde zu jener Zeit sehr geschafft, sie zu vernichten, leider ganz los werden von diesem Ungeziefer konnte man nicht, weil die Armut zu groß war. Das Lausen wurde bei uns gewöhnlich vor dem schlafen gehen gemacht. Wenn es an den Winterabenden dann erst Zeit war zum schlafen gehen, und wie wir alle um den Tisch saßen bei einer Petroleumlampe, das wissen wir schon, aus den vorigen Geschichten, dann mußten die kleinen Kinder ihre Spielsachen aufräumen, die Schüler ihre Schulbücher für den morgigen Tag in die Schultasche legen, Mama legt ihre Wolle, die sie verspulte zum Spinnen, vorläufig zu Seite, setzte ihren Stuhl am Ofen bei der offenen warmen Röhre, hängte auch die Lampe näher, setzte sich dann, zog den Kinderchen eins nach dem anderen die Kleider, die Hemdchen aus und fing dann an, Läuse zu suchen und zu töten. Das nannte man lausen. Papa machte in der Schlafstube gewöhnlich das Bett für die kleineren Kinder, setzte sich in sein Bett und wiegte das kleinste Kind im Schlaf. In der kleinen Stube wo die Mama saß, da mußten ich und Heina den Tisch zur Seite stellen und uns selber die Schlafbank auf machen. In der größten Armut so ein Schlafbett auf machen war auch gar nicht schwer. Der Deckel der Schlafbank wurde aufgemacht. Die Lade an der Schlafbank wurde breit auf, oder raus gezogen, das Stroh, das da drinnen lag, wurde gleich gemacht, verscharrt. Dann holten wir uns doch das Laken, das war nur ein Sackflick, spreiteten es über das Stroh, legten ein schmales längliches Kissen hin, das für beide war, dann holten wir uns noch Papa sein Tschapan, das war ein alter Schienell, schon etwas zerrissen, das war einzig und allein unsere Decke. Erst allmählich, mit der Zeit, verbesserten sich unsere Bettsachen. In so einem Bett durfte man sich nur ein bißchen drehen, dann lag man wirklich im Stroh.
Hier noch hinzu, eine kleine wahrhafte Begebenheit: Ein Lehrer, der in so einer Armut den Kindern fragte, während des Unterrichts, was ein jeder des Morgens zu allererst mache, dann gab es verschiedene Antworten. Der eine sagte, er helfe der Mama die Betten machen, der andere, er müsse sein Brüderchen helfen die Hosen anziehen, der dritte sagte noch etwas anderes und so ging es der Reihe nach. Nun war die Reihe an Peterchen. Peterchen schwieg, jedoch der Lehrer fragte zum wieder holten Male, was er des Morgens zu allererst tue. Dann sagte Peterchen etwas schüchtern: "Stroh aus dem Arsch pulen."
Lieber Leser, heute ist uns so eine Geschichte sehr lächerlich, aber es war die Wahrheit so, das sagt die eigene Erfahrung.
Nun kommen wir wieder zurück auf das lausen. Sobald das Bett fertig war, dann zogen auch wir uns aus, ich und Heina und stellten uns bei der Lampe im Kreis und sausten. Die kleinere Kinder, die dann nur in Unterhöschen bei uns standen und warteten auf ihr Hemdchen, das Mama immer noch durchsah, knipsten mit ihren kleinen Fingerchen uns am Bauch oder von hinten am Rücken. Zuweilen geschah es auch, daß jemand meine blaue Flecken an den Armen bemerkt hatte, wies dann mit dem Finger hin und sagte: "Mama, schau mal, Wanja hat hier blaue Flecken." Die Mama gab dann ohne hinzuschauen eine achtlose Antwort "Das wird schon mit der Zeit wieder verschwinden" und machte ihre Läusearbeit weiter. Waren dann alle Hemden und Unterhosen, die schon so sehr geflickt waren, durchgesehen, dann gingen alle Kinder schlafen. Mama nahm dann wieder ihre Arbeit vor und macht Fortsetzung, Wolle verspulen, stricken, flicken, Strümpfe stoppen und anderes. Papa setzte sich dann neben ihr, die Kinder schliefen bald alle ein und dann gab es für sie noch ein Plauderstündchen, wo dann noch von allerlei gesprochen. Das Gespräch führte fast immer Mama. Im halblauten Ton wurde vieles verhandelt. Was zu kaufen fehlte, was zu machen war, oder wie sich die Kinder am Tag aufgeführt und verschiedenes mehr. Ich lag ja hier in dieser Stube und hörte zuweilen zu, bis ich dann aber auch einschlief. So wurde hier erzähl und geschafft, manchmal noch recht lang. Bis sie dann müde von der Arbeit alles ablegten, noch in den Stall gingen und sich dann zu Ruhe begaben. Nun lieber Leser, vergiß nicht dieses Plauderplätzchen und diese Plauderstündchen. Es wird noch etliche Male in den kommenden Geschichten vorkommen.
Nun wollen wir uns aber mehr von den Läusen erzählen. Außer Kleiderläusen gibt es aber auch Kopfläuse, die auch sehr ungemütlich sind und die wir damals auch zur Genüge hatten. Den Jungen wurden die Haare kurz abgeschoren und damit war die Sache fertig. Mama aber und die Mädchen, Neta und Suse hatten aber Läuse auf dem Kopf. Mama befleißigte sich sehr, die Mädchen nachzusehen, damit sie mehr davon frei waren, leider selber konnte sie sich aber nicht nach sehen, daher mußte ich, der schon das lausen verstand, ihr Kopf dann nachsehen. Sie brühte sich dann den Kopf mit heißem Wasser, die Läuse wurden dadurch etwas zahmer (langsamer) solange die Haare naß waren und dadurch konnte man sie auch leichter finden und treffen. Denn im trockenen Haar sind sie ziemlich flink und schwerer zu treffen. Dann setzte sie sich auf eine Fußbank, ich saß neben ihr auf einen Stuhl, sie legte ihren Kopf auf meinen Knien und ich fing an in ihren Haaren zu suchen. Besonders saßen die Läuse am Hinterkopf unterm Schopf, denn da war für sie der wärmste Platz. So haben wir gegen das Ungeziefer gekämpft um nicht ganz zu verlausen.
Jetzt aber noch einen Fall von den Läusen. Die dritte Art von Läusen ist die Filzlaus, ist wohl weniger verbreitet, aber wo sie sich findet, dann geht es ohne ärztliche Hilfe nicht ab. Sie setzt sich bei den Menschen, auf haarbewachsene Stellen, am liebsten beim Geschlechtsorgan, wird auch oft durch Geschlechtsverkehr verbreitet, aber auch manchmal durch Unvorsichtigkeit auf einer anderen Art. - So ein Fall: Als ich in den weiteren Jahren aus dem Staatsdienst nach Hause kam, machten wir Soldaten auf der Heimreise auf einer Station halt, um ins Bad zu gehen, denn unsere Reise dauerte etliche Wochen. Hier im Bad war ich dochwohl unvorsichtig gewesen. Womöglich die Waschbank, worauf ich mich setzte um mich zu waschen, hatte ich nicht sehr genug mit kochendem Wasser abgespült und von hier aus hatte sich so ein ungewünschter Gast zu mir über geschafft. Als wir dann nun wieder weiter fuhren, vernahm ich ein verdächtiges Jucken am Geschlechtsorgan, auch fast unaufhörlich. Diese Stelle kratzen und schaben öffentlich vor den Leuten, war ja höchst zum schämen, daher ging ich oft im Versteck, oder im Abtritt um mich dann unbemerkt zu kratzen.
Selber hatte ich aber wirklich keine Vorstellung, was so was bedeuten konnte. Die paar Tage, die noch geblieben waren zu reisen, mußte ich alle Gewalt dran legen um nicht auffällig im Wagon zu benehmen, denn das Jucken wollte wahrhaftig überhand nehmen, ich konnte beinahe nicht mehr still sitzen. Als ich nun endlich zu Hause war und ich dann für mich allein gehen konnte, untersuchte ich mich selber und wurde gewahr, daß ich mit solchen Läusen besetzt war. Auf dem Flecken, wo das Ungeziefer sich genistet hatte, war die Haut beinahe voll, so daß man sagen, wie Filz. Die Läuse saßen dicht nebeneinander und so fest hatten sie sich in das Leder gesogen, daß es beschwerlich war sie zu kratzen um davon gänzlich befreit zu werden. Ich sah nur einen Ausweg, so schnell wie möglich zum Arzt. Der Arzt war mir auch sofort behilflich. Er gab mir eine Giftsalbe womit ich den ganzen Körper einreiben sollte und insbesondere die Stellen, wo die Gäste ihr Nest hatten. Die Unterwäsche sollte ich zwei Tag nicht ausziehen, dann ein gründlich heißes Bad machen, die Unterwäsche verbrennen und somit sei alles gemacht. - Das waren Filzläuse. - Weil denn in der armen Zeit, wo die Läuse Überhand nehmen, kein Chemiekat (?) zu finden war, deshalb war es auch so schwer mit den Läusen zu kämpfen. Später, als erst das erste Chemiekat erfunden war, das DDF oder das Dust, dann war es einen Kleinigkeit, gänzlich von den Läusen los zu werden.
Armut und Läuse gesellen sich gern, davon sind wir Zeugen. Noch eine kleine Lebenserfahrung. Ich war nach den Kriegsjahren einmal auf Reisen und machte auf einer Bahnstation halt um hier in dem Dorf etliche Tage zu verweilen. Durch einen bekannten Freund, wo ich zu Gast war, erfuhr ich, daß in dem selben Dorf noch mehr Freunde waren, von denen ich nicht wußte, daher ging ich auch noch zu den anderen Freunden. Bei solchen Fällen kann man viel hören. Zufällig erzählte die Hausfrau, wie sie in den Kriegsjahren seien verschickt geworden und auch mit wem sie in der großen Not und Armut seien zusammen gewesen. Hier erfuhr ich, daß sie sei mit meiner rechten Tante zusammen gewesen. Dann sagte ich zu ihr, sie solle mir doch erzählen, wo diese meine Tante verblieben sei. O, sagte sie: das ist ein traurige Geschichte und fing an zu erzählen: "Als der Krieg ging, wurden wir Frauen mit den Kindern alle verschickt - aus der Heimat getrieben. Bagage mitnehmen durften wir nur, soviel ein jeder tragen konnte. Sie habe ein kleines Mädchen gehabt, meine Tante aber, habe drei kleine Mädchen gehabt. Mit der Zeit wurden sie bei Kosaken untergebracht. Brot erhielten sie sehr wenig, davon habe meine Tante mehr den Kindern gegeben, die Kleider veralteten - verrissen bis auf Null, zudem fanden sich die Läuse, die mit der Zeit ganz überhand nahmen und schließlich, es nahm mit ihr ein schreckliches Ende. Der Hunger nagte von außen. Eines Tages aber, da sie wieder sei mit einem auf die Steppe gegangen (mit einem Kinde) nach grünem Kraut, irgendeine Suppe zu kochen, sei sie kraftlos hin gefallen und ist gestorben. Sie selber, diese Frau habe sie ganz alleine ohne ihre Kinder hier auf der Steppe begraben.
So was kann man wahrhaftig Armut nennen.

Kapitel 76

Der Nachtwächter

Zu jener Zeit war es Sitte, in jedem Dorf pflegte man einen Nachtwächter zu haben, genau so wie ein Hirte. Der Hirte hütete täglich das Dorfvieh - der Nachtwächter nächtlich behütete das Dorf, damit nicht Diebe etwas stehlen sollte. Hauptsächlich beschäftigten sich die Baschkiren mit Stehlerei, die gar nicht weit von uns wohnten. Gestohlen wurden Pferde, Kühe, andres weniger. Jedoch nicht jedes Dorf hatte Nachtwächter, denn man mußte ja gelohnt werden. Unser Dorf hatte zu jener Zeit, wo unsere Pferde gestohlen wurden, auch keinen Nachtwächter. Jedoch nach diesem Fall wurden etliche Dorfbewohner unruhig, denn so was könnte vielleicht noch öfter vorkommen. Daher beschlossen die Bürger des Dorfes, allmählich im Dorfe die Wache zu halten. Im Dorf waren etwa 40-50 Häuser. Zu ein Mann von jedem Haus, zwei Mann in der Wache, so sollte es dann der Reihe nach gemacht und gewacht werden. Für den Wächter wurde ein Klapper gemacht, wenn die Wächter die Straße entlang gingen, damit sie von Zeit zu Zeit klappern sollten das, wenn Diebe wären, die es dann auch vernehmen sollten, daß nicht alle schliefen und somit dann das Stehlen verhindern. In den stillen Nächten war das klappern weit zu hören. Die Wächter sollten aber kontrolliert werden, damit sie nicht schliefen, denn sie sollten wenigstens zwei - dreimal das Dorf entlang gehen in einer Wache, in einer Nacht. Im Dorfrat wurde, - erstens ein Bürger gewählt, der die Kontrolle übernahm. Doch als dritter Wächter konnte er doch nicht Nacht für Nacht, oder allnächtlich, sich auf der Straße befinden, denn er mußte doch auch ruhen, weil er doch ebenfalls wie alle anderen seine Wirtschaft besorgen mußte. Daher wurde beschlossen, der gewählte Bürger brauche auch nicht auf die Straße zu gehen um nach den Wächtern zu schauern, er solle nur eine Lampe auf das Fenster nach der Straßenseite stellen und sofern die Wächter auf der Straße bei ihm vorbei gingen, sollten sie klappern und er würde dann die brennende Lampe hochschrauben und wieder niederschrauben, als Zeichen, daß er es gehört habe. Die Wächter auf der Straße würden ja schon das Licht bemerken. So wurde die Nachtwache eine Zeitlang gehalten. Ein und der andere von den Wächtern wird ja auch seine Wache wahrheitsgetreu erfüllt haben. Es waren aber auch dabei, die trieben wahrhaftig Spucht (?). - So ein Fall: Eines Tages als die Reihe dann wieder an uns war, die Nachtwache zu halten, gingen wir des Nachbarsohn, der drei Jahre älter war als ich, auch ich zur festgesetzten Zeit auf die Straße. Lustig und vergnügt machten wir den ersten Kreis die Straße entlang, wo wir dann auch inzwischen ganz energisch klapperten und ganz besonders als wir erst bei der Kontrolle vorbeigingen und als Antwort dann die Lampe hoch aufblitzte. Müde von des Tages Arbeit, waren wir aber nicht besonders geneigt, die Nacht hindurch auf der Straße hin in her zu wandern, daher sagte der Nachbar zu mir: "Weißt du, wir werden uns die Sache leichter machen, wir gehen jetzt abseits, setzen uns ins Gras und von Zeit zu Zeit klappern wir die Kontrolle etwas vor und fertig ist die Sache, dann gehen wir nach Hause." Auf so einer Art hätten die Diebe ganz ruhig stehlen können. Auf der andren Art aber auch. Die Diebe hätten ja nur forschen brauchen, wo der Klapper ist und dann auf der entgegengesetzten Stelle ihre Sache frei und frech, ohne Furcht, machen. Wenn ich nicht irre, hat so ein wachen nur einen Sommer angehalten, dann hat man es eingestellt. Ob ferner, nach unserem Unglück ist gestohlen worden, weiß ich nicht, wahrscheinlich nicht.